Worte und Tanz statt krachenden Fäusten. Von Daniel Grosse.
Ich habe gelitten, als ich Anfang des Jahres endlich „Leberhaken“ angeschaut habe. Der Film mit Luise Großmann und Hardy Krüger jr. ist ein stiller Film. Er kommt sehr leise, ruhig daher. Ein langsamer Film. Im echten Wortsinn ein Kammerspiel, weil dort, einem Theaterstück mit wenigen handelnden Personen gleich, Dialoge zwischen den Schauspielern im Vordergrund stehen. War ja bekannt. Auch Darsteller, Regie und Produktionsfirma selbst sowie Kritiker haben „Leberhaken“ wiederholt als Kammerspiel bezeichnet.
Nur wissen sollten dies die Zuschauerinnen und Zuschauer vorher. Mehr noch. Sie sollten sich dessen 100-prozentig bewusst sein. Sonst tauchen sie in Erwartung eines Spaßbades mit Rutschen, Wellen und viel Action ein in eine warme Meereslagune voller bunter Fische, Zitteraale, Wellenbrecher und flirrender Luft, die duftgeschwängert ist von schweren Gewürzen mit erdiger Note. Denn so klingt, riecht, wirkt „Leberhaken“, mutet er an.
Ich habe wohl deshalb anfangs beim Schauen gelitten, weil ich mir all dies nicht klar gemacht hatte. Also keinesfalls, weil der Film schlecht begann, sondern weil die Langsamkeit, die Ruhe, die Stille, einem gänzlich anderen Genre innewohnt als dem, was wir sonst inzwischen so gewohnt sind. Höher, schneller, weiter. Bumm! Cut. Links. Rechts. Baff! Zisch! Peng! Cut. Netflix lässt grüßen. Die rasend schnellen Bilder auf der Leinwand sind längst zur beherrschenden Normalität geworden, bildgewaltig, bombastisch, fürs großformatige High-Tech-Kino gemacht.
So war es anfangs Arbeit, „Leberhaken“ anzuschauen. Nach etwa 10 oder 15 Minuten war ich aber drin im Geschehen und habe es ausgehalten, wenn Rick wenig bis nichts spricht. Auch Steph leidet anfangs unter dieser Sprachlosigkeit, sucht klare Ansagen, Führung beim ehemaligen Boxchamp Rick.
Leberhaken ist ein toller Film, ein guter Film, einer zum Genießen. Er ist wichtig. Bildet er doch gleichzeitig einen Gegenpart zum gleichermaßen beeindruckenden Genre rund um die Bonds und Terminators dieser Welt.
Neben sparsamen, auf den Punkt ins Drehbuch geschriebenen Dialogen, überzeugt der im ersten Corona-Sommer in Rekordzeit gedrehte Film „Leberhaken“ auch durch die Farben am Set, durch Licht, durch Atmosphäre.
Und „Leberhaken“ überrascht. Er überrascht mit sehr viel Zärtlichkeit. Hart, gleichsam liebevoll, umtanzen sich die beiden Darsteller. Das Körperliche droht immer wieder ins Erotische, in den Sex zu kippen. Aber beide halten dagegen. Körpernähe ist es nicht, was Steph und Rick beim jeweils anderen suchen. Aber ein Hauch von Verlangen ist doch bei beiden immer wieder zu spüren. Intimität ist da, aber eben doch eher im Sinne von Vertrauen.
Teil 2 von Leberhaken kann kommen. Steph und Rick haben sich sicher noch einiges zu sagen. Und sie brauchen einander, lernen, einer vom anderen. Da geht noch mehr. Und ein ganz klein wenig Rocky der Neuzeit im Berliner Wedding wäre sicher auch erfrischend.
Im Original ist diese Filmkritik erschienen im Blog BERUFEBRUCH von Daniel Grosse.