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„Dream Count“: Adichies neuer Roman berührt tief

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Literatur

Von Birgit Koß.

Nach zwölf Jahren legt die nigerianische Bestsellerautorin Chimananda Ngozi Adichie ihren neuen umfangreichen Roman „Dream Count“ vor. In 55 Sprachen übertragen, erschien er weltweit am selben Tag Anfang März. Die Erwartungen und Vorschusslorbeere waren riesig. So schreib der „Independent“: „über dieses Buch wird die ganze Welt sprechen“. Und die Lesung im Berliner Humboldt Forum war innerhalb weniger Stunden total ausverkauft. Was war geschehen?

Chimamanda Ngozi Adichie kehrt mit „Dream Count“ zurück

Nachdem Chimamanda Nogzi Adichie mit ihrem Roman „Americanah“ 2013/14 weltberühmt wurde und zur Ikone des neue Feminismus aufstieg, gab es eine lange Pause. Sie erzählt bei der Booklounge in Berlin, was sich in ihrem Leben in der Zwischenzeit alles verändert hat. 2016 bekam sie ihre Tochter und 2024 Zwillingssöhne – ein guter Grund nicht mehr so viel Zeit zum Schreiben zu haben, meinte sie, obwohl es weiterhin ihre große Leidenschaft sei. Außerdem ist ihr über alles geliebter Vater 2020 in der Coronazeit plötzlich verstorben – das heißt, sie konnte nicht zeitnah nach Nigeria fliegen und dort mit der ganzen Familie trauern. Was dieser Verlust für sie bedeutete, ist in dem berührenden schmalen Band „Trauer ist das Glück, geliebt zu haben“ zu erfahren. Ein Jahr später starb ebenso überraschend ihre Mutter – am Geburtstag ihres Vaters.

Vier Frauen, vier Lebenswege zwischen Westafrika und Amerika

Doch nun sind sie da – die Geschichten von vier westafrikanischen Frauen, die in Nigeria, Guinea und den USA spielen. Die Hauptprotagonistin ist Chiamaka, genannt Chia. Sie ist die Tochter eines sehr vermögenden „Big Man“ in Nigeria und lebt seit langem wohlsituiert in den USA – auf der Suche nach sich selber und der großen romantischen Liebe. Sie möchte Reiseschriftstellerin werden und über ihre Eindrücke auf ihren angenehmen Luxusreisen durch die Welt berichten. Doch es gibt viele Absagen. Eine Redakteurin meint, sie solle doch erstmal über das Elend der hungernden Frauen im Sudan oder die vergewaltigten Frauen im Krieg im Kongo schreiben. Chia kommt zu der Erkenntnis, viele Amerikaner mögen Afrikanerinnen nur, wenn sie arm sind – dann können sie wenigstens Mitleid mit ihnen haben. In der Coronazeit ganz auf sich zurückgeworfen, beginnt Chia ein Resümee über ihre gescheiterten Liebesbeziehungen und erstellt ihren „Dream Count“. Chiamaka ist auch das verbindende Glied zu den anderen drei Frauen.

Cover: S. Fischer Verlag

Ihre beste Freundin Zikora ist eine erfolgreiche Anwältin in Washington D.C., die von einer glücklichen Ehe und zwei Kindern träumt. Als sie den gutaussenden, zuverlässigen Kwame kennenlernt, scheinen ihre Gebete erhört worden zu sein. Doch als sie ihm mitteilt, dass sie schwanger ist, verschwindet er ohne Erklärung. Verstört muss sie Ihren Sohn im Beisein ihrer Mutter zur Welt bringen, zu der sie ein unterkühltes Verhältnis hat. Erst durch die Geburt des Enkels öffnet sich die Mutter ihr gegenüber und Zikora kann nachvollziehen, warum ihre Mutter trotz ihres gutsituierten Lebens in Nigeria so hart und unnahbar geworden ist.

Ebenfalls eine „Tochter aus gutem Hause“ ist Chias Cousine und Vertraute Omelogor. Die intelligente, scharfsinne junge Frau hat eine bemerkenswerte Karriere als Bankerin hingelegt. Ganz offen steht sie zu den Geldwäschen für reiche Politiker und Geschäftsleute – was, wie wir erfahren, absolut üblich im nigerianischen Finanzwesen ist. Nachdem sie selber vermögend geworden ist, unterstützt sie arme Frauen, die ihre eigene Geschäftsidee verwirklichen möchten durch kostenlose „Stipendien“. Sie kommt in die USA, um dort Kulturwissenschaften zu studieren mit dem Schwerpunkt, welche Rolle die Pornographie für die Sexualvorstellungen der Menschen hat. Doch die so selbstbewusste und selbstbestimmte junge Frau scheitet in den USA und kehrt von Depressionen geplagt nach Nigeria zurück – nur um dort von ihrer Tante zu hören, sie könne gar nicht glücklich sein – da sie keine Kinder habe!

Identität, Trauma und die Kraft weiblicher Solidarität

Die vierte Hauptperson ist Kadiatou, eine Muslima aus Guinea, die auf dem Lande unter ärmlichen Bedingungen groß wird und nach einem harten Leben einen Asylantrag mit ihrer Tochter in den USA stellt. Sehr eindrücklich schildet die Autorin Kadis Lebenswelt und zeigt, wie diese zu ihren Glaubenssätzen und Haltungen kommt. All dies entspringt der Vorstellungswelt der Autorin. Aber was Kadiatou dann in den USA widerfährt – als Reinigungsangestellte wird sie von einem VIP- Gast in der Suite des Luxushotels, in dem sie arbeitet, vergewaltigt – beruht auf der wahren Geschichte von Nafissatou Diallo, die Dominique Strauss-Kahn 2011 der Vergewaltigung bezichtigt hatte. Dies erklärt Chimananda Ngozie Adichie im Nachwort ihres Buches. In der Lesung sagte Chimananda, dass sie sich sehr gut in die Lage von Nafissatou Diallo hineinversetzten konnte und trotz des Klassenunterschieds zu Nafissatou / Kadiatou sie, die westafrikanische Frau in den USA, als „Schwester“ erkannte. Für die Autorin steht nicht die Glaubwürdigkeit der Frau sondern der enorme Angriff auf ihre Persönlichkeit durch die Öffentlichkeit im Vordergrund.

Im Nachwort ist ebenfalls zu lesen, dass es in ihrem neuen Roman für sie eigentlich um ihre Mutter geht. In öffentlichen Gesprächen erklärt sie, dass die Geschichten ohne den Tod ihrer Mutter anders ausgesehen hätten. Auch wenn Chia und Omelogor kinderlos sind, drehen sich doch bei allen vier Frauen viele ihrer Wünsche und Sehnsüchte um die Frage, ob die Mutterschaft unabdingbar zu einem erfüllten Leben einer Frau dazugehört beziehungsweise wie sehr sie das Leben einer Frau verändert.

Über Mütter, Töchter und die Würde der Frau

Chimananda Ngozie Adichie hat ein eindrucksvolles Porträt ihrer Protagonistinnen erschaffen. Vieles lässt sich über die Sichtweise der Westafrikanerinnen auf Amerika und umkehrt ablesen. Was der Autorin über alle Nationalitätsgrenzen und soziale Schichten hinweg gelingt ist, die Frage nach der Würde jeder einzelnen Frau in den Mittelpunkt zu stellen – ohne Wenn und Aber. Und fast nebenbei erfahren wir beim Lesen so viel Aktuelles und Intimes über Nigeria, Guinea und  die Vereinigten Staaten, dass es eine Freude ist, diesen Roman zu lesen, selbst wenn mir an einigen Stellen die „Beziehungsdramen“ etwas zu ausführlich waren. Wie sagte Chimanada in Berlin so schön – letztlich haben wir alle etwas von den vier Romangestalten in uns und die Literatur sei die letzte Bastion, um die Wahrheit zu erzählen ohne Selbstzensur.

Chimananda Ngozi Adichie
Dream Count
Aus dem Englischen von Asal Dardan und Jan Schönherr
S. Fischer Verlag, Frankfurt,2025
bei amazon
bei Thalia

Chimananda Ngozi Adichie
Trauer ist das Glück, geliebt zu haben
Aus dem Englischen  von Anette Grube,
S. Fischer Verlag, Frankfurt 2021
bei amazon
bei Thalia

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‘Dream Count’: Adichie’s new novel is deeply moving

Twelve years after “Americanah,” Chimamanda Ngozi Adichie returns with her new novel Dream Count—a global literary event. The story follows four West African women living between Nigeria, Guinea, and the U.S. At the center is Chiamaka, a wealthy Nigerian woman in America, searching for love, meaning, and her own voice. Her friend Zikora faces an unplanned pregnancy and a distant relationship with her mother. Chia’s cousin Omelogor, a successful banker, struggles under social expectations. Kadiatou, a Muslim woman from Guinea, applies for asylum in the U.S. after being raped by a hotel guest—her story echoes the real case of Nafissatou Diallo.

The novel bears personal weight: Adichie lost both parents within a year. She dedicates the afterword to her mother and explores the question of whether motherhood is essential to a woman’s fulfillment. Subtle, political, and deeply moving, Dream Count navigates themes of tradition, self-realization, and female dignity with literary finesse.

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