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Maurice de Vlaminck: Ansichten eines Radfahrers

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Ausstellung

Das Museum Barberini in Potsdam zeigt die ersten Retrospektive von Maurice de Vlaminck in Deutschland seit über hundert Jahren. Mit zahlreichen Hauptwerken des eigenwilligen Künstlers eröffnet die Ausstellung eine hervorragende Gelegenheit, sich in einem der faszinierendsten Werke der Klassischen Moderne zu orientieren. Von Stephan Reimertz

»Die Entdeckung der Welt fing für mich in dem Augenblick an, wo ich ein Fahrrad mein Eigen nannte«, bekennt der Künstler in seinen Jugenderinnerungen. »Von morgens bis abends straßauf, straßab durchfuhr ich die Städte, Dörfer und das offene Land. Ich schmeckte den Staub, fühlte den Regen, kämpfte gegen den Wind.« Maurice de Vlaminck, Sohn eines Musikantenpaares flämischer Herkunft, scheint auf den ersten Blick zum Landschaftsmaler prädestiniert.

Maurice de Vlaminck: seine Werke und ihre Verbindung zur Kunstgeschichte

Freilich haben seine Landschaften es in sich. Sie sind zugleich Kommentare zur Kunstgeschichte. Zwar verdankt der Naturbegeisterte dem Vélo »meine ersten Erlebnisse unter dem weiten Himmel, die ich staunenden Herzens genoss; die Sinne erfassten mir einst das Wesen von Raum und Freiheit«, noch stärker als das unmittelbare Naturerlebnis wirkt sich hier allerdings die Innenschau aus. Sein Werk ist eine produktive und höchst originelle Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte, namentlich mit Cézanne, van Gogh und den Pointillisten. Die vermeintlich direkt empfundene Natur ist eine inszenierte. Der Künstler war Dichter, auf mehreren Ebenen. Hätte Vlaminck kein einziges Bild gemalt und allein seine zweieinhalb Dutzend Buchveröffentlichungen hinterlassen, sein Andenken wäre uns gleichwohl sicher. Er war eine Kraftnatur, die sich in verschiedenen künstlerischen Sprachen auszudrücken vermochte, und die Malerei ist nur eine davon. So lernen wir in der Potsdamer Ausstellung in einer übersichtlichen Chronologie, dass Vlaminck zunächst als Musikant in seinem Freundeskreis bekannt war, und dass sein Freund und Kollege André Derain ihn als Violinisten malte.

Maurice de Vlaminck: Meisterwerke aus Frankreich

Wenn wir dieses herausragende Werk nun in sechs Sälen des Museum Barberini überblicken dürfen, fällt auf, dass ein Teil der Retrospektive, wie z. B. die berühmte Brücke von Chatou von 1906/07, aus der Sammlung des Hausherrn Hasso Plattner stammt. Der überwiegende Teil der Exponate freilich ist aus Frankreich zu Gast. Andere Beispiele, wie eine Seitenansicht derselben Brücke von 1905, kommen aus der Staatlichen Sammlung zu Berlin. Die Ausstellung, die das Potsdamer Museum zusammen mit dem Von der Heydt-Museum in Wuppertal bietet, ist also eine Gelegenheit für den Betrachter, die so schnell nicht mehr wiederkommen wird. Bemerkenswerten Metamorphosen folgt der Besucher, der der chronologisch angeordneten Retrospektive folgt. Lernen wir den Meister zunächst als Sozialporträtisten an der Grenze zur Karikatur kennen, wie in der kleinformatigen Bistrobesucherin aus dem Jahre 1900 (Musée Calvet, Avignon), zeigt er sich bald schon als Erfinder seines eigenen Impressionismus, wobei die Vorliebe für Flusslandschaften ins Auge sticht. Allein dies wird den Besucher, der sich in Potsdam selbst inmitten einer der schönsten Flusslandschaften Europas befindet, magisch anrühren. Sodann fällt auf, dass sich Vlamincks bevorzugte klein- und vorstädtische Veduten besonders in den Städtchen Chatou und Bougival westlich von Versailles befinden. Mit andern Worten: Am Ausgang des Havellandes ist diese außergewöhnliche Ausstellung alles andere als fehl am Platze.

Maurice de Vlaminck. Rebell der Moderne
Ausstellung bis zum 12. Januar 2025

Museum Barberini
Alter Markt
Humboldtstraße 5–6
14467 Potsdam

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