Martin Schmidt ist kein gewöhnlicher Künstler – er ist ein Geschichtenerzähler, der die Grenzen klassischer Briefmarken sprengt. Mit humorvollen Illustrationen und fantasievollen Texten verleiht er den kleinen Kunstwerken eine ganz neue Dimension. Im Interview mit dem Feuilletonscout erzählt er, wie aus einer spontanen Idee ein Herzensprojekt wurde, welche Herausforderungen ihn dabei begleiteten und warum Briefmarken für ihn mehr sind als nur Postwertzeichen.
Feuilletonscout: Wie bist du auf die Idee gekommen, das Bild einer Briefmarke über ihren Rand hinaus zu erzählen? Wann war das?
Martin Schmidt: Es war ungefähr Mitte der 1990er Jahre, als ich den Umschlag für einen Brief ein bisschen verschönern wollte und auf die Idee kam, die Briefmarke weiterzuzeichnen, auf der sich ein Porträt von Franz Liszt befand. Ich stattete den berühmten Komponisten also mit einem Körper aus, der im Frack steckte und riesige Hände hatte, als Anspielung auf sein technisch hohes Können als Pianist. Die Zeichnung war recht reduziert und einfach und füllte noch nicht den gesamten Briefumschlag aus.
Die richtige Briefmarke finden: Vom Design zur Idee
Feuilletonscout: Was muss eine Briefmarke mitbringen, um als Motiv bzw. Grundlage für deine Illustrationen zu dienen?
Martin Schmidt: Das Motiv muss mich ansprechen, entweder durch die Gestaltung, also eine mich ansprechendes Design, an das ich gut anknüpfen kann, oder durch ein Ereignis oder eine Person, die mein Interesse weckt. Meistens war es so, dass ich beim ersten Anblick einer Briefmarke sofort eine Idee hatte, die ich dann weiterverfolgte. Die spontanen Bildassoziationen sind oft die besten und am Schluss auch sinnfälligsten, die sich fast allen Betrachtenden sofort erschließen.
Feuilletonscout: Wo findest du die Briefmarken?
Martin Schmidt: Die Briefmarken finden eher mich! Ich habe natürlich immer geschaut, welche Marken neu herausgekommen sind und ob sich unter den Motiven Personen finden, bei denen es mich reizen könnte, sie in eine andere Umgebung zu versetzen. Oft waren aber auch Persönlichkeiten bedacht, von denen ich noch nie gehört hatte und die mich dann erst recht neugierig machten. Trotzdem gilt auch hier: erst kommt das Design und dann das Motiv. Wenn also eine wahnsinnig spannende Person schlecht präsentiert wird, fällt es mir schwerer, daraus etwas zu machen als bei einer für mich langweiligen Person, die gestalterisch gut in Szene gesetzt worden ist.
Feuilletonscout: Wie lange arbeitest du an einer Illustration?
Martin Schmidt: Es sind in der Regel so zwischen drei und fünf Stunden konzentrierte Zeichen- und Malarbeit. Das hängt davon ab, wie kleinteilig das Motiv der Briefmarke ist und auch, wie differenziert und anspruchsvoll die Farbkombinationen angeordnet sind. Die richtigen Farben und damit Anschlüsse an ein Bild zu finden, dauert oft länger als zeichnerisch-graphische Elemente fortzuführen.
Texte und Illustrationen: Humor trifft auf Geschichte
Feuilletonscout: Die Illustrationen sind (oft) von Texten begleitet. Sie sind faktenreich, oft auch humorvoll und erklären den gedanklichen Prozess, der zur Illustration führte. Was bedeuten die Texte für dich? Wie entstehen sie?
Martin Schmidt: Tatsächlich habe ich alle Texte erst Jahre nach der Entstehung der Briefmarkenbilder geschrieben und das im Hinblick auf eine Publikation, auch wenn dieselbe dann auch noch ein paar weitere Jahre reifen musste. Ich finde, dass Texte die Bilderfahrung nochmal vertiefen können, weil sie nicht nur Informationen über historische Personen und Ereignisse geben, sondern auch Raum für kleine philosophische Reflektionen eröffnen und nicht zuletzt natürlich den Humor, der vielen Bildern eingezeichnet wurde, in liebevoller Wort-Spinnerei fortführen können. Es liegt mir am Herzen, Faktisches, Ersonnenes und Absurdes in eine sprachliche Einheit zu überführen, die den Lesenden anregen kann, sich selber um weiterführende Informationen zu bemühen. Das ist zugegebenermaßen wie eine verrückte Mischung aus Subversion und Pädagogik – schau mal, was ich dir hier Interessantes zeige, aber wenn Du es genau wissen willst, schau lieber selbst nochmal nach…
Feuilletonscout: Hast du bei der Arbeit an deinen Illustrationen etwas gelernt? Hat dich etwas besonders begeistert, überrascht, erschreckt (oder anderes)? Gab es besondere Herausforderungen?
Martin Schmidt: Das Schöne ist, dass ich bei jeder gestalterischen Aufgabe etwas Neues lerne, egal ob es sich um Briefmarkenzeichnungen oder „freie“ Arbeiten handelt. Jedes Motiv hat seine eigenen Besonderheiten und auch Schwierigkeiten. Besonders begeistert hat mich immer wieder die unglaubliche Vielfalt und mitunter auch Liebe, die Gestalterinnen und Gestalter in ihre Entwürfe legen. Deshalb hatte ich auch sehr schnell damit begonnen, die visuellen Muster weiterführen zu wollen, in dem Bestreben, dass die Briefmarke in meinem Bild nahezu unsichtbar „verschwindet“, sich optisch also optimal integriert.
Eine Herausforderung war dann vor allem, Kontakt zu den Entwerferinnen und Entwerfern der Marken aufzunehmen und mich ihren Reaktionen auszusetzen, die zu einem größeren Teil sehr positiv ausfielen, aber eben nicht nur. Was ich dabei gelernt habe, ist zu akzeptieren, dass darunter Menschen sind, die meiner Arbeit der künstlerischen Integration ihrer Motive ablehnend gegenüberstehen. Das ist ihr gutes Recht, auch wenn es so gar nicht meiner Auffassung von gegenseitiger Anregung entspricht. Wenn jemand ein Motiv von mir oder eine Idee weiterverfolgt und sich schöpferisch zu eigen macht, empfinde ich das eher als Kompliment und denke: da hab‘ ich was richtig gemacht.
Feuilletonscout: Kannst du Briefmarken eigentlich noch „normal“ anschauen? Oder beginnt in deinem Kopf sofort eine Geschichte?
Martin Schmidt: Inzwischen kann ich Briefmarken – leider – auch normal bzw. unbeteiligter anschauen. Der Hauptgrund ist der Barcode, der auf jeder Marke aufgedruckt ist und der mir ja direkt in mein integratives Konzept hineinpfuscht. Er ist visuell tatsächlich ein großes Hindernis! Natürlich habe ich aber immer auch wieder Impulse zu einer eigenen Story, die ich einem Motiv geben kann. Aber so regelmäßig die Neuerscheinungen zu checken wie früher, nein, das hat sich sehr verändert bei mir.
Feuilletonscout: Wie viele Jahre der „Briefmarkengestaltung“ umfasst dein Buch?
Martin Schmidt: In dem Buch sind ca. 25 Jahre meiner künstlerischen Beschäftigung mit den Briefmarken versammelt.
Feuilletonscout: Hat sich über die Jahre dein Blick auf die Art und Weise, wie du die Marken mit deinen Illustrationen erweiterst, verändert?
Martin Schmidt: Die Art, wie ich ein Motiv wahrnehme und die schöne Überraschung, wenn mir spontan eine Idee dazu kommt – das hat sich nicht verändert. Gestalterisch war es immer ein Mäandern zwischen sehr aufwändigen und reduzierteren, „kargeren“ Ausformungen. Das hängt auch immer von der jeweiligen Stimmung und Situation ab.
Künstlerische Herausforderungen und Lernprozesse
Feuilletonscout: Hast du ein Lieblingsmotiv?
Martin Schmidt: Ich würde die Frage von der anderen Seite her beantworten. Es gibt ein paar Motive, die mir nicht so wichtig sind wie viele andere. Allerdings ist da eines, dass mir sehr lieb ist, aber in dem Buch aufgrund der Entscheidung des Gestalters nicht enthalten ist. Bei dem schmerzt mich das besonders, aber auch bei einigen anderen, die so nicht an die breitere Öffentlichkeit kommen.
Feuilletonscout: Gibt es eine Marke, die besonders widerspenstig war?
Martin Schmidt: Nein. Ich habe keine wirklichen Kämpfe mit den Motiven ausgefochten. Wenn etwas zu sperrig war bzw. sich mir länger widersetzte, legte ich es zur Seite, denn es entspricht nicht meiner künstlerischen Auffassung, etwas zu erzwingen, bei dem die Gefahr einer bildnerischen Verkrampfung droht.
Das Buchprojekt: Crowdfunding und kreative Meilensteine
Feuilletonscout: Wann entstand die Idee bzw. der Wunsch, aus deinen Illustrationen ein Buch zu machen?
Martin Schmidt: Der Wunsch nach einem Buch wurde schon sehr früh an mich herangetragen, denn viele meiner Freunde, denen ich Briefe in farbkopierten Umschlägen mit echten Briefmarken als Frankierung schickte, fragten, wann denn das Buch herauskäme. Ich musste dann nach und nach lernen, dass bei einem Vorhaben dieser Art Rechte anderer zu beachten sind, und die Recherchen dazu erforderten viel mehr Zeit, als ich gedacht hätte. Zwischendurch verließ mich auch immer mal der Mut, und so kam es, dass es nun ein wirklich sehr lange und auch gut gereiftes Projekt nach dem Motto „Gut Ding will Weile haben“ geworden ist. Eben ein bisschen wie ein alter Käse, der auch mit seinen Löchern/Leerstellen, analog zu den fehlenden Motiven im Buch, sehr schmackhaft daherkommt.
Feuilletonscout: Finanziert wurde das Projekt über Crowdfunding. Was war das für ein Erlebnis?
Martin Schmidt: Das Crowdfunding war großartig! Ich war schon guten Mutes, dass ich die Unterstützung zusammenbekomme, aber dass das Projekt quasi finanziell überzeichnet wurde, gab mir einen tollen Spielraum, die Ausstattung und den Druck des Buches wirklich hochwertig angehen zu können. Der Zuspruch auch in den Kommentaren zu meiner Arbeit war so aufmunternd und positiv, dass ich einige Monate wirklich auf Wolken durch die Realität schwebte. Deshalb sei hier nochmal allen gedankt, die mich so liebevoll und engagiert unterstützt haben und auch dem Team der Plattform Wemakeit für seine professionelle Begleitung.
Feuilletonscout: Welches Feedback freut dich am meisten?
Martin Schmidt: Jetzt, wo schon viele das Buch ihr eigen nennen, freuen mich am meisten die Kommentare, die mir zu verstehen geben, dass meine Bilder und Geschichten als Stimmungsaufheller wirken, das Buch also an präsenter Stelle in vielen Wohnungen liegt, so dass die Menschen schnell darauf zugreifen können und sich sein Schmunzeln für den Alltag abholen. Das ist für mich das schönste Geschenk!
Feuilletonscout: Wie geht es weiter? Wird es neue Briefmarken-Illustrationen geben?
Martin Schmidt: Das will ich nie ausschließen, kann aber im Moment nicht sagen, wann und wie das der Fall sein wird. Das Buch ist erst mal Geschichte und Gegenwart in einem.
Danke für das Gespräch, Martin Schmidt!
Martin Schmidt
Phantastische Philatelie
32 Seiten, 56 farbige Zeichnungen, gebunden (Eigenverlag Martin Schmidt)
Bezug über den Buchhandel oder am besten direkt beim Autor, E-Mail: martin-schmidt@posteo.de,
www.martin-in-between.de/home/aktuelles/.
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Martin Schmidt is an artist who transforms stamps into unique extensions of creativity. What began as a spontaneous idea in the 1990s has grown into a practice of turning stamp designs into humorous, often philosophical visual stories. His process starts with selecting a stamp that inspires him through its design or historical context. Each illustration takes hours of precise work and is often accompanied by texts that explain his creative process and offer additional perspectives.
Schmidt’s book, covering 25 years of his stamp art, was funded through crowdfunding, exceeding expectations with widespread support. The book blends images and texts to deliver humor, knowledge, and inspiration.
Reflecting on the challenges and surprises of his work, Schmidt highlights the beauty and effort in the designs of other artists. While he has no immediate plans for new stamp projects, he remains open to future possibilities.