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Der Dichter und die Frauen: Das ewige Thema

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oper-beitragsbildEin artistisches literarisches Mashup als eine aus der Operette hervorgegangene Grande Opéra, die Verbindung deutscher Phantastik und Romantik im Spiegel der französischen Belle Époque und eine virtuose Analyse menschlicher, erotischer Projektionen: All das ist Les contes d’Hoffmann von Jacques Offenbach. Was bleibt davon am Münchner Gärtnerplatztheater? Von Stephan Reimertz.

Mit Les contes d’Hoffmann hat sich Jacques Offenbach am Ende seines Lebens selbst überboten. Als seine letzte Karte lieferte der König der Operette eine Große Oper ab, die als Resümee der Romantik und des neunzehnten Jahrhunderts, grandiose Spiegelung eines deutsch-französischen Künstlerlebens von unerhörtem Ruhm, aber auch kunst- und humorvollem Protokoll der gegenseitigen Abhängigkeit von Dichtung und Musik, welche sich gerade in der Oper verkörpert, bis heute die Menschen in aller Welt begeistert und zum Nachdenken bringt. Ich sehe ihn vor mir, diesen vierzehnjährigen Sohn eines Rabbis aus Köln, wie er, mit nichts als einem Cello bewaffnet nach Paris reist, um alsbald die Stadt und von dort aus die Welt zu erobern. Dieser Deutsche wurde französischer als alle Franzosen, und mit dem Cancan aus Orpheus in der Unterwelt hat er unseren beschwingten Nachbarn ihre geheime Nationalhymne geschenkt. Die Uraufführung von Hoffmanns Erzählungen, seinem opus magnum, hat er nicht mehr erlebt.

Der europäische Geist Jacques Offenbachs

Eine witzige, nachgerade postmoderne Idee, einen Dichter in Liebesaffären mit seinen eigenen weiblichen Geschöpfen zu schicken: E. T. A. Hoffmann ist im europäischen Ausland, besonders in Frankreich und Rußland, ebenso berühmt wie zuhause, ja im Petrograd der Zwanziger Jahre nannte sich eine Schriftstellergruppe nach Hoffmanns Novellenzyklus Die Serapionsbrüder, darunter Nikolaj Tichonow, Jelisaweta Polonskaja und der für die moderne Kunsttheorie wegbereitende Wiktor Schklowskij. Les contes d’Hoffmann ist eine Grande Opéra und kann nur von einem großen Haus gespielt werden. Das Stück eignet sich nicht für Spielorte wie die Wiener Volksoper, die Komische Oper oder eben das Gärtnerplatztheater. Die Aufführung sollte Kulturmilde und geistige Anmut, vor allem aber Ungezwungenheit, désinvolture, ausstrahlen. Daher ist die beklommene, in ihrer semantischen und ästhetischen Vorstellungskraft eingeschränkte neue Produktion am Gärtnerplatz nicht geeignet, eine Vorstellung von diesem Stück zu vermitteln. Nicht einmal ein Jahr, nachdem uns Theaterhasser Christoph Marthaler in seiner völlig unangemessenen Inszenierung von Aribert Reimanns Lear an der Bayerischen Staatsoper in die staubige, sterile Atmosphäre eines Naturkundemuseums versetzt hat, finden wir uns in der Version von Hoffmanns Erzählungen von Stefano Poda schon wieder vor solchen hochkantigen Schaukästen. Über diesen Künstler aus Trient heißt es: »Auf der Suche nach ästhetischer und konzeptionelle Einheit zeichnet Stefano Poda in Personalunion für Regie, Bühne, Kostüme, Licht und Choreographie verantwortlich.« Ja, leider! Da Poda keinerlei Verständnis, Kenntnis oder Gefühl für die Atmosphäre, die kulturellen und künstlerischen Voraussetzungen und Grundlagen des Stücks aufbringt, keinerlei légèreté, Leichtig- oder Lässigkeit, und da ihm kein Bühnen- oder Maskenbildner zu Hilfe kommt, erhalten wir einen sterilen, bleischweren, schulmäßigen, monotonen und bemühten Singspielkrampf, der dem Geist Jacques Offenbachs und seines Werkes vollkommen entgegengesetzt erscheint.

Fummel aus dem Abverkauf

Da, wie der jüngst verstorbene Regisseur Hans Neuenfels betonte, in der Oper stets eine Dialektik zwischen Musik und Szene besteht, kann sich auch musikalisch nichts einwickeln. Es spricht für die Sänger, wenn sie angesichts der beklommenen Inszenierung äußerst gequält wirken und meist auch so singen. Wir besuchten letzten Donnerstag die vierte Vorstellung seit der Premiere am 27. Januar. Anne-Katharina Tonauer schafft es trotz der bedrückenden Atmosphäre am Ende als Muse, die Flügel des Gesanges zu befreien und sich zu erlösenden sopranistischen Höhen aufzuschwingen. Auch Camille Schnoor als Giulietta gelingt ein kleines Wunder, und sie macht ihre Partie am Ende zu einer emphatischen Erfahrung für den Zuhörer. Es gibt in München viele phantastische junge Modemacher und daher eigentlich keinen Grund, warum man sich öde schwarze Kostüme und rote Netzbodys vom Abverkauf bei Woolworth auf der Theaterbühne ansehen sollte. Die mittelgroße Drehbühne zeigt geschlagene fünf Akte lang die immergleichen Schaukästen in unterschiedlichen Höhen, mit Namen berühmter Sängerinnen und Werken Hoffmanns beschriftet. Manchen Regisseuren fehlt es auch schlicht am Geschmack. Seine Einfallslosigkeit kaschiert Poda einfallsreich. Natürlich ist das Gespenstische zentraler Bestandteil im Werk Hoffmanns, der im neunzehnten Jahrhundert oft sogar Gespensterhoffmann genannt wurde. Auf dieses Gespenstische setzt Poda in seiner Inszenierung, allein gespenstisch ist nur die Öde; wie so oft offenbart auch diese Inszenierung einen Teil von dem, was außerhalb der Kontrolle des Künstlers liegt, als verräterisches Insignum, welches die ganze Werk desavouiert.

Singspiel von Marschner?

Leider verrät uns das wie immer sorgfältig gestaltete Programmheft nicht, was wir unter einer »Münchner Fassung nach der quellenkritischen Neuausgabe von Fritz Oeser« der Partitur verstehen dürfen. Bei einer ganzen Reihe von Ballett- und Opernaufführungen hat das Prinzip des Staatstheaters am Gärtnerplatz, instrumental geschickt verknappte Partiturbearbeitungen aufzuführen, gute Ergebnisse gezeitigt und uns sogar neue Einsichten in die Musik vermitteln können. Offenbar funktioniert dies im Falle Offenbachs nicht. Wir haben es hier mit einer großen, anspruchsvollen – übrigens unvollendeten – Partitur des Jahres 1880 zu tun. Die Handlung bezieht sich zwar auf die deutsche Romantik des frühen neunzehnten Jahrhunderts, die Oper selbst freilich verkörpert wie keine andere den Geist der Belle Époque. Zusammengestrichen und nun so anekdotisch vorgetragen vom Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz unter Anthony Bramall klingt das ganze wie ein Singspiel von Heinrich Marschner aus den 1830er Jahren. Dieser Eindruck wird verstärkt, wenn die Sänger auf eine deutsche Übersetzung des Librettos zurückgreifen, was zum Glück aus dem heutigen Opernalltag sonst verschwunden ist. Nur weil die Handlung im »Deutschland« von E. T: A. Hoffmann spielt, einem vorgestellten, phantastischen eher als in einem realen, braucht man nicht in dem deutschen, dieser Musik vollkommen entgegengesetzten Idiom zu singen. Dies scheint das Produktionsteam selbst so zu empfinden, so werden einige Arien – warum nicht auch das zentrale Arioso der Mutter im Antonia-Akt? – im französischen Original gesungen, wodurch die deutsche Übersetzung der anderen Teile umso stärker obsolet erscheint.

Das Rätsel am Gärtnerplatz

Am Ende begeisterter Applaus mit Jubelrufen. Ich konnte keine Hand rühren, zumal ich mich so fühlte, als hätte mich gerade eine Dampfwalze plattgefahren. »Bin ich verrückt oder die anderen?« Dieses Gärtnerplatztheater ist mir ein Rätsel. Auf der einen Seite eine frische, authentische Neubelebung der Operette, die auch Jugendliche anzieht, Operninszenierungen, wie etwa der Zauberflöte, welche Parallelaktionen der Staatsoper in den Schatten stellen, Tanztheaterproduktionen, wie im letzten Jahr Undine von Ballettchef Karl Alfred Schreiner oder einem Abend mit Eigenchoreographien seiner Tänzer, die ebenfalls die Staatsoper hinter sich lassen; und andererseits Aufführungen aus der Mottenkiste wie jetzt Hoffmanns Erzählungen. Ein Theaterintendant sollte sich überlegen, welches Stück sein Haus stemmen, und welches Regieteam es angemessen umsetzen kann. Les contes d’Hoffmann sind eine Oper, die in gar keiner Weise zum Gärtnerplatztheater stimmt. Die Opernleitung sollte sich von prospektiven Regisseuren das Konzept erläutern und Skizzen der Bühnenbilder und Kostüme vorlegen lassen, bevor sie ihren Zuschlag gibt. Dasselbe gilt für das musikalische Konzept.

Wieder im Juli: Alle Termine hier

Hoffmanns Erzählungen
Musik von Jacques Offenbach
Libretto von Jules Barbier nach dem gleichnamigen Drama von Jules Barbier und Michel CarréMünchner Fassung nach der quellenkritischen Neuausgabe von Fritz Oeser
Deutsch von Gerhard Schwalbe
In deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

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