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Ein Hauch von Zeitlosigkeit: „Freundschaft und Vergeltung“ von Helmut Krausser

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Literatur

Von Barbara Hoppe.

„Freundschaft und Vergeltung“ klingt ein bisschen wie „Schuld und Sühne“ in seiner neuen Titelfassung „Verbrechen und Strafe“. Griffig, aber nicht so einprägsam wie eine Alliteration. Auch wenn man bei einem solchen Titel gleich an Dostojewski denkt – mit einem Werk dostojewskischer Epik hat der Roman von Helmut Krausser recht wenig zu tun. Wuchtig und fesselnd ist er allemal.

Anthony Brewer, ehemaliger Zögling des altehrwürdigen Colleges Raven Hall in England erzählt die Geschichte. Wir befinden uns im Jahr 2015. 50 Jahre zuvor steht Anthony kurz vor dem Abitur, als über den Jahreswechsel 1965 vier Menschen aus dem Internat spurlos verschwinden. Schüler, Lehrer und auch die Polizei stehen vor einem Rätsel, die Ermittlungen verlaufen ohne Erfolg. Der mysteriöse Fall landet schließlich in den Akten. Nur Brewer, inzwischen pensionierter Rechtsanwalt, lässt das Geschehen Zeit seines Lebens nicht zur Ruhe kommen. Mit Beginn seines Ruhestands beginnt er, den Fall erneut aufzurollen. Viele der damals Beteiligten leben noch. Aus nachträglichen Befragungen, aber auch aus dem, was er damals als Schüler erlebte, entsteht Stück für Stück ein Bild der Vorgänge.

Cover: Piper Verlag

So ergibt sich kompositorisch ein Roman, in denen die Schilderungen Brewers der rote Faden sind. Mit den Gesprächsprotokollen zusammen katapultiert Helmut Krausser seine Leser in zwei Szenarien derselben Tragödie: Kammerspielartig entfaltet er das Leben in dem Jungeninternat. Im Mikrokosmos des hermetischen Schulgeländes brodelt es. Mangels Abwechslung richtet sich das Augenmerk gern auf das andere Geschlecht – sei es zwischen den Lehrern oder zwischen Lehrerin und Schüler. In ländlicher Abgeschiedenheit explodieren die pubertierenden Jungs durch ein Zuviel an Testosteron. Fein skizzieren die Aufzeichnungen Brewers das Geflecht aus Liebe, Schwärmerei und Eifersucht.

Ein Geflecht, das im Ganzen gesehen, auf ein übergeordnetes Bild verweist: Auf ein England, das in den sechziger Jahren an einem Wendepunkt steht. Hier treffen Bigotterie und Prüderie der Vergangenheit auf den Wunsch der Jugend nach Aufbruch in eine neue Gesellschaftsform. Einer, in der die strenge Pädagogik einer moderneren, partizipativeren weicht. Einer Gesellschaft, in der lange Haare und Bands wie die Beatles, die Kinks oder The Who Symbole von Freiheit sind.

Der Weg dorthin ist ein Zusammenprall von Weltanschauungen, die Helmut Krausser in Raven Hall unter das Brennglas legt. Gleichzeitig gelingt ihm mit „Freundschaft und Vergeltung“ ein untypischer, sehr spannender Kriminalroman voll fintenreicher Wendungen, vermeintlicher Lösungen, Irrwegen und der Macht der Kränkung. Ein Roman, den der Atem von Zeitlosigkeit umweht.

Helmut Krausser
Freundschaft und Vergeltung
Piper Verlag, München 2024
bei amazon
bei Thalia

A touch of timelessness: „Friendship and Retribution“ by Helmut Krausser
Friendship and Retribution” sounds a bit like “Crime and Punishment.” Although a title like this might evoke Dostoevsky, Helmut Krausser’s novel has little to do with his epic works. Nevertheless, it is powerful and gripping. Anthony Brewer, a former student of Raven Hall College in England, narrates the story. In 1965, four people mysteriously disappeared over New Year’s. Students, teachers, and police are left puzzled, and the case ends up in the archives. Only Brewer, now a retired lawyer, remains haunted by the events and begins to reopen the case in his retirement. Krausser transports his readers into two scenarios of the same tragedy: life in the boys‘ boarding school and England at a turning point in the 1960s. Here, bigotry and prudery clash with the youth’s desire for a new social order. “Friendship and Retribution” is a thrilling crime novel full of twists and turns.

2 Gedanken zu „Ein Hauch von Zeitlosigkeit: „Freundschaft und Vergeltung“ von Helmut Krausser“

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