Von Guido Krawinkel.
Ich treffe Andrea Kauten in Koblenz, wo sie gerade mit dem Philharmonischen Staatsorchester das Klavierkonzert von Clara Schumann probt und aufführt. Im altehrwürdigen Görreshaus inmitten der Koblenzer Altstadt steht an diesem Vormittag eine Probe mit Publikum auf dem Programm. Bei unserem anschließenden Gespräch soll es aber um Johannes Brahms gehen, dessen Klavierkonzerte Kauten unlängst eingespielt hat. Aber da ist Clara Schumann ja zum Glück auch nicht weit.
Johannes Brahms und seine musikalische Verbindung zu Clara Schumann
Feuilletonscout: Das Klavierkonzert von Clara Schumann ist ja eigentlich kurios. Der Mittelsatz wirkt fast als Romanze oder Solo-Kadenz, um die herum der erste und der dritte Satz gruppiert sind. Außerdem bestreitet das Klavier den Mittelsatz fast alleine……
Andrea Kauten: Das stimmt. Aber die innige Freundschaft zwischen Brahms und Clara Schumann kam ja erst später. Wenn sie es danach komponiert hätte, dann könnte man dem jetzt was Symbolisches andichten, aber das geht natürlich nicht. Also von daher kann man da noch keinen Bezug herstellen.
Feuilletonscout: Wohl aber von Brahms zu Clara. Der hat im Mittelsatz des zweiten Konzertes ja ein musikalisches Porträt von Clara komponiert, wie er jedenfalls selbst schreibt.
Andrea Kauten: Das wusste ich ehrlich gesagt noch gar nicht. Ich glaube, dass die beiden bei allen Spekulationen eine künstlerisch sehr befruchtende Bekanntschaft hatten. Und das ist ja am Schluss das, was zählt.
Brahms’ Klavierkonzerte und ihre tiefen Kontraste
Feuilletonscout: Auf der CD sind die beiden Klavierkonzerte und die Intermezzi op. 118 zu hören, das ist ein gewisser Kontrast. Zum einen diese beiden Kolosse von Klavierkonzert, die ja allein durch ihre schiere Länge und Schwierigkeit die Pianisten und Hörer erschlagen und dann so kurze, intime Stücke hinterher. Wie kam es zu dieser Paarung?
Andrea Kauten: Die Klavierkonzerte standen fest, die wollte ich unbedingt mal machen. Das war mein ganz großer Wunschtraum. Dann kam plötzlich spontan der Gedanke, man könnte doch jetzt eben genau etwas in Kontrast dazu setzen. Aber was? Etwas Kammermusikalisches! Auch in den Brahms-Konzerten gibt es ja viele kammermusikalische Momente und so ist die Kombination mit Opus 118 entstanden. Das hat wunderbar gepasst. Die Intermezzi op. 118 finde ich wahnsinnig eindrücklich, weil dieser Zyklus wirklich wie so eine Art Lebensrückschau von Brahms ist. Und ich finde, man spürt das auch. Die zwei Klavierkonzerte, die sind ja sehr virtuos, natürlich sehr symphonisch, sehr bombastisch, sehr groß angelegt. Und dann kommen diese intimen Stücke. Ich finde sie so berührend. Das ist wirklich sehr viel Schmerzliches drin, ein ganz inniges Zurückfühlen, ein Revue passieren lassen.
Feuilletonscout: Schmerzliche Momente hatte Brahms ja auch einige bei den Klavierkonzerten, wenn man etwa an die Reaktioen auf das Erste denkt. Die waren ja ziemlich vernichtend…..
Andrea Kauten: Ja, das war vernichtend. Er hatte damit keinen Erfolg. Das Zweite ist abgeklärter, schon etwas ruhiger. Und das erste hat noch ein bisschen mehr Sturm und Drang. Im Endeffekt aber ähneln sich die zwei Klavierkonzerte und sie sind ja beide schwer zu verstehen. Es dauert eben, bis man da mal in einen Fluss kommt, bis sich diese Welten eröffnen. Ein Kollege von mir hat es mal so formuliert: Bei Brahms braucht es lange, bis er gar gekocht ist. Und das ist wirklich so. Es ist großartige Musik. Es sind großartige Werke, instrumental groß besetzt und dann diese Länge. Aber es ist ein unendlich weiter Raum, der sich da eröffnet. Das erinnert mich an eine Kathedrale. Wenn man da hoch guckt, dann ist da irgendwo die Unendlichkeit, dieser weite Raum. Und das ist das, was ich so eindrücklich finde an diesen Konzerten.
Warum Brahms‘ Musik Zeit braucht, um zu reifen
Feuilletonscout: Wie lange haben Sie gebraucht, um sich diese Brahms-Konzerte anzueignen? Das sind ja doch schon allein durch die Länge und durch die technischen Anforderungen enorme Schwierigkeiten.
Andrea Kauten: Ich habe beide Konzerte schon vor Jahren einfach mal so einstudiert, ohne irgendwelche Absichten, weil ich die ganz toll fand. Und dann habe ich sie wieder ruhen lassen und jetzt wieder hervorgeholt. Ich denke, alles muss reifen. Bei diesen Brahms-Konzerten ist es eben auch wie bei einem guten Tropfen.
Feuilletonscout: Als Vertreter der sogenannten neudeutschen Schule hat FranzLiszt Brahms ja mal als Vertreter der „Posthumen Partei“ bezeichne, weil er so rückwärtsgewandt sei. Finden Sie das auch?
Andrea Kauten: Man kann das verstehen. Liszt hat ja teilweise schon fast zeitgenössische Momente in den späten Werken. Das geht schon ein bisschen in Richtung Atonalität und ist teilweise auch schon so reduziert. Bei diesem ganz späten Liszt ist es wie bei einigen Neutönern. Das ist schon eine ganz, ganz spannende Geschichte.
Feuilletonscout: Aber Brahms kommt ja eher nicht in Verdacht, dass er ein Neutöner sei. Er ist ja immer sehr traditionsbezogen. Und trotzdem wird die Musik nicht langweilig, weil er die Musiktradition, so habe ich jedenfalls den Eindruck, immer wieder neu denkt.
Andrea Kauten: Die Brahmssche Musik ist ja sehr komplex, schon in der Stimmführung, aber auch rhythmisch. Von dem her gesehen kann es ja schon nicht langweilig werden, weil da einfach zu viel passiert. Aber es gibt Leute, die empfinden ihn als zu schwer und zu schwerfällig. Und ja, es gibt auch Leute, die lieben eben keinen Brahms. Das gehört eben immer auch zur Geschichte.
Warum Andrea Kauten Brahms liebt
Feuilletonscout: Es gibt ja immer wieder diese berühmte Frage: Lieben Sie Brahms?
Andrea Kauten: Ja, sonst hätte ich ihn ja nicht gespielt! Den Film finde ich übrigens sehr schön!
Feuilletonscout: Die Frage muss man irgendwie stellen, wenn man auf Brahms zu sprechen kommt, weil sie längst zum geflügelten Wort geworden ist. Und warum lieben Sie Brahms?
Andrea Kauten: Warum? Wegen seiner Klangwelt. Ich finde die einfach ganz großartig. Es wurde ihm ja auch mal vorgeworfen, das sei zu dick, das sei zu groß, was der da macht. Aber das ist es nicht. Es ist eigentlich jede Stimme ausgewogen, hat ihren Platz.
Feuilletonscout: Was ist Ihr Lieblingsstück von Brahms?
Kauten: Oh, da fragen Sie mich jetzt was. Also eigentlich die Sonaten. Aber ich finde die kleinen Stücke von ihm auch sehr schön. Aber natürlich auch die Klavierkonzerte.
Vielen Dank für das Gespräch, Andrea Kauten!
Andrea Kauten spielt live heute, 12.101.2024, um 19 Uhr im Palais Lichtenau, Potsdam.
Andrea Kauten | Piano
Württembergische Philharmonie Reutlingen | Timo Handschuh
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