Bei seinem bunten Opern- und Operettenabend im Münchner Werk7 stellt sich der Nachwuchs vom Gärtnerplatz dem neugierigen Publikum vor. Wir begegnen vier tollen jungen Sängern und vier Jahrhunderten Musiktheater. Von Stephan Reimertz.
Wer trotz der berühmt-berüchtigten Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz noch nicht begriffen hat, was ein »Paradigmenwechsel« ist, der hätte Ende Juni ins Münchner Werksviertel kommen sollen. Nachdem sich Tenor Jacob Romero Kressin und Mezzosopran Anna Tetruaschwilly in der Causerie Vous-a-ton-dit souvent aus Jacques Offenbachs La Périchole gegenseitig neckten, bot ein einziger Akkord den beiläufig-eleganten Übergang zum hochseriösen Quartett Mir ist so wunderbar aus Beethovens Fidelio, bei dem sich Sopran Mina Yu und Bariton Jeremy Boulton zugesellten. Solche verblüffende Vereinigung des Inkommensurablen zeichnete den ganzen Bunten Abend aus, bei dem sich vier Jungstars des Opernstudios vom Gärtnerplatz dem enthusiastischen Publikum stellten.
Weniger ist mehr
Kurt Weills Youkali – vor vierzig Jahren ein Glanzstück von Ute der Langbeinigen – bot dabei eine Art Klammer dieses unterhaltsamen Opern- und Operettencapriccios. Hier konnte sich das junge Quartett in seiner charmanten Vielseitigkeit vorstellen. Es wurde dabei unterstützt von Pianist Mauro Filippo Zappalà und Mitgliedern des Orchesters des Staatstheaters am Gärtnerplatz: Streichquartett (Violine, Bratsche, Cello, Bass), Flöte, Horn, Reed und Schlagzeug – das war’s! Ob bei Mozarts Entführung, Purcells King Arthur, Massenets Werther oder Operetten wie Heubergers Opernball, Berlins White Christmas und im Letzten Walzer von Oscar Straus; wieder einmal bewiesen die Musikanten vom Gärtnerplatz, wie die Reduktion einer großen Orchesterpartitur auf eine Kammerfassung verborgene Momente der Musik freilegen kann.
»What Ever Works« – erotisch und musikalisch
Unter der musikalischen Leitung von Stephen Delaney, der vierhundert Jahre Musikgeschichte in dem geschickten und immer wieder überraschenden Arrangement von Peter Foggitt dirigierte, hatte Florian Hackspiel aus den berühmten Partien eine Art Dramolett erschaffen, das uns in eine beschwingte und flirtative Stimmung versetzt. Unterschiedliche erotischen Konstellationen überraschten im improvisierten Bühnenraum des Werk7, wobei einige tolldreiste Possen noch in den Fünfziger Jahren gewagt gewesen wären und heute eher abgestanden wirken. Ich würde mich wundern, wenn sich der australische Bariton Jeremy Boulton in seiner sensiblen, bisweilen sehnigen Gesangsgestaltung nicht auch zum Monteverdi-Experten entwickeln könnte. Mezzo Anna Tetruaschwilly wiederum besticht durch enorme Biegsamkeit und Kraft ihrer Stimme, wobei ihre darstellerische Begabung der stimmlichen problemlos folgt. Dem kalifornischen Tenor Jacob Romero Kressin, wie alle anderen bereits international erfolgreich, könnte eine bedeutende Rolle in der weltweiten Offenbach-Pflege zuwachsen.
Der Kaiser der Musik kommt aus Köln
Denn der glanzvolle, unter dem Titel Bel Canto Me stehende Abend hat wieder bewiesen, dass Jacques Offenbach nicht nur der pariserischste aller Kölner Rabbisöhne, sondern auch der pariserischste aller Pariser ist. Kaum etwas verbindet seinen Typus der schnellen aufgedrehten Musikkomödie mit den neoromantischen Erzeugnissen der Kollegen Heuberger und Straus, so dass es nachgerade komisch anmutet, für beides den Oberbegriff Operette zu verwenden. Die lyrische Sopranistin Mina Yu aus Seoul wiederum zeigte sich dem Smatana-Fach ebenso gewachsen wie Operette und Klassik; mit ihrer geballten Energie und Komik verlieh sie dem vergnügten Abend eine starke weibliche Note.
Gärtnerplatztheater
Gärtnerplatz 3
80469 München
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Capriccio Amoroso behind Ostbahnhof: The new generation from Gärtnerplatz
At the colorful opera and operetta evening at Munich’s Werk7, the young talents from Gärtnerplatz introduced themselves to a curious audience. We encountered four talented young singers and four centuries of musical theater. The evening began with a playful causerie from Offenbach’s La Périchole, followed by Beethoven’s serious quartet from Fidelio. These unexpected transitions characterized the entire evening, during which four rising stars from the Gärtnerplatz opera studio showcased their talents.
The quartet, supported by pianist Mauro Filippo Zappalà and members of the Gärtnerplatz State Theater Orchestra, displayed charming versatility. Whether in Mozart’s Abduction, Purcell’s King Arthur, Massenet’s Werther, or operettas like Heuberger’s Opera Ball and Berlin’s White Christmas, the musicians demonstrated how reducing a large orchestral score to a chamber version can reveal hidden moments in the music.
Under the musical direction of Stephen Delaney, who conducted four hundred years of music history in a skillful arrangement, Florian Hackspiel created a dramatic piece that set a lively and flirtatious mood. Various erotic constellations surprised in the improvised stage space, with some now seeming rather outdated.
The singers were particularly impressive: Mezzo Anna Tetruaschwilly stood out with the flexibility and power of her voice, while baritone Jeremy Boulton impressed with his sensitive vocal performance. Tenor Jacob Romero Kressin could take on a significant role in the worldwide appreciation of Offenbach, and lyric soprano Mina Yu from Seoul demonstrated her versatility in operetta and classical music.
The evening, titled Bel Canto Me, proved that Jacques Offenbach is not only the most Parisian of all Cologne rabbi’s sons but also the most Parisian of all Parisians. Mina Yu’s energy and comedy gave the evening a strong female note.