Von Guido Krawinkel.
Die beiden Klavierkonzerte von Johannes Brahms sind Paradebeispiele für eine ganz eigene Symbiose aus Tradition und Innovation. Die Grundkonzeption der Klavierkonzerte ist symphonisch – und zwar in ganz großem Maßstab. Verglichen mit den deutlich kleineren Dimensionen selbst der großen Konzerte etwa von Mozart und Beethoven, Mendelssohn, Schumann oder Dvorák, haben Brahms‘ Konzerte geradezu epische Ausmaße und stellen höchste Anforderungen an die Solisten. Dabei unterlaufen sie die typische Erwartungshaltung an ein solches Virtuosenstück nicht selten. Als Solist steht man längst nicht immer im Zentrum der Aufmerksamkeit. In Brahms‘ Konzerten ist der Solist ein Teilnehmer an einem Dialog – ein im Rampenlicht stehender und fast ununterbrochen agierender Teilnehmer, aber dennoch stets Teil des symphonischen Dialogs.
So ist es auch im Falle der Aufnahme, die die Pianistin Andrea Kauten mit der Württembergischen Philharmonie Reutlingen unter der Leitung von Timo Handschuh vorgelegt hat. Kauten bewältigt die beiden symphonischen Kolosse mit Bravour und zwar im besten Einvernehmen mit dem Orchester und dem Dirigenten. Die Reutlinger haben sich in den letzten Jahren als außergewöhnlich reges und innovatives Orchester etabliert. Hier zeigen sie nachdrücklich, dass sie auch bei den großen Schlachtrössern des Repertoires mithalten können – ebenso wie Andrea Kauten. Für sie war es ein langgehegter Traum, endlich beide Brahms-Klavierkonzerte aufnehmen zu können. Der ist hiermit in Erfüllung gegangen. Komplettiert wird die Aufnahme durch die Intermezzi op 118, die einen intimen Kontrapunkt zu den großen Gesten der beiden Klavierkonzerte bilden.
Überzeugend gelingt Kauten beides: die große Geste und die intime Stimmung, da hier die Musik im Vordergrund steht und nicht irgendein Star oder – vermeintlich – großer Name. Hinhören lohnt sich!
Andrea Kauten | Piano
Brahms – The Piano Concertos
Württembergische Philharmonie Reutlingen | Timo Handschuh
Solo Musica, 2023
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Symbiosis of tradition and innovation: Andrea Kauten plays Brahms
The two piano concertos by Johannes Brahms are prime examples of a unique symbiosis of tradition and innovation. The fundamental conception of the piano concertos is symphonic—and on a grand scale. Compared to the significantly smaller dimensions of even the great concertos by Mozart and Beethoven, Mendelssohn, Schumann, or Dvořák, Brahms‘ concertos are of epic proportions and pose the highest demands on the soloists. They often subvert the typical expectations of such a virtuoso piece. As a soloist, one is not always at the center of attention. In Brahms‘ concertos, the soloist is a participant in a dialogue—a participant who is in the spotlight and almost constantly active, but still always part of the symphonic dialogue.
This is also the case with the recording presented by pianist Andrea Kauten with the Württemberg Philharmonic Reutlingen under the direction of Timo Handschuh. Kauten masterfully handles the two symphonic colossi in perfect harmony with the orchestra and the conductor. In recent years, the Reutlingen ensemble has established itself as an exceptionally lively and innovative orchestra. Here, they emphatically demonstrate that they can also keep up with the great warhorses of the repertoire—just like Andrea Kauten. For her, it was a long-cherished dream to finally be able to record both Brahms piano concertos. This dream has now come true. The recording is completed by the Intermezzi op. 118, which provide an intimate counterpoint to the grand gestures of the two piano concertos.
Kauten convincingly succeeds in both: the grand gesture and the intimate mood, as the focus here is on the music and not on any star or supposedly great name. It’s worth listening!