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Christian Busch: „Erfolgsfaktor Zufall“

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Literatur

Von Kirsten Kohlhaw.

Serendipi-was? Der englische Ausdruck Serendipity für das Auffinden von etwas zuvor nicht bewusst Gesuchtem bzw. den glücklichen Zufall klingt deutlich schwungvoller als die deutsche Direktübersetzung Serendipität. Verständlich also, dass Christian Busch, der im englischsprachigen Raum seit Jahren zu diesem Thema forscht und publiziert, die aktualisierte deutsche Ausgabe seines Buchs »The Serendipity Mindset« »Erfolgsfaktor Zufall« genannt hat. Wie man sich den Zufall aktiv, anders und besser zunutze machen kann – dafür will Busch auf fast 300 Seiten eine breite Leserschaft sensibilisieren. Denn Serendipity beschreibt ein Phänomen, das viele Menschen – sind sie einmal mit dem Begriff und seinen Zuschreibungen vertraut – weltweit als das Geheimnis ihres Erfolgs bezeichnen.

Ein Blick in die Geschichte der Serendipität hält viele spannende Beispiele bereit, in denen Erfinder und Entrepreneure Produkte „aus Versehen“ entdeckt haben. Es lassen sich mindestens drei Wege identifizieren, mithilfe derer ein vorbereiteter Geist dem Zufälligen Momente abluchst, in denen es klickt macht, und diesem Aha-Moment so lange nachgeht, bis daraus etwas Neues, Mehrwertiges entsteht. Anhand zahlreicher Beispiele und Anekdoten aus seinem beruflichen und privaten Umfeld der letzten 15 Jahre in England und den USA macht Busch erfahrbar, in welcher Art und Gestalt Serendipität allgegenwärtig ist und wie es das Leben erfolgreicher und inspirierender Menschen (und Organisationen) immer wieder positiv beeinflusst.

Der Erfolgsfaktor Zufall im Sinne der Serendipität unterscheidet sich, das macht Busch gleich zu Anfang klar, vom puren Zufall, wie zum Beispiel dem Glück, in eine wohlhabende Familie geboren worden zu sein. Die wichtigste Zutat für den Erfolgsfaktor Zufall sei, das betont Busch an verschiedenen Stellen im Buch immer wieder, ein aufgeschlossener Geist. Nur mithilfe einer gewissen geistigen Offenheit (und Systematisierung eben jener inneren Haltung) lassen sich zufällige Begegnungen und Ereignisse in freudvolle und lebensbereichernde Möglichkeiten verwandeln. Dies gelingt umso besser, wenn wir uns auch der wahrnehmungs- und verhaltenshemmenden Mechanismen bewusst sind. Deshalb kommt der Autor auch auf Serendipitätsbarrieren, also kognitive Abkürzungen oder Biases zu sprechen, bevor er seinen Erfolgsleitfaden weiter ausrollt.

Cover: Murmann Publishers

Und wie lässt sich nun Serendipität im eigenen Alltag konkret fördern, ohne dabei so engagiert planvoll und zielgerichtet zu agieren, dass man dem Unerwarteten keinen Raum mehr gibt?

Dem hinter dieser Frage lauernden Paradox versucht Busch mithilfe kleiner Serendipity Workouts zu begegnen, die das empirische Wissen aus seiner bisherigen forschenden, lehrenden und beratenden Tätigkeit kondensieren. Diese Checklisten am Ende der einzelnen Kapitel erweitern das eigene Bewusstsein für diese spezielle Form von Zufall und regen an, den eigenen Serendipity-Quotienten zu vergrößern. In seinem Bestreben, dem Phänomen einen Platz im individuellen Bewusstsein zu verschaffen, ohne es zu einem „to do“ auf der Agenda zu degradieren, leistet das Buch einen wertvollen Beitrag für die Kunst des Kultivierens von Serendipity.

Was die Wissenschaft des Kultivierens von Serendipity anbelangt, lässt Busch in »Erfolgsfaktor Zufall« jedoch viele Fragen offen. Bisweilen hat es den Anschein, als wolle der Autor in seinem Eifer, den Erfolgsfaktor Zufall in immer mehr Köpfen und Herzen zu verankern, schlichtweg alles, was einem im Leben ungeplant Gutes passieren kann (und wie man damit umgeht), unter der Überschrift Serendipität versammeln.

So ist zum Beispiel nicht klar ersichtlich, in welchem Verhältnis Serendipity zu anderen Erfolgsheuristiken, Problemlösungskompetenzen und Themenfeldern im Umfeld von Entrepreneurship steht, wo Überschneidungen sind oder klare Abgrenzungen. Mit Resilienz (also der Anpassungsfähigkeit an belastende Einflüsse und Stressoren), Effectuation (einer Heuristik für erfolgreiches unternehmerisches Handeln unter Ungewissheit, die einen Gegenpol zu linear-kausal ausgerichteten Management-Strategien bildet) oder Intuition (dem unmittelbaren Erkennen oder Erahnen als Ausdruck verdichteten Erfahrungswissens) seien an dieser Stelle nur einige Schlagworte genannt. Auch bleibt unklar, aus welchen Zutaten so ein Serendipity-Mindset-Mix optimalerweise bestehen sollte. Oder in welchem Verhältnis welche Anteile in dem Mix begünstigend oder hemmend auf das Serendipity Mindset wirken können. Wieviel ist durch den Habitus, also in der individuellen Werkseinstellung einer Persönlichkeit angelegt? Welchen Anteil am eigenen Serendipitäts-Quotienten haben Fähigkeiten, die Persönlichkeiten selbstverstärkend und feedbackbasiert im Laufe ihres Lebens entwickeln? Und wieviel Gewicht haben äußere Faktoren wie Umfeld, Kontext und Timing in Bezug auf das Serendipity-Mindset und dessen Entwicklung?

Auch das Thema „Inkubationszeit“ von Serendipität, also die Dauer von dem Moment, in dem ein entscheidende Trigger gesetzt wird, bis zum Moment, in dem man (rückwirkend?) erkennt, dass hier Serendipity am Werke ist, bleibt etwas schwer greifbar, weil individuell und situationsbezogen sehr unterschiedlich und dadurch schwer messbar. Und das Problem der individuellen und situativen Bewertung vermag das Buch ebenfalls nicht zu lösen. Denn wann sich eine zufällige Störung, ein Unfall oder ein Pech in Glück verwandelt und wie wir (rückwirkend) auf die Sache blicken, wenn sich (ehemaliges) Glück in Pech verwandelt, ist immer an eine bestimmte Perspektive und einen bestimmten Zeitpunkt geknüpft. Doch sind dies Fragen, die sicher in der Serendipitäts-Forschung weiter diskutiert werden.

Unabhängig davon liefert das im Buch enthaltene Plädoyer für mehr Serendipität eine äußerst spannende, transdisziplinäre Perspektive auf Fragen nach dem individuellen Unternehmergeist im Unternehmertum und im gesellschaftlichen Miteinander. Bedenken wir die Komplexität der großen und kleinen Fragen unserer Zeit, ist ratsam, erstmal alles willkommen zu heißen, was zu einem gelingenden Leben beiträgt. Für den Einzelnen in seinem unmittelbaren Umfeld wie auch für eine global vernetzte und interdependente Weltbevölkerung von bald 10 Milliarden Menschen auf einem Planeten mit begrenzten, endlichen Ressourcen.

Die Beispiele, die Busch aus seinem von international agierendem Unternehmertum und Unternehmergeist geprägten Umfeld bringt, sind allesamt eindrücklich und inspirierend. Somit besteht die große Leistung des Autors und des Verlages Murmann Publishers darin, Buschs Beiträge zur Serendipity-Forschung der letzten Jahre für ein deutschsprachiges Publikum verständlich und anregend aufzubereiten. Denn wie sich das eigene Leben in hochdynamischen und komplexen Zeiten mit mehr Gelassenheit anreichern lässt, ohne an Selbstwirksamkeit einzubüßen, ist eine der spannendsten Fragen unserer Zeit – und sie betrifft uns alle. So macht »Erfolgsfaktor Zufall« allen Menschen Mut, die bereit sind, sich auf eine bewusste Reise mit dem Zufall einzulassen. Wer sich für Serendipität öffnet, erschließt sich – so viel ist gewiss – eine Welt voller neuer Möglichkeitsräume. Allein das darf schon als Erfolg gewertet werden.

Christian Busch
»ErfolgsfaktorZufall. Wie wir Ungewissheit und unerwartete Ereignisse für uns nutzen können«
Murmann Publishers, Hamburg 2023
bei amazon
bei Thalia

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