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Zappelduster zwischen Bein und Lichtschrein

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Überall in München liest man: Jean & Antonín. Ein cooles Modelabel? Ein Künstlerpaar? Ein neues Café im Glockenbachviertel? Weit gefehlt: Ein Doppel-Tanztheater zu Musik von Sibelius und Dvořák am Gärtnerplatz! Stephan Reimertz taucht ein in die Zwischenwelt.

Der neue Tanz ist nekrophil,
so geht es auch mal ohne Stil.

Am Dienstag stiegen Jean & Antonín wieder in den Ring. Mit der spätavangardistischen Tanztheaterproduktion will das Gärtnerplatztheater in München zeigen, dass es ganz up to date ist. Tatsächlich aber beweist das Haus, dass es unübertroffener Experte dafür ist, Altbackenes aufzubacken. Auch das muss man können. Die traulich-familiäre Atmosphäre des Theaters freilich ist in München einzigartig. Man glaubt unter einem zeitlosen Publikum zu wandeln, welches schon den Uraufführungen von Marieluise Fleißer beigewohnt hat, und das, obgleich die meisten Besucher der Saisonpremiere von den Münchner Mädchengymnasien angeliefert wurden, pubertäre Edelfische in Rock und Bluse, welche zu dem sich irrtümlich als modern empfindenden Tanztheater auf der Bühne gar nicht schlecht passten. Wieder einmal fragte man sich: Wo sind die Hauptdarsteller? Auf der Bühne oder im Zuschauerraum?

Der todesmutige Ire und sein alt-neues Tanztheater

Wenn alles offensichtlich ist,
frag dich, ob du hier richtig bist.

Das Tanztheater-Diptychon folgte der Idee: Michael Keegan-Dolan choreographiert die 8. Symphonie von Antonín Dvořák, Karl Alfred Schreiner die 7. Symphonie von Jean Sibelius, jeweils mit dem Corps de ballet. Ein solches Wagnis ist mutig, denn wie sollte eine Choreographie zu einer sehr bedeutungsschweren, programmatischen Musik wie der Symphonik dieser beiden Komponisten ein Gegengewicht darstellen? Tatsächlich ist Antonín Dvořáks G-Dur Symphonie von großer musikgeschichtlicher und kulturpolitischer Bedeutung. Einerseits musste sich der böhmische Komponist hier mit dem Erbe der deutschen Symphonie Brahmsscher Prägung herumschlagen, andererseits arbeitete er an der Auflösung derselben und der Suche nach einer neuen, gelösteren Form, die dazu noch spezifisch slawisch sein sollte. Mit diesem Werk wollte Dvořák sich zudem in Russland blicken bzw., hören lassen, wohin er auf Einladung Tschaikowskys reiste. Das Werk ist also ungeheuer überfrachtet, umso mehr muss man den Komponisten besonders für das anmutige Allegretto bewundern.

»Antonín« © Marie-Laure Briane
Trauern um das Tanztheater

Das heißt aber nicht, dass die symphonische Literatur im Allgemeinen und Dvořáks »Slawische« Symphonie im Besonderen als freie Verfügungsmasse für den Ballettbetrieb bereitstehen. Der irische Choreograph Michael Keegan-Dolan beweist geradezu halsbrecherischen Mut, wenn er mit seiner Theaterschöpfung ausgerechnet in Deutschland, dem Geburtsland des modernen Tanztheaters, auftaucht und zehn Jahre nach dem Tod von Pina Bausch eine Choreographie vorstellt, für die es nur ein Adjektiv gibt: zappelduster. Meist schlackernde Bewegungen folgen jedem Impuls der Musik, so dass man glaubt, Pubertiere vor sich zu sehen, die vor dem Plattenspieler dirigieren üben. Tödlich aber ist die Idee, Dvořáks hochkomplexe Musik durch das Tanztheater allegorisch überhöhen zu wollen. Hier wird ein schwarzer Beerdigungskarneval abgefackelt, der an die zahlreichen misslungenen Parsifal-Inszenierungen der vergangenen Jahre erinnert (etwa das Zappelfest 2013 in Salzburg oder das Himmelfahrtskommando 2017 in Wien). In der Mitte der Bühne steht ein Sarg, und wie zu erwarten war, erhebt sich die Leiche am Ende des Stückes und raucht eine Zigarette. Keegan-Dolan will offenbar die schwarze Seite der Musik hervorkehren und postsymphonische Trauerarbeit leisten. Wir schlagen vor, das Stück statt Antonín gemäß den vier Sätzen der Symphonie: Vier Trauerphasen nach Kübler-Ross zu nennen.

Vorsicht bei der Musikauswahl!

Dem Schwarz in Antonín steht Sandbeige in Jean als beherrschende Farbe gegenüber. Karl Alfred Schreiner zeigt die Tänzer des Ensembles als geheimnisvolle Zwischenwesen in amöbenhaften Bewegungen zwischen Sein und Nichtsein. Seine Choreographie ist sehr viel vermittelter als jene Keegan-Dolans. Er stiftet eine Meta-Ebene zwischen Tanz und Musik, die unbedingt nötig ist. Sein Jean zieht den Zuschauer in eine Art Urtraum der Lebewesen. Eine heidnische Feuerstelle flackert auf der Bühne und stellt den thematischen Brückenschlag zum nekrophilen ersten Teil her. Wer sich einer so bedeutenden Musik aussetzt wie der C-Dur-Symphonie von Jean Sibelius riskiert allerdings ebenfalls, dass der Zuschauer auf die Idee kommen könnte, ohne die Tanzvorführung sei die Symphonie noch besser.

Jean und Antonín
Weitere Termine am 8. und 11. März 2018
Für Tickets hier klicken

Gärtnerplatztheater
Gärtnerplatz 3
80469 München

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