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Bayreuther Festspiele: „Parsifal“ – die ganz konkrete Erlösung

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Auch im dritten Jahr beweist der Bayreuther Parsifal in der Regie von Uwe Eric Laufenberg seine Resilienz. Der Regisseur überzeugt mit durchgreifendem künstlerischem Ernst und präziser Durcharbeitung. Am Pult steht dabei zum ersten Mal Semyon Bychkov, einer der besten Wagner-Dirigenten unserer Zeit. Um die zentrale Frage des Stücks drückt die Inszenierung sich freilich herum.
Kleiner Katechismus zur Wiederaufnahme von Stephan Reimertz.
 

Wie hat Uwe Eric Laufenberg den Parsifal inszeniert?
Der Regisseur, sein Bühnenbildner Gisbert Jäckel und die Kostümbildnerin Jessica Karge überraschen mit äußerster Konkretion in allen Details. So befinden wir uns nicht in einer Phantasiearchitektur, sondern in einem handgreiflichen Renaissance-Baptisterium. Die Gralsritter, sonst eine parareligiöse Gemeinschaft wie in der Zauberflöte, sind hier Kapuzinermönche, die sich im Alltag für die Armen engagieren. Sie essen Fladen aus einem türkischen Laden und trinken Mineralwasser aus Plastikflaschen. Dazu gehören auch die Riesenpflanzen, welche die verrottete Gralsburg im Dritten Aufzug durchdringen, und die man genau bestimmen kann. Der Zweite Aufzug könnte auch Die Entführung aus dem Serail heißen. Kacheln und Schwimmbecken eines mohammedanischen Lustschlosses sind korrekt wiedergegeben.

Welchen Hintergrund hat diese Methode der Inszenierung?
Möglicherweise wollte das Regieteam den phantastischen, byzantinischen Räumen klassischer Parsifal-Inszenierungen etwas entgegensetzen. Tatsächlich wirkt das heruntergekommene Baptisterium wie der seiner Goldverzierungen entschlagene Innenraum früherer Gralsburgen. Laufenberg erteilt jedwedem Prunk, jedweder Zier eine Absage. Das ist also eine sehr ernsthafte, christliche und wenn man so will evangelische Inszenierung. Typisch ist auch, wie die Ritter sich weniger mit ihrem gekränkten Rittertum befassen, sondern als ganz konkrete Kapuzinermönche von heute sich im praktischen Mitleid üben. Sie betreiben in der Gralsburg eine Notunterkunft für obdachlose Männer. In München leben manchmal schon arbeitende Männer der Mittelschicht in solchen Notunterkünften, weil sie keine Bleibe finden. Laufenbergs Inszenierung steht mitten im Leben.

Wie zeichnet Laufenberg den Gurnemanz?
Anders als Shakespeare in Richard III., wo der Moderator zugleich der Protagonist ist, teilt Wagner diese Figur. Parsifal ist, wenn man so will, das Objekt, Gurnemanz das Subjekt des Stückes. Es gibt keine andere Oper, welche einen solchen ständigen Moderator und Kommentator der Handlung kennt. Günther Groissböck besitzt als großer und schlanker Bassist die väterliche Ausstrahlung, welche die Figur des Gurnemanz auch benötigt. Seine Stimme ist in jedem Moment souverän und durchdringend. Man sollte sich im Klaren darüber sein, wie anstrengend diese Rolle für jeden Sänger ist. Groissböck gibt einen weltlich aufgeschlossenen Kapuziner. Die Strickweste, die er über seinem geistlichen Habit trägt, erinnert auch an die saloppe Uniform heutiger Gymnasiallehrer. Und das ist Gurnemanz: Ein Mentor, ein Lehrer, das Erzähler-Ich. Günther Groissböck ist die Idealbesetzung. Der Oberlehrer ist natürlich Uwe Eric Laufenberg. Wir sollen etwas lernen. Der ehemalige Theaterschauspieler kennt seinen Nathan und setzt uns hier eine durchdachte Parabel über die drei Monotheismen vor.

Wie legt der Regisseur die Titelpartie an?
Andreas Schlager sang zum ersten Mal 2016 in Bayreuth, und zwar zugleich den Eric im Holländer und den Parsifal. Er ist ein sehr moderner Reiner Tor. Laufenberg zeigt ihn in einem hellbeigen Sweater als jungen Akademiker, man könnte sich einen Architekten vorstellen. Wieder will der Regisseur uns zeigen: Auch Parsifal ist eine Figur unserer Zeit. Da Andreas Schlager groß und attraktiv ist, braucht er auf der Bühne nicht viel zu machen. Das erweist sich im Dritten Aufzug als Problem, wo alle erschöpft herumstehen. Auch die Erkenntnisszene Amfortas! Die Wunde! im Zweiten Aufzug war etwas stadttheaterartig gespielt.

Wie spielt und singt Thomas Mayer den Gralskönig Amfortas?
Thomas Johannes Mayer, in Bayreuth erfahren als Holländer, Telramund und Wanderer, ist die idealtypische Verkörperung des leidenden Gralskönigs. Mit seinem kräftigen Bariton und der gut verständlichen Artikulation, seiner großen bärtigen Erscheinung hat er alle überzeugt. Zuletzt legt er sich zu seinem Vater Titurel in den Sarg. Von dem ist nur noch die Asche zu sehen. Eine Leiche auf der Bühne wäre eindrucksvoller. Im Allgemeinen verzichtet die Regie jedoch auf solche typischen Opernideen.

Was ist von der Darstellerin der Kundry zu halten?
Von Elena Pankratova ist sehr viel zu halten. Mit ihrem kleinen kompakten Leib dürfte sie so etwas wie ein klassisch-orientalisches Schönheitsideal verkörpern. Sie ist eine Odaliske aus einem Bild von Ingres und gleichzeitig die mohammedanische Nachbarin von nebenan. Ihre Stimme ist zugleich expressiv und hocherotisch. Das rollende R verkörpert die Fremdheit der Figur Kundry, stimmt aber auch sehr gut nach Oberfranken. Ihre darstellerische Intelligenz und Wandlungsfähigkeit halten mit der durchdachten und komplexen Inszenierung jederzeit Schritt. Eine Klischee-Diva könnte Laufenberg für seine Produktion gar nicht gebrauchen.

Eine beliebte Szene im Parsifal ist der Gesang der Blumenmädchen. Wie inszeniert das Regieteam diesen Moment?
Recht einfallsreich und nicht ohne Witz. Die Blumenmädchen kommen zuerst ganz verhüllt in schwarzer Burka auf die Bühne, legen diese aber schnell und nur allzu gern ab. Darunter kommen schöne halbnackte junge Frauen in ebenso bunten wie knappen Kleidern zum Vorschein. Dies ist wichtig, damit die Szene glaubwürdig bleibt. Schließlich hat der Komponist Blumenmädchen vorgeschrieben und keine Blumentanten.

 

Wie erscheint Klingsor, die negative Anti-Figur, in dieser Produktion?
Derek Welton singt den Klingsor in Bayreuth seit dem letzten Jahr. Er gibt einen aggressiven, dabei intellektuellen Klingsor, der für Erotik, auch für seine Blumenmädchen, überhaupt nichts übrig hat. Ihm geht es um die philosophisch-religiöse Auseinandersetzung und um die Macht. Welton gibt das schon darstellerisch sehr überzeugend. Mit seiner Vollglatze und der schneidenden Stimme ist er in dieser Rolle großartig besetzt. Als atheistischer Intellektueller kann Klingsor von der Welt der Religion nicht lassen und besitzt eine ganze Sammlung von Kruzifixen, die am Ende zusammenfällt. Wir sehen also überdeutlich, was sein Problem ist. Er ist der gefallene Engel, und das Regieteam hat einleuchtende Bilder dafür gefunden.

Wie dirigiert Semyon Bychkov das Bühnenweihfestspiel?
Bühnen und Orchester können niemals nebeneinander herlaufen, sondern beeinflussen sich gegenseitig. Es gibt eine Dialektik zwischen Regie und Dirigat. Semyon Bychkov hatte das Unglück, im vergangenen Jahr den Katastrophenparsifal an der Wiener Staatsoper dirigieren zu müssen. Stundenlang musizierte er gegen die eintönige weißliche Dauerbeleuchtung der Bühne und die widersinnige Inszenierung an. Doch der Dirigent setzte dieser in Wien mit dem Staatsopernorchester eine abschattierte, auf Schönheit gestimmte Interpretation entgegen. Den gehaltenen Tempi von Wien, wo die Musik selten an Spannung verlor, stehen in Bayreuth nun vor allem im Dritten Aufzug Stellen gegenüber, die ein wenig schleppen. Allerdings liegt das z. T. auch an den besonderen akustischen Verhältnissen im Festspielhaus. Der Orchesterklang verströmt sich hier wie ein S, indem aus den unten im Orchestergraben aufgereihten Instrumenten der Klang zunächst zum Dirigenten klingt, dann von der Holzblende über dem Orchester auf die Bühne reflektiert wird, sich dort mit den Stimmen der Sänger vermischt und dann erst den Zuschauer erreicht und das mit einer Verzögerung von bis zu zwei Sekunden. Der Dirigent hört also nicht das, was der Zuschauer hört. So hat dieses wunderbare Haus, das wie ein einziger hölzerner Klangkörper ist, doch eine Neigung zum Schleppen. Allerdings ist durch Stoppen der Zeit kaum zu ermittelt, wie flott oder lahm jemand musiziert. Zeit ist in der Musik sehr relativ. Zeitliche und räumliche Relativität und deren Interferenz werden im Parsifal auch ausgesprochen, eine Generation vor Einstein; ebenso die kathartische Erinnerung von traumatisierenden Kindheitserlebnissen eine Generation vor Freud. Tempi sind eine vieldiskutiertes Causa in der Musik, besonders bei Wagner und ganz besonders im Parsifal. Wagner selbst forderte Tempi, die uns heute sehr flott erscheinen würden. Bei Bychkov stellt sich die Frage der Tempi gar nicht; die seinen scheinen vollkommen; ebenso seine Dynamik. Wenn Christian Thielemann gemäß der besonderen Klangverhältnisse in Bayreuth das Orchester zu einem singenden, sagenden Kommentar zurücknimmt, der die Handlung auf der Bühne umspült wie das immer wieder ans Ufer flutende Meer, so gilt diese dienende Haltung noch mehr für Semyon Bychkov. Das Stück nähert sich in Bayreuth dem Sprechtheater an, es wird anders gesungen und ganz anders gespielt als an herkömmlichen Opernhäusern. Das vollkommene Anempfinden, das Bychkov und das Festspielorchester im Parsifal zeigen, vermittelt ein ganz neues musikalisches Erlebnis.

Gibt es Momente der Inszenierung, die enttäuschen?
Auch die gibt es. Ein starker, rührender Moment ist doch, wenn Gurnemanz am Anfang des Dritten Aufzuges Parsifal nach vielen Jahren wiedererkennt und außerdem bemerkt, der frühere Ignorant ist gereift und hat Klingsor den Heiligen Speer entwunden. Das könnte schauspielerisch sehr viel stärker umgesetzt werden. Auch die anderen Probleme der Inszenierung hängen mit dem Heiligen Speer zusammen – und mit Kundry. Parsifal entreißt Klingsor im Zweiten Aufzug den Speer –  man könnte sogar sagen, dieser übergibt ihn ihm – zerbricht ihn und formt ein Kreuz daraus. Das darf man für einen Regiefehler halten. Parsifal ist nicht Siegfried, und den Heiligen Speer zerbricht man nicht. Dann trägt er den zerbrochenen Speer als Kreuz vor sich her. Aber Parsifal ist kein Vampirfilm. Wie die meisten Regisseure des Parsifals hat Laufenberg zudem die Figur der Kundry nur unzureichend durchdrungen. So zeigt er sie im Dritten Aufzug stark gealtert, wo sie doch aus den Zeit- und Ortsbedingungen der anderen Figuren explizit herausgenommen ist. Schwerwiegender noch geht die Inszenierung daneben, wenn Kundry in der letzten Szene überhaupt nicht mehr auftaucht. Ihr Tod ist Sinn und Zweck des Stücks. In Kundrys Tod wird ihr Wiedergeborenwerdenmüssen aufgehoben, sie geht ins Nirwana ein. Warum Laufenberg dies unterschlägt, bleibt sein Geheimnis. Hier wird sie getauft und fertig. Wie gesagt, eine überraschend christliche, ja evangelische Inszenierung!

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