Lina Tur Bonet gilt als furiose Barockgeigerin. Ihr ungestümes Spieltemperament stellt sie auf ihrer aktuellen CD „Sonata Lunatica“ mit Werken von Beethoven einmal mehr unter Beweis.
Feuilletonscout sprach mit der Musikerin. Von Barbara Hoppe.
Feuilletonscout: Sie sind in Cartagena aufgewachsen, haben in Wien und Freiburg studiert, in Madrid und Zaragoza gelehrt und haben in Mainz und Augsburg Masterclasses gegeben. Wie interkulturell sind Sie?
Lina Tur Bonet: Seit der Jugend bin ich sehr mit dem Ausland in Verbindung, und meine Zeit verbringe ich zwischen mehreren Ländern. Die Zeit der Pandemie ändert dies etwas – ich kenne es seit Jahren nicht, einen Monat im selben Land zu sein. So fühle ich mich überall zuhause, wo ich Musik machen kann.
Feuilletonscout: Sie spielen Violine. Was mögen Sie an dem Instrument besonders?
Lina Tur Bonet: Die Klangfarbe ist unvergleichbar, seine Fantasiemöglichkeiten sehr breit und das Repertoire ist unendlich und auf höchster Qualität. Lustigerweise habe ich eine enorme Affinität zur Violine, obwohl ich sie nicht selbst auswählte. Es ist ohne Zweifel etwas sehr Besonderes an diesem Instrument mit “perfekten” Proportionen.
Feuilletonscout: Ihr Repertoire ist sehr umfangreich und umfasst mehr als 400 Jahre Musik. Wie kam es zu dieser Vielfalt?
Lina Tur Bonet: Mit viel Arbeit und doppeltem Üben! Aber vor allem durch große Neugier. Das Violinrepertoire ist so faszinierend, dass ich versuchen wollte, mir ein weites Sprektrum davon zu erarbeiten.
Feuilletonscout: Immer wieder spielen Sie auch auf Originalinstrumenten der jeweiligen Zeit. Warum? Und wo finden Sie die Instrumente?
Lina Tur Bonet: Weil das mich näher zur Seele des Komponisten bringt, und weil Klang unser Rohstoff ist. Mir ist sehr wichtig, so nah wie möglich am Komponisten zu sein, da fühle ich eine sehr große Verantwortung, und das kann man vor allem auf Originalinstrumenten erreichen.
Feuilletonscout: Sie konzentrieren sich auch darauf, unveröffentlichte Werke berühmter Komponisten zu spielen. Wo finden Sie diese Werke?
Lina Tur Bonet: Ich arbeite sehr eng mit Musikwissenschaftlern zusammen, wobei ich auch sehr oft sehr berühmte Werke “original-neu” zu interpretieren versuche.
Feuilletonscout: Was fasziniert Sie an diesen unbekannten Stücken?
Lina Tur Bonet: Eine der wichtigsten Rollen eines Interpreten ist, die Musik zum Leben zu erwecken, weil sie ohne uns stumm bleiben würde. Ich tue es aber nur, wenn ich das Gefühl habe, dass es sich lohnt oder ich dabei spüre, etwas sagen zu können.
Feuilletonscout: Haben Sie unter diesen „Unveröffentlichten“ ein Lieblingsstück?
Lina Tur Bonet: Das ist wie mit eigenen Kindern…man liebt alle auf einzigartige Weise. Aber je mehr es möglich war, ein Werk oder einen Komponisten wiederzubeleben, von dem niemand etwas wusste, desto glücklicher bin ich, dass ich es getan habe.
Feuilletonscout: Ist es einfacher, ein schon häufig von anderen Musikern gespieltes Stück zu interpretieren oder mit einem völlig unbekannten Stück zu arbeiten?
Lina Tur Bonet: Da gibt es bei mir keinen Unterschied. Ich glaube und versuche, alle Stücke so zu spielen als würden sie zum ersten Mal gespielt und gehört, egal ob sie nie oder oft gespielt wurden. Nur so kann die Musik lebendig bleiben. Anders verstehe ich die Musik auch gar nicht.
Feuilletonscout: Auf Ihrem aktuellen Album „Sonata Lunatica“ widmen Sie sich Beethoven. Was spielen Sie und warum? Wie entstand in diesem Zusammenhang der Titel der CD?
Lina Tur Bonet: Auf der CD sind die Kreutzersonate und die letzte Violinsonate von Beethoven. Wir wollten zwei Werke zusammenbringen, die zwei verschiedene Aspekte des Komponisten zeigen: Feuer und Poesie. Der Titel bezieht sich auf die erste Widmung der Sonate: “Sonata mulattica composta per il mulatto Brischdauer, gran pazzo e compositore mulattico”. Diese Geschichte mit dem genialen Geiger Bridgtower war die größte Inspiration für mich.
Feuilletonscout: Die CD entstand gemeinsam mit der rumänischen Pianisten Aurelia Visovan. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?
Lina Tur Bonet: Wir haben uns in Wien kennengelernt, zusammengespielt, und dann habe ich sie gefragt ob sie Lust hätte, in diese Musik tiefer einzusteigen und sie auszuprobieren. Ich wollte tief in die damalige Aufführungspraxis eintauchen, und sie hat sich die Zeit dafür genommen.
Feuilletonscout: Was waren die spannendsten Momente bei der Aufnahme?
Lina Tur Bonet: Wir haben die Aufnahme insgesamt sehr genossen, und die Arbeitsatmosphäre war immer sehr kreativ und entspannt.
Feuilletonscout: Was schätzen Sie an Aurelia Visovan?
Lina Tur Bonet: Ich mag sie sehr, weil das Zusammenspielen mit ihr sehr einfach war. Es war leicht, kreativ zu bleiben und magische Momente zu schaffen.
Feuilletonscout: Was möchten Sie dem Zuhörer mit dieser CD auf den Weg geben?
Lina Tur Bonet: Ich war sehr inspiriert von der Art wie die beiden Geiger spielten, denen die Sonaten gewidmet sind. Ich wollte auch meinen großen Respekt und meine Bewunderung zu Beethovens Musik zeigen, und alles, was ich über ihn gelesen habe -sein Charakter, seine Liebe zur Improvisation, und seine enorme innerliche Kraft und edle Seele- zum Hören bringen.
Feuilletonscout: Wie sind Ihre weiteren Pläne?
Lina Tur Bonet: Ich habe auf meinem Notenpult gerade Musik von Biber, Ravel, Bach, Schubert, Mozart, Vivaldi, Piazzolla, Stravinsky, Beethoven, Paganini, Ysaye und mehrere Komponisten des 17. Jahrhunderts. Wenn die Pläne nicht durch die Pandemie durchkreuzt werden, werde ich in den nächsten fünf Monaten in Palau de Barcelona, bei den Potsdamer Festspielen, im Auditorio Nacional de Madrid, in Kaiserslautern, beim Eichstatt Festival, in Oslo, im Auditorio de Zaragoza, in Galisien, beim Halle Festival, im Auditorio de Tenerife und Las Palmas, im Baskenland und in Österreich. Und das als Solistin, Dirigentin und auch bei zwei Programmen als Konzermeisterin. Ein paar neue Aufnahmen sind auch im geplant.
Vielen Dank für das Gespräch, Lina Tur Bonet!
Lina Tur Bonet | Violine
Aurelia Vişovan | Piano
Ludwig van Beethoven (1770-1827)
Sonate Nr. 9 A-Dur, opus 47 „Kreutzer-Sonate”
Sonate Nr. 10 G-Dur, opus 96 „Cockrow-Sonate”
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