Rezension von Barbara Hoppe
Es gibt Bücher, die sind gut und wichtig, und es ist richtig, dass sich ihrer jemand annimmt, um sie zu veröffentlichen. Sie sind wertvoll, weil sie in Länder, Kulturen und Systeme entführen, die es zu erkunden gilt, die bei aller Globalität immer noch fremd sind und mental schwer zu fassen.
Bücher aus Südamerika gehören zu dieser Sorte Bücher. Romane, die sich mit der dunklen Vergangenheit von Diktaturen und korrupten Gesellschaften auseinandersetzen, wie die von Juan Gabriel Vásquez aus Kolumbien und natürlich von Mario Vargas Llosa in Peru als prominenteste Beispiele. Aber es gibt viele Autoren, die hierzulande wenig bekannt sind und sie zu entdecken, hat sich Ilja Trojanow, der Weltensammler, zur Aufgabe gemacht. In seiner Reihe Weltlese – Lesereisen ins Unbekannte, spürt er solche Werke auf. Seine jüngste Entdeckung ist „Die Rache der Mercedes Lima“ von Arnoldo Gálvez Suárez, 1982 in Guatemala geboren. Ein hartes Buch, das sich mit über dreißig Jahren guatemaltekischem Bürgerkrieg auseinandersetzt, dem zwischen 1960 und 1996 über 200.000 Menschen zum Opfer fielen.
Hauptfigur ist Alberto, Sohn des Geschichtsprofessors Daniel Rodriguez Mena, der Ende der achtziger Jahre auf offener Straße erschossen wird. In der Familie werden die genauen Umstände verschwiegen, bis heute weiß Alberto nicht, ob sein Vater Opfer der politischen Umstände oder eines Eifersuchtsdramas wurde. Als Alberto im Supermarkt zufällig Mercedes Lima sieht, ist ein Bann gebrochen. Wie von Sinnen heftet er sich an die Fersen der Frau, die einst Studentin seines Vaters war und Licht ins Dunkel des Mordes bringen kann. Was wie ein Kriminalroman klingt, ist gleichwohl das Porträt einer Gesellschaft, die bis heute von Brutalität geprägt ist: Es wird gelogen und verheimlicht, sexuelle Begierde mit Liebe verwechselt und während auf der einen Seite das Bild der braven Vater-Mutter-Kind-Familie aufrecht erhalten wird, nehmen sich die Männer die Frauen, wie es ihnen gefällt, betrügen die einen und nutzen die anderen aus – wobei die Frauen nicht selten diesen männlichen Chauvinismus für ihre eigene Zwecke gebrauchen. Alberto, zusätzlich gedemütigt durch die finanzielle Abhängigkeit von seiner Frau Luisa, unterscheidet sich da nicht übermäßig von seinem Vater dreißig Jahre zuvor. Das hehre Ziel der Aufklärung eines Verbrechens versinkt im Sumpf eines rücksichtlosen Machismus von Vater und Sohn gleichermaßen, dem lediglich der jüngere Bruder Daniel, an den Alberto seinen Bericht adressiert, am Ende etwas Menschlichkeit verleihen kann.
In „Die Rache der Mercedes Lima“ sind Opfer und Täter eins, schwelen Konflikte ungelöst, sind die bis heute allgegenwärtigen Schatten von Gewalt nicht verschwunden. Kein Roman, der Spaß macht, aber ein Buch, das die Beklemmung zurücklässt, dass die tiefsitzende Angst von jahrzehntelanger willkürlicher staatlicher Gewalt viele Generationen überdauert.
Arnoldo Gálvez Suárez
Die Rache der Mercedes Lima
edition büchergilde, Frankfurt 2017
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