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Ego ergo sum – Maxim Billers fein-szenische Erzählung „Sechs Koffer“

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Von Carsten Schmidt.

Maxim Biller ist für Bücher unterschiedlichster Länge und Art bekannt, gerne sind sie mit autobiografischen Einsprengseln oder klaren Parallelsträngen der eigenen Geschichte versehen, manchmal schmiegen sie sich gemütlich an die 1000-Seiten-Grenze und werden mitunter von Kritikern als selbstverliebt bezeichnet. Dass Maxim Biller in den letzten Jahren ein bedeutender Kulturkopf der Republik geworden ist, der sein erzählerisches Handwerk beherrscht, wird jedoch niemand bestreiten können.

In der mit knapp 200 Seiten eher schmal daherkommenden, episodenhaft geschnittenen, nahezu filmischen Familiengeschichte „Sechs Koffer“ geht es nun auch um Elemente der nicht ganz normalen Familie Biller, die irgendwo zwischen Prag, Moskau, Tel Aviv, Hamburg und London sowie Zürich und Berlin ihre Vertreter entsandt hat.

Die „Sechs Koffer“ repräsentieren in der Geschichte die unterschiedlichen Sichtweisen bzw. individuellen Erinnerungs-Wahrheiten seiner Familienmitglieder und ihm selbst. Im Fokus steht ein Familiengeheimnis und damit verbunden die Ahnung der Figuren, wer für den Tod bzw. die Hinrichtung vom Großvater, dem alten Tate, verantwortlich war. Der wurde wegen krummer Ost-West-Geschäfte in Moskau inhaftiert. Auch seine Söhne Wladimir, Lev, Sjoma und Dima sind in Machenschaften verwickelt, die in den Jahren des Kalten Krieges harte Strafen nach sich zogen, so etwa unerlaubte Reisen in den Westen und Schmuggel wertvoller Waren oder größerer Dollar-Summen. Die Geschichte beginnt 1965 in der Prager Wohnung von Rada und Sjoma, den Eltern von Jelena und Maxim am Tag, als Onkel Dima aus dem Gefängnis entlassen wird.

Es entspinnt sich eine Perspektivenschau, aus der Sicht des knapp sechsjährigen Jungen geschrieben, die nach und nach die Erinnerungshorizonte und Gerüchteküche innerhalb der Familie beleuchtet und die Leser wie bei Milan Kundera mitten ins Geschehen wirft. Durch Zeitebenen und Ortswechsel sowie schnörkellose Dialoge wirkt die Handlung tatsächlich wie eine tschechische Serie oder ein Episodenroman der 70er. Die Figuren sind den tatsächlichen reellen Familienmitgliedern angelehnt.

Handwerklich gibt es wirklich schöne Momente, bei denen man sich die Prager Wohnung der Eltern direkt vorstellen kann, wo Vater Sjoma die Geschichte vom Soldaten Schweijk ins Russische übersetzt und nicht weiterkommt.

Es gibt aber auch Stellen, die ein wenig unglaubwürdig erscheinen. So reflektiert wohl kein knapp sechsjähriges Kind in direkter Rede: „Und weil ich sonst kein Kind kenne, dessen Onkel im Gefängnis sitzt.“ Auch Bausteine der Handlung kommen manchmal recht konstruiert daher, wie der zufällig auftauchende Brief der Tanta Natalia, der die Dynamik zwischen Onkel Dima und Vater Sjoma sehr ausführlich erklärt und somit gefühlt den halben Plot beschreibt.

Dennoch: „Sechs Koffer“ ist eine liebevolle, aber auch schelmenhaft (Schwejk) gestellte Geschichte, die in der Vergangenheit beginnt und Figuren begleitet, die ihren Weg zu Ende gegangen sind. Erfrischend ist der Schwenk zur Perspektive der Schwester Jelena (Elena Lappin), die heute als Publizistin in London lebt und mit wunderbaren Büchern ihren Teil zur vielschichtigen Identität und auch Sprach-Tiefe der Familie Biller beigetragen hat. Mit ihr, der fünf Jahre älteren Schwester, endet die Geschichte – und es ist zu hoffen, dass sowohl „Sechs Koffer“ Beachtung findet als auch Elenas Werke, die genau so die Kulturlandschaft bereichern wie die von Maxim.

Maxim Biller
Sechs Koffer
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2018
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Coverabbildung © Kiepenheuer & Witsch

 

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