Beim Arienabend des Opernstudios der Bayerischen Staatsoper im Münchner Cuvilliérstheater stellt sich der neueste Wurf junger Sänger vor. Von Stephan Reimertz
Im Kaiserhof der Residenz delektieren sich die Besucher des Weihnachtsmarkts an Reibekuchen und Eierpunsch. Münchens schönstes Rokokotheater gleich nebenan ist bis auf den letzten Platz besetzt, und das an einem Montag. Das Opernstudio der Staatsoper lädt zum Arienabend ein, und jeder will die neuen Sänger kennenlernen. Bettina Göschl hat in einem geschickten Arrangement die Darbietungen der Debütanten in Ausschnitten aus drei Opern zusammengefasst. So bekommen wir Gaetano Donizettis Klassiker Don Pasquale ebenso wie die Ausnahmewerke Hérodiade von Jules Massenet und La Rondine von Giacomo Puccini als vom hauseigenen Klavier begleitete Kurzopern präsentiert – vor allem aber eineinhalb Dutzend neue Stimmen, neue Gesichter, neue Namen.
Erstklassige musikalische Debütanten
Die aus den Opernklassikern kondensierten Dramolette geben den Jungsängern zugleich Gelegenheit, ihre dramatischen und komödiantischen Begabungen unter Beweis zu stellen. Der polnische Bass Paweł Horodyski und der brasilianische Bariton Vitor Bispo steigen auch gleich mit einer Szene aus Donizettis musikalischer Komödie Don Pasquale ein, so gekonnt, als wären sie zwei italienische Opernroutiniers, die ihr Lebtag nichts anderes gemacht haben, als im Teatro San Carlo in Neapel Werke von Rossini, Donizetti und Bellini aufzuführen. Die südkoreanische Sopranistin Seonwoo Lee und der schottische Tenor Liam Bonthrone springen ihnen bei, und Lee gibt mit glasklaren Koloraturen schon einmal ihre Visitenkarte als kommende Königin der Nacht ab, während Bonthrone uns eine Klangschönheit ahnen lässt, die ihn für einfühlsame und heldenhafte Partien empfiehlt.
Differenzierte Interpretation eines reifen Musikwerks
Sodann springen wir musikgeschichtlich eine Generation weiter und erhalten einen Einblick in ein hochinteressantes Werk, das leider allzu selten auf dem Programm der großen Häuser steht: Die Hérodiade von Jules Massenet, nach Flauberts Erzählung aus den Trois Contes, gibt sich als typisches Produkt des Pariser Exotismus in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, zu dem auch Stéphane Mallarmés Langgedicht und Oscar Wildes auf französisch geschriebenes und später von Richard Strauss vertontes Kurzdrama über denselben Stoff zählen. Die höchst originelle Musik, die Massenet dieser Welle abgewinnt, teilt sich auf dem Klavier ganz ohne großen Orchesterzauber in ihrer kompositorischen Substanz mit. Der britische Bariton Thomas Mole eröffnet die Partie und zeigt von Anfang an größte Einfühlung in den musikalischen Charakter dieser höchst speziellen Komposition, die uns geradewegs in die französische Auffassung von mélodie führt, dabei aber ihre Ahnfrau, die Grand Opéra, nicht verleugnet. Die US-amerikanische Mezzosopranistin Natalie Lewis trägt mir frappanter Bühnenpräsenz und gewaltigem Stimmumfang dem ebenso hochgespannten wie kaleidoskophaft ausdifferenzierten Anspruch dieser Musik Rechnung. Sie wird überraschend konterkariert durch die belgische Sopranistin Louise Foor, die einem Gemälde von Dante Gabriel Rossetti entsprungen zu sein scheint und mit ihrer praeraffaelitischen Schönheit und keltischen Erscheinung zum Exotismus von Jules Massenets ebenso ungewöhnlichem wie signifikantem Werk beiträgt. Der russische Bariton Nikita Volkov bringt es mit seiner höchst ausdifferenzierten Interpretation (« Dors, ô cité perverse… ») fertig, die Spätzeit- und Weltuntergangsgefühle, die in dieser Musik unterschwellig mitschwingen, deutlich fühlen zu lassen.
La Rondine – Franz Léhars größtes Werk
Mit einer höchst mondänen, in ihrer Art selbst im Werke ihres Schöpfers unvergleichbaren Oper haben wir es im Falle von Giacomo Puccinis «commedia lirica» La Rondine zu tun. Der russische Tenor Alexej Kursanov und die norwegische Sopranistin Eirin Rognerud machen von Anfang an deutlich, welche musikalische Intelligenz sie aufzubieten vermögen, um diese gradherzige und überaus respektable Verbeugung Puccinis vor seinem genialen Zeitgenossen Franz Lehár angemessen zu interpretieren. Dieses musikdramatische Ausnahmewerk ist nämlich mitnichten auf einen Nenner zu bringen. Der kanadische Tenor Zachary Rioux belebt die Szene mit Feinfühligkeit und Kraft, so dass kein Zuschauer ein Bühnenbild vermisst oder bedauert, dass die Oper nur in Kurzform aufgeführt wird. Und wenn Louise Foor mit einem angedeuteten Arioso hervorsticht, ganz nach der Kalkulation des Komponisten viel zu kurz für den Zuhörer, der vergeblich auf eine Wiederholung wartet, läuft es einem heiß und kalt über den Rücken.
Die Zugabe bestand aus einem Ensemble der Provenienz jenes Gilbert & Sullivan-Typus von Musicaloperette, die bei uns auf dem Kontinent wenig Anklang findet. Bedauerlich erscheint die Neigung, russische Namen unter Vernachlässigung der wissenschaftlichen deutschen Transkription, welche die Slawistik seit über hundert Jahren entwickelt hat, in englischsprachiger Umschrift wiederzugeben. Das dem Wochenbeginn zum Trotz vollbesetzte Haus begrüßte die neuen Münchner Sänger mit warmer Begeisterung.
Bei Verwendung des Textes bitte Quelle angeben bzw. verlinken.
Three short operas at the Rabbit School
The aria evening of the Opera Studio of the Bavarian State Opera at the Munich Cuvilliérstheater presents three short operas in a skillful arrangement by Bettina Göschl. The debutants showcase their talents in excerpts from Gaetano Donizetti’s „Don Pasquale,“ Jules Massenet’s „Hérodiade,“ and Giacomo Puccini’s „La Rondine.“ The performances not only provide insight into the musical abilities of the singers but also into their dramatic and comedic talents.
The aria evening commences with Donizetti’s musical comedy, where the Polish bass Paweł Horodyski and the Brazilian baritone Vitor Bispo present impressive scenes. The South Korean soprano Seonwoo Lee and the Scottish tenor Liam Bonthrone complement the ensemble with their outstanding voices. The presentation continues with Jules Massenet’s „Hérodiade,“ where the British baritone Thomas Mole and the US-American mezzo-soprano Natalie Lewis convince with empathy and an impressive vocal range.
The performance concludes with Giacomo Puccini’s „La Rondine,“ interpreted by the Russian tenor Alexej Kursanov, the Norwegian soprano Eirin Rognerud, and the Canadian tenor Zachary Rioux. The musical intelligence of the singers is particularly evident in this piece, and Louise Foor impresses with a hinted Arioso.
The encore consists of an ensemble from a musical operetta in the style of Gilbert & Sullivan. Despite the Russian names and the neglect of the German transcription, the new Munich singers are warmly received by an enthusiastic audience, honoring the fully occupied house on a Monday.