Eine Theater-Rezension von Stephan Reimertz
Was Elizabeth I. und Maria Stuart im England des sechzehnten Jahrhunderts waren, das verkörperten Alice Schwarzer und Esther Vilar in den siebziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts in West-Deutschland: Amazonen auf feindlichen Posten. Wie bei den beiden Britinnen konnte auch zwischen der rheinischen Feministin und der hochsensiblen, international aufgewachsenen deutsch-argentinischen Schriftstellerin der Unterschied kaum größer sein. Zudem verfügte die sieben Jahre ältere Vilar, anders als Schwarzer, über einen jüdisch-großbürgerlichen Familienhintergrund. Die entscheidende Meinungsverschiedenheit zwischen diesen auch im Tonfall sehr unterschiedlichen Damen sollte sich als äußerst produktiv erweisen: Esther Vilar liebt die Männer und Alice Schwarzer nicht.
Im Februar 1975 strahlte der WDR ein unmoderiertes Streitgespräch zwischen den Rivalinnen aus. Der legendäre Straßenfeger konnte es mit jedem Boxkampf aufnehmen und ist noch heute auf Youtube spannend anzuschauen; ein tragischer Konflikt wie im klassischen Drama: Beide haben Recht.
Männerfreundin versus Feministin aus Leidenschaft
Alice Schwarzer als Bulldozer des deutschen Feminismus weist mit meist leicht gesenktem Kopf zurecht auf die Unterdrückung der Frau hin. Einen bessere Reklame konnte ihr zeitgleich als rororo-Taschenbuch erschienenes Werk Der kleine Unterschied und seine großen Folgen kaum bekommen. Er wurde zu Recht ein Bestseller, der das ganze Land aufrüttelte und zusammen mit der von ihr gegründeten Zeitschrift Emma entscheidend dazu beitrug, dass sich die Situation der Frauen und die Einstellung der Männer langsam veränderten. Esther Vilars Streitschrift Der dressierte Mann war bereits vier Jahre früher erschienen. Es ist das Plädoyer einer Frau, die in die Männer verliebt ist und die Meinung vertritt, diese würden von den Frauen, die aus ihrer Schwäche eine Stärke zu machen verstehen, und die Sex als Waffe einsetzen, ausgebeutet.
Auch in ihren Büchern haben beide Frauen Recht. Die beiden erfolgreichen Veröffentlichungen scheinen sich nur darum zu widersprechen, weil Schwarzer eher von Frauen der Unter- und Mittelschicht, Vilar von jenen der Oberschicht und oberen Mittelschicht berichtet.
Ein Pamphlet wird zum Theaterstück
Beide Bücher wurden sprichwörtlich. Der fleißige Dramatiker und Schriftsteller John von Düffel hat nun bewiesen, dass sich Vilars Werk in keiner Weise für die Bühne eignet. Der dressierte Mann hatte am Mittwochabend in München als Vier-Personen-Stück Premiere. Für eine Dramatisierung von Alice Schwarzers Kleinem Unterschied müssen wir wohl auf einen neuen Rainer Werner Fassbinder warten. Doch wieviel Vilar steckt überhaupt in der Komödie, die sich als Dramatisierung des Geschlechterkampf- Klassikers ausgibt und bereits im Sommer 2012 am Berliner Kurfürstendamm über die Bühne ging? Martin Woelffer, Spross der bekannten Theaterdynastie vom Ku‘damm, inszenierte die Vilar-Dramatisierung des fleißigen Autors nun auch in München. Offenbar gibt es in der deutschen Literatur keine Theaterstücke. Seit Jahren wird an deutschen Theatern ein Roman nach dem anderen dramatisiert. Nun sind die theoretischen Werke dran. Bei Vilar-Düffel bleibt die Beziehung von Pamphlet und Komödie sehr locker. Obgleich Düffel viele wörtliche Zitate verwendet, wirkt das ganze beliebig. Man hätte auch zwanzig andere Stücke aus dem Buch von Esther Vilar machen können.
In der Komödie im Bayerischen Hof spielte Michael von Au, 52jähriger Berliner und in München aus Kammerspielen und Resi bestens bekannt, den verunsicherten Neuen Mann Sebastian, den er schon in Berlin gegeben hatte. In dem Münchner Boulevardtheater stand ihm die schicke Hamburgerin Anika Pages als seine Freundin Helen zur Seite. Die beiden haben ein Problem, mit dem sich heute immer mehr Paare herumschlagen müssen: Sie verdient wesentlich mehr als er. Das kränkt das männliche Selbstbewusstsein und stellt die alte Rollenverteilung in Frage. Mit zum Teil surrealen Auftritten nehmen die beiden Helikoptermütter das Leben des Paares fest in die Hand. Dabei gibt Cordula Trantow, die auch als Regisseurin und Intendantin tätig ist, als Bastians Mutter Dr. Elisabeth Schröder-Röder die Steinzeit-Feministin. Gefährlich wird es, als sich diese mit Helens Mutter Konstanze Engelsrecht verbündet, dargestellt von Filmstar Karin Dor. Mutter Konstanze vertritt die Ansicht, dass ein Mann vor allem Cash-Cow sei, die gemolken werden und der Frau ein möglichst angenehmes Leben bieten soll.
Komödie ohne Esprit
Besonders im zweiten Teil hat Düffel den Figuren seitenlang Zitate aus dem Klassiker von Vilar in den Mund gelegt. Doch der Sprengstoff aus dem Geschlechterkampf von 1971 zündet heute nicht mehr, auch wenn die meisten Besucher der Premiere damals in ihren Zwanzigern waren und den durchweg platten Pointen gern Applaus spendeten. An keiner Stelle wird die Inszenierung psychologisch, die Figuren bleiben Pappkameraden, und die sehr begabten Darsteller können aus der Chose auch nicht mehr herausholen als drin steckt. Dabei wäre ein Stück, gern auch eine Komödie, über heutige Paarbeziehungen dringend erwünscht. Die Beziehung von Mann und Frau ist heute nicht weniger im Umbruch als Anfang der siebziger Jahre. Die Probleme von damals, das zeigt dieser Abend eindrücklich, lassen sich aber mitnichten auf heute projizieren.
Es wurde am Mittwochabend viel gelacht. Dennoch war das Ganze nicht witzig. Der Abend wirkte flach und bemüht, die Rechnung ging dramaturgisch nicht auf. Rasantes Komödiantentum wie im Londoner Westend ist in Deutschland selten. Eher ähnelt dieser Typus von Komödie den Produktionen, die man auch in Paris über sich ergehen lassen muss und in denen bekannte TV-Gesichter untergebracht werden müssen.
Julia Hattsteins Bühnenbild nahm Motive aus der Einrichtung der siebziger Jahre auf und bestach durch eine Schiebewand, die sich jederzeit zum Schlafzimmer öffnen kann und die über einen kreisrunden Ausschnitt verfügt. Der Abend hatte etwas von einem Klassentreffen. Viele Prominente aus Film und Fernsehen waren da, über die Stars ging ein Blitzlichtgewitter nieder. Am Buffet überraschten zahlreiche Gesichter, die einem irgendwie bekannt vorkamen, auch wenn der Zahn der Zeit niemanden verschont. Mit meinen 54 Jahren war ich einer der jüngsten im Hause.
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Eine sehr gute Beschreibung des Abends. Ich hatte den Platz neben Herrn Reimertz. Er war in der tat einer der jüngsten im Publikum . Leider ist das immer wieder der Fall in diesem von mir sehr geliebten Theater.