Von Barbara Röder.
Zwei Aktionsebenen gilt es in Jay Scheibs Abenteuermysterium „Parsifal“ miteinander zu verbinden, sie nebeneinander zu stellen oder rein isoliert zu sehen. In der digitalen, mit der AR-Brille geschauten Welt eröffnet sich im ersten Akt eine Glühwürmchen-Weltraum-Schwebe-Idylle.
Nacktes, origamiartiges Geäst, Gralstauben und der blutüberströmte, vom „Parsifal“-Speer getroffene Schwan segelt in voller Flugkraftgeschwindigkeit auf uns zu. Hinzu gesellen sich Felsbrocken und Geröll. Das „Parsifal“-Vorspiel quillt insistierend huldvoll und eindringlich irisierend aus dem Graben. Die Zeit beginnt, zum Raum zu werden. Analog schauen wir auf der Bühne auf verschobene metallene Felsenplatten, einige erheben sich als glänzende Stahlbalken in den Raum. Da hat Bühnendesignerin Mimi Lien mit guter Ideenvielfalt eine vom Bauen, Rohstoffabbau, Männer dominante Welt kreiert. Weiter hinten blubbert ein runder See, der sternförmiges Licht abwirft. Die Grasgesellschaft betreibt gerade Raubbau. Der geheimnisvolle, andächtig umhüllte Gral entpuppt sich später als Kobaltkristall. Diesen wird Parsifal später zu Boden werfen, den Fluch, der mit ihm einhergeht, zerschellen, um die Menschheit vor weiteren Untaten gegenüber der fast Natur zu schützen. Über dem See schwebt ein übergroßes Neonrondell: die Graskrone, die wie die Dornenkrone -wir sehen später virtuell Dornen- von Jesus Christus imaginiert werden könnte.
Im dritten Akt hat sich der See zum giftgrünen, Giftquellenloch, aus dem „schwüles Gedünst“ aufsteigt, gewandelt. Intergalaktisch auf AR-Modus gepolt, werden nun flatternde Plastiktüten wahrgenommen. Die Plünderung, Ausbeutung unserer Ressourcen, Atommüll, alte Kühlschränke oder der Speer „Parsifal“, der zur Granate mutiert, surren durchs Bild. Ein einsamer Fuchs reißt müde sein Maul auf. In Klingsors Reich bestimmt die Farbe Rosa die reale Bühne. Die Blumenmädchen ziert ein rosa Glitzeranzug mit High Heels. Klingsor trägt eine stählerne Hornmaske. Mächtige Flower-Power Blumen recken und räkeln sich empor. Mehr Kitsch geht zwar nicht, aber das passt. Im All schweben sichtbar für die AR-Brillenträger Totenschädel, Schlangen und reichlich Pflanzengestrüpp.
„Es geht um ein mysteriöses Land des Zaubers, um Religion, um die Durchdringung verschiedener Universen, um die Veränderung unserer Welt“, bekennt Jay Scheib. Der Regisseur liebt Avatare, besonders Blumenmädchen, die er eher als Geister wahrnimmt. Sie durchschreiten, mit ungelenken Bewegungen, ebenso wie andere Avatare die virtuellen Welten und steuern direkt auf uns zu. Es sind künstliche Geschöpfe, die so gar nichts Menschliches an sich haben. Haben diese Wesen eine Seele? Diese Frage, wie auch andere, drängen sich unwillkürlich auf.
Famose Sängerdarsteller und eine einzigartige Kundry
Elīna Garanča, Kundry erprobt, sie sang bereits 2021 in Wien in Kirill Serebrennikovs „Parsifal“ Produktion diese Paradepartie für einen Mezzosopran, beherrscht die Gestaltung der „Höllenrose“ eine seit Jahrhunderten wandernde und irrende weibliche Urkraft auf furiose Art. Als Kundry weist Garanča alle verführerischen Züge aber auch Besonnenheit auf, die die Regie der Kundry abverlangt.
Die anderen dramatischen, verfremdeten Dimensionen der Figur Kundry, wie etwa die enorme Liebesfähigkeit, die im zweiten Akt zutage tritt oder wenn sich Kundrys erotisches Verlangen ins wahrhafte Lieben kehrt, weiß Garanča sicher auszuloten. Scheib möchte eine Kundry, die aus der starken Verzweiflung das Bewusstsein gebiert, dass nur das Verzeihen und das Erkennen die wahrhafte Basis zum aufrichtigen Leben ist. Nicht der erlösende Tod, wie es Richard Wagner konzipierte, ist die Rettung. Garanča zeigt gesanglich diese Hellsichtigkeit in dunkel funkelnde, ekstatisch klingende Tiefen, die sich zu schlanken, klaren, voluminösen Highlights aufschwingen. Nur ist ihre Textdeutlichkeit nicht immer optimal. Vom Publikum wird ihre Kundry zurecht enthusiastisch gefeiert.
Eine fantastische Bühnenpräsenz und ausgefeilt plastische Rollencharakterisierung des „Parsifal“ präsentiert Startenor und Einspring-König Andreas Schager. Er bringt als glaubwürdiger Held, der die apokalyptische Endzeit sichtet, nachdenklich milde Töne und heroisch, gut ausbalancierte Klangfarben zum Leuchten. Sein „Du weißt, wo Du mich wiederfinden kannst“ ist eine Verheißung für den letzten hoffnungsvollen Weg, ja Ausweg, den er als Retter mit Weitblick gehen muss. Seine gesunde, bronzen angehaucht Mittellage harmoniert ebenso mit der herausragenden Textverständlichkeit sowie mit den kraftvoll runden Tönen in der Höhe.
Georg Zeppenfeld, der bereits in Uwe-Eric Laufenbergs „Parsifal“-Adaption als Gurnemanz zu hören war, bietet einen qualitativen, ehrwürdigen, Text profunden Gralsgläubigen. Dass er eine Geliebte hat, die mit ihm am Ende in die verheißungsvolle Zukunft ohne Gral blickt – diesen zertrümmert ja Parsifal – irritiert zwar schon, ist aber plausibel. Zerstören, was vernichtet, was das Handeln und Denken in die Klimakatastrophe führt, ist in diesem neuen experimentellen „Bühnenweihfestspiel“ angesagt. Neben einem alten ausgedienten Panzer blickt auch der balsamisch und allgegenwärtig sonor in seiner Mächtigkeit tönende Bayreuther Festspielchor, in die zu gestaltende Weltutopien. Eberhard Friedrich leistete mit seiner Vorbereitung Wundervolles! Satt und Balance immanent wirken die Schlussszenen des ersten und dritten Aktes der Gralsritter. Den Amfortas gibt Derek Welton mit intensiven, dunklen Leidenstönen und eindringlicher schauspielerischer Präsenz. Ein wenig blass und vom Regisseur vernachlässigt gerät die akkurat gut gesungene, kurze und müde scheinende Figur des Titurel (Tobias Kehrer).
Im Reiche Klingsors herrscht der eher würdevoll, nachdenklich singende Jordan Shanahan als alleinige Wächter. Vollmundig und rabenschwarz tönt es zuweilen. Klingsor fühlt sich seinen entzückend aufreizenden, in glitzerrosa Hosenanzügen posierenden Blumenmädchen verbunden. Sein Minneweib Kundry soll ja auch eher Parsifal umgarnen, als ihn. Die mit schlankem Timbre singenden Blumenmädchen (Evelin Novak, Betsy Horne, Margaret Plummer Camille Schnoor, Julia Grüter, Marie Henriette Reinhold) tragen Barbie-Kultmäßiges Rosa. Eine Wonne ist es, ihnen zuzuhören. Wir sind im Jahre 2023. No Comment, was das üppige Rosa betrifft, es liegt im Trend. Prägnant und profund erheben sich die Einzelstimmen der beiden Gralsritter von Siyabonga Maqungo und Jens-Erik Aasbø .
Ob Parsifal wirklich ein so schwacher Mensch ist, wie es Jay Scheib behauptet, mag bezweifelt werden. Was uns Scheibs Inszenierung und das fulminante Dirigentendebüt von Pablo Heras Casado eröffnet, ist ganz sicher ein direkter Weg, um Wagner zu finden.
Enthusiastischer Applaus für die großartige Sängerriege hervorstechende vereinzelte Buhs für das Regieteam. Und ich schließe mit den Worten Richard Wagners als Synonym für den „Parsifal“ 2023: „Immer ist das Auge unterhalten, das Ohr gebannt, die Seele im Gleichklang.“
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Bayreuth Festival 2023: A lonely yawning fox, a waving plastic bag augur desolation in the ecological cycle . „Parsifal,“ Part 2
In Jay Scheib’s adventurous mystery „Parsifal,“ two levels of action intertwine, juxtaposed or seen in isolation. Through the AR glasses, the digital world unfolds in Act 1, with a floating firefly-space idyll. Naked, origami-like branches, grail dust, and the blood-soaked swan pierced by Parsifal’s spear rush towards us. Rocks and rubble join the scene. The „Parsifal“ prelude emerges insistently and iridescently from the pit. Time transforms into space. On the analog stage, metallic rock slabs are arranged, some rising as gleaming steel beams. This design constructs a world dominated by construction, resource exploitation, and male dominance. A round lake bubbles in the background, emitting star-shaped light. The Grass Society is engaged in plundering. The enigmatic Grail, later revealed as a cobalt crystal, is placed at the center. Parsifal will later cast it down, shattering the curse that burdens humanity and the environment. An oversized neon disc hovers above the lake – the crown, which could be compared to the thorny crown of Jesus Christ.
In Act 3, the lake transforms into a toxic green, emitting poisonous vapors. In AR mode, fluttering plastic bags become visible. Plundering, resource exploitation, nuclear waste, discarded refrigerators, and Parsifal’s spear, now a grenade, fill the scene. A lonely fox wearily opens its mouth. In Klingsor’s realm, the real stage is dominated by the color pink. The flower maidens sport pink glitter suits and high heels. Klingsor wears a steel horn mask. Mighty Flower-Power flowers stretch and sway upwards. More kitsch could hardly fit, yet it suits the scene. Visible to AR glasses wearers in the cosmic realm are skulls, snakes, and abundant vegetation.
Director Jay Scheib shares, „It’s about a mysterious land of magic, religion, the interweaving of different universes, and the transformation of our world.“ The avatars, especially the flower maidens, represent non-human entities navigating virtual worlds. These artificial beings raise questions about the presence of a soul.
Elīna Garanča, having previously sung Kundry in Kirill Serebrennikov’s 2021 Vienna production, embodies the role of the „Hell’s Rose,“ a wandering and wandering primal female force. Garanča captures Kundry’s seductive and reflective facets as demanded by the director’s interpretation. The multidimensional dimensions of Kundry’s character, such as her immense capacity for love and her transformation from erotic desire to genuine love, are deftly portrayed by Garanča. Scheib envisions Kundry as realizing that forgiveness and understanding form the true foundation for genuine life.
Andreas Schager’s portrayal of Parsifal is characterized by a fantastic stage presence and a finely detailed role interpretation. As a credible hero observing the apocalyptic end times, Schager’s performance highlights thoughtful and mild tones alongside heroically balanced timbres. Schager’s „You know where you can find me again“ promises a hopeful path forward, a path of enlightenment and salvation. His voice, bronzed and robust in the middle range, blends harmoniously with the exceptional clarity of his diction and the powerfully round tones in the upper range.
Georg Zeppenfeld, having previously portrayed Gurnemanz in Uwe-Eric Laufenberg’s „Parsifal,“ embodies a dignified and profound Grail believer. His connection with a lover, who envisions a future without the Grail alongside him, is puzzling yet plausible. The theme of destruction and transformation in this experimental „Parsifal“ underpins this concept. In Klingsor’s realm, Jordan Shanahan’s dignified and contemplative singing resonates. The resonant Bayreuth Festival Chorus, led by Eberhard Friedrich, contributes to the utopian world-building.
Enthusiastic applause for the remarkable cast was mixed with occasional boos for the production team. In the spirit of Richard Wagner’s words as a synonym for „Parsifal“ 2023, „The eye is always entertained, the ear captivated, the soul in harmony.“