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„Das Jagdgewehr“: Opernkunst zwischen Stille und Sturm

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Explosion der Gefühle: Das Alte Residenztheater München präsentiert mit „Das Jagdgewehr“ die bisher einzige Oper des 1963 in Innsbruck geborenen Komponisten Thomas Larcher. Ein hochästhetisiertes Kammerspiel mit enger Beziehung zur literarischen Vorlage. Von Stephan Reimertz

Ein Flüstern aus Klang

Ein konzentrierter Abend: Thomas Larchers Oper Das Jagdgewehr, 2018 bei den Bregenzer Festspielen uraufgeführt, zeigt sich in seiner Münchner Erstaufführung als ein Werk von nachgerade diabolischen Kompositionskünsten im Bereich der freien Tonalität und der musikgeschichtlichen Assoziationen. Auf den ersten Blick scheint wenig zu geschehen. Drei Frauenstimmen kreisen um einen Mann, um einen Moment der Liebe, des Verrats, der Einsamkeit. Doch was wie ein leises Kammerspiel beginnt, entfaltet sich bald als seelisches Klingen.

Drei Stimmen, ein Echo

Das Libretto von Friederike Gösweiner nach Yasushi Inoues Roman Das Jagdgewehr (Ryoiu) aus der unmittelbaren Nachkriegszeit, hält sich eng an den Text der deutschen Übersetzung von Oskar Benl (1966), reduziert und verdichtet. Der Dichter ist in Hokkaidō geboren, auf Izu im Schatten des Fuji aufgwachsen und zählt zu den schon im Schulunterricht in Japan gelesenen kanonisierten Klassikern. In seinem Roman schreibt ein Dichter einem ihm unbekannten Mann, nachdem er ein melancholisches Gedicht über einen einsamen Jäger gelesen hat – der Mann erkennt sich darin wieder und sendet dem Dichter drei Briefe von Frauen aus seinem Leben. Diese Briefe, geschrieben von seiner Frau, seiner Geliebten und deren Tochter, enthüllen eine tragische Geschichte von Liebe, Schuld und Einsamkeit. Durch die Perspektivwechsel entsteht ein vielschichtiges Bild eines Mannes, der versucht, mit den Konsequenzen seiner verborgenen Leidenschaften zu leben. Die Struktur der drei Briefe bleibt in der Oper erhalten, aber sie wird aufgebrochen durch musikalische Überlagerungen, durch Andeutungen von Szenen, die nur innerlich erlebt werden. Es ist keine Erzählung im herkömmlichen Sinne, sondern ein Erinnern, ein inneres Wiederholen – immer aus der Perspektive derer, die verletzt wurden oder selbst verletzten.

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Das Jagdgewehr | Ja, Mai Festival 2025 | Premiere am 02.05.2025
© Geoffroy Schied

Meister im Ohr

Der sizilianische Kapellmeister Francesco Angelico stimuliert die Mitglieder des Bayerischen Staatsorchesters, die hier in kammermusikalischer Formation auftreten, zu äußerster Präzision im Vortrag dieser sehr bewussten, sehr köstlichen, aber niemals prätentiösen Musik. Denkt man an eine Oper wie der vor 98 Jahren in geographischer Nähe uraufgeführten Palestrina von Hans Pfitzner, wird man gewahr, dass sich auch hier die Stimmen Alter Meister als gnadenloses Über-Ich einmischten. Larchers Alte Meister, das sind vor allem, Ligeti, Penderecki und Schubert, bei denen sich der Tiroler rückversichert, vor allem aber Claudio Monteverdi. Drei Madrigale des norditalienischen Meisters werden unverändert, wie als objets trouvés, eingefügt, das erste bereits im Foyer von eineinhalb Dutzend Brillenträgern (Regieidee oder Zufall?) von der Empore im Foyer herab gesungen vor Beginn der Oper. Ihre schwarzweißen Pyjamas waren offenbar ein unwiderstehliches Sonderangebot von Beck am Rathauseck.

Larcher liebt Monteverdi. Wer nicht? Wenn er uns in der Konfrontation seiner eigenen Musik mit jener des Orfeo-Schöpfers nachweisen will, dass er ebenso gut komponieren kann, dann ist es in Ordnung. Denn das kann er und braucht die Madrigale nicht, zumal seine eigene Partitur oft genug auf Monteverdis Harmonik anspielt. Sind die Einfügungen aber nur Verbeugung vor einem Klassiker und Rückversicherung, müsste man dem Tiroler Musiker allerdings ein übergroßes musikalisches Über-Ich bescheinigen. Für seine Generation, ja Alterskohorte ist die Raffinesse und Überästhetisierung typisch; gleichsam, als  wollte er sein Werk nach allen Seiten hin abdichten und unangreifbar machen.

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DAS JAGDGEWEHR 2025: X.PUSKARZ, THOMAS J.ZARA, V.BISPO, D.JONES
Das Jagdgewehr | Ja, Mai Festival 2025 | Premiere am 02.05.2025
© Geoffroy Schied

Wo Musik atmet

Larchers Musik flackert, tastet, bricht aus, zieht sich zurück. Immer wieder gibt es Momente der Stille, des stockenden Atems. Die Instrumentation ist ungewöhnlich, einfallsreich, hyperästhetisch, subtil, oft kammermusikalisch. In diesen Klängen liegt etwas Zartes, aber auch etwas Bedrohliches. Die Partitur schafft ein Analogon zum Stilprinzip des novellistischen Romans: Dort werden große innere Stürme und Katastrophen in erzählerischer Zurückhaltung geschildert.

Kammerchor und -orchester in München spielen mit großer Präzision und innerer Beteiligung, z. T. aus den Rängen. Die drei Sängerinnen (Juliana Zara als Shoko, Eirin Rognerud als Midori, Xenia Puskarz Thomas als Saino) tragen ihre Rollen mit Wärme und Zurückhaltung, ohne je ins Sentimentale abzugleiten, sind allerdings auch zu artistischen Koloraturen in der Lage, wie sie diese kunstvolle Partitur mitunter fordert. Interessant ist, wie sich ihre tänzerischen Kostüme, z. T. an der Grenze des Clownesken, von den einfachen Gewandungen der Chorsänger abheben. Jule Saworski, die für Bühne und Kostüme verantwortlich zeichnet, stellt einen dreiteiligen fünfeckigen Trichter in den Mittelpunkt der Bühne, der überraschend variiert werden kann. Sie rückt die Handlung auf eine Meta-Ebene. Ulrike Schwabs Inszenierung wird den hohen artistischen und artifiziellen Herausforderungen von literarischer Vorlage, Libretto und Partitur mit ihrem eigenen Regie-Kunstwerk gerecht.

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‘The Hunting Rifle“: operatic art between calm and storm

Thomas Larcher’s only opera Das Jagdgewehr unfolds in Munich as a refined chamber drama. Based on Yasushi Inoue’s postwar novel, Friederike Gösweiner’s libretto reduces the narrative to a soundscape of memory. Three female voices recount fragments of a man’s life—love, betrayal, solitude—without traditional plot.

Larcher composes in free tonality, evoking Schubert, Ligeti, and Penderecki—above all, Monteverdi. Three madrigals by the Renaissance master are inserted unchanged, contrasting with Larcher’s flickering, fragile textures. Under conductor Francesco Angelico, the Bavarian State Orchestra plays in chamber formation with precision and restraint.Sopranos Juliana Zara, Eirin Rognerud, and Xenia Puskarz Thomas combine warmth with virtuosic agility. Director Ulrike Schwab and set designer Jule Saworski place a transformable funnel at the center of the stage, adding abstract depth. Rather than telling a linear story, the opera offers a sonic mirror of inner turmoil.

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