Von Birgit Koß.
Als gebürtige Staderin konnte ich es kaum glauben – eine Sammlung von über 600 Kulturgütern aus Ostafrika, dem heutigen Tansania, die seit über 100 Jahre in Stade lagern? Dazu gibt es in diesem Frühjahr noch bis zum 9. Juni 2025 eine Ausstellung im Schwedenspeicher und dem Kunsthaus Stade. Im Ausstellungsprospekt ist zu lesen:
„Mit der Ausstellung AMANI kukita | kung’oa (= gepflanzt | entwurzelt) präsentieren die Museen Stade ein dreijähriges Forschungsprojekt, das in Kooperation mit dem tansanischen National Institute for Medical Research durchgeführt wurde. Untersucht wurden Kulturgüter, die sich der Botaniker Karl Braun (1870 – 1935) in der Kolonie „Deutsch- Ostafrika“ angeeignet hat, während er für das botanische Forschungsinstitut Amani tätig war. Die Ausstellung gibt Einblicke in den Forschungsprozess und lädt Sie ein, die damit verbundenen ethischen Fragen kritisch zu reflektieren.“

Drei Tonnen Erinnerung
Im Schwedenspeicher, der auch das Heimatmuseum beheimatet, werden auf einer Sonderausstellungsfläche Werkzeuge, Instrumente, Schmuck und Textilien gezeigt, die Karl Braun mitgebracht hat, nachdem er 1920 das Forschungsinstitut Amani in den östlichen Usambarabergen hatte verlassen müssen, weil die Kolonie Deutsch-Ostafrika nach dem 1. Weltkrieg an die Briten gegangen war. Drei Tonnen umfasste sein Gepäck damals – nicht nur seine Forschungsmaterialen und Bücher, sondern auch etwa 3000 Kulturgüter wie Waffen, Schmuckstücke, Textilien, Masken, Figuren und Werkzeuge, die er erworben bzw. sich angeeignet hatte. Er wollte einiges einem Museum in Bremen anbieten, aber dort bestand kein Interesse. Zu viele Gegenstände aus den ehemaligen Kolonien waren wohl damals ins Deutsche Reich gebracht worden. 1934 übergab Karl Braun seine „Kolonialsammlung“ der Stadt Stade.
Vom Dachboden ins Licht
In der NS-Zeit gab es eine kleine Ausstellung die die Kolonialzeit rühmen sollte. Diese Ausstellung wurde 1945 von den Britten zerstört. Danach lagerten die restlichen Gegenstände unbeachtet auf Dachböden, so auch im Schwedenspeicher, wo man die Kisten 2014 wiederentdeckte. Durch eine mehrjährige Zusammenarbeit mit dem tansanischen National Institute for Medical Research ist nun diese Ausstellung entstanden, die wichtige Fragen zur Provenienzforschung und der damaligen Situation in der Kolonie direkt erfahrbar macht.
Einzelne Kulturgegenstände sind in Vitrinen sichtbar, Texte erklären anschaulich ihre Bedeutung und wenn möglich Herkunft. Kritische Fragen und Antworten zu den einzelnen Ausstellungstücken hängen in Augenhöhe als „Sprechblasen“ herab. Und natürlich gibt es Informationen über die Region, die Kolonialzeit – mit ihren Auswirkungen und die weitere Entwicklung des Forschungsinstituts Amani, das noch heute existiert.

Gegenwart trifft Geschichte
In nahegelegenen Kunsthaus wird die Ausstellung um Fotos aus der Kolonialzeit und Kunstwerke von zeitgenössischen tansanischen Künstlerinnen ergänzt. Dazu gibt es einen ausführlichen dreisprachigen Katalog: Deutsch – Kisuaheli – Englisch.
Dieser Ausstellung ist es gelungen, den Bogen von über 100 Jahren zu spannen und viele Fragen, die bis heute gern verdrängt werden, offen und anschaulich anzusprechen, ohne dabei belehrend zu wirken. Eine beeindruckende Ausstellung in Stade, von der sich die Museen großer Städte gern eine Scheibe abschneiden können.
AMANI kukita | kung’oa
Deutsche und tansanische Perspektiven auf eine koloniale Sammlung in Stade
Ausstellung noch bis zum 9. Juni 2025
Museum Stade
Museum Schwedenspeicher | Kunsthaus Stade
Wasser West 39
21682 Stade
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From Tanzania: 600 cultural objects in Stade
Over 600 cultural artifacts from present-day Tanzania were stored in Stade for more than a century. They were acquired or appropriated by botanist Karl Braun (1870–1935) during his work at the colonial Amani Institute in German East Africa. After the loss of the colony in 1920, Braun brought back three tons of materials, later donating them to the city of Stade.
From the attic into the light
Following a colonial-glorifying Nazi-era display, the collection was forgotten until rediscovered in 2014. A multi-year collaboration with the Tanzanian National Institute for Medical Research followed.The exhibition “AMANI kukita | kung’oa” now presents these objects at the Schwedenspeicher and Kunsthaus Stade, alongside historical photos, contemporary Tanzanian artworks, and contextual information. Critical reflection on colonial appropriation is central. A trilingual catalog (German, Swahili, English) accompanies the exhibition.