Er studierte Horn und Klavier, war Mitglied des Tecchler Trios und ist Mitglied des Gershwin Piano Quartet. Nun hat der Schweizer Pianist Benjamin Engeli sein jüngstes Soloalbum mit Klavierwerken von Brahms vorgelegt. Feuilletonscout sprach mit dem Künstler. Von Barbara Hoppe.
Feuilletonscout: Brahms sagte einst „Studiert Bach, dort findet ihr alles!“ Wie gut haben Sie Bach studiert?
Benjamin Engeli: Schon als Kind haben mich seine Oratorien und Passionen fasziniert! Mein erstes Konzerterlebnis war das Weihnachtsoratorium: ich habe damals in einem Kinderchor mitgesungen. Mit seiner Klaviermusik (oder besser gesagt: Claviermusik) habe ich mich dann erst viel später beschäftigt, aber mittlerweile doch schon Vieles studiert und aufgeführt. Gerade letztes Jahr waren die Goldberg-Variationen oft auf meinem Notenpult, dieses Wunderwerk habe ich in letzter Zeit am häufigsten im Konzert gespielt.
Feuilletonscout: Wie haben Sie sich Brahms genähert?
Benjamin Engeli: Brahms war schon zu meinen Teenagerzeiten mein Lieblingskomponist. Aber ich habe mir bei der Annäherung an seine Musik Umwege geleistet. Zuerst standen seine Sinfonien im Zentrum meiner Aufmerksamkeit. Ich habe ja auch Horn studiert und dadurch einen starken Bezug zur Orchestermusik. Dann kam die Arbeit mit dem Tecchler-Trio und damit seine Klaviertrios, aber auch die Klavierquartette und das Quintett. Auch die beiden Klavierkonzerte habe ich einige Male aufgeführt. Erst danach war die Zeit reif für die Solostücke. Es war schon lange ein Wunschprojekt, hier tief einzutauchen. Deswegen wollte ich aktuell eine Platte machen, die das ganze Spektrum von den frühen bis späten Stücken abdeckt.
Feuilletonscout: Sie schreiben zu Ihrem aktuellen Brahms-Album, dass die wesentliche Arbeit die ist, herauszufinden, welche Emotionen hinter den Noten steckten, was den formalen Aufbau zusammenhalte und wie die Motive miteinander verknüpft seien. Was haben Sie gefunden?
Benjamin Engeli: Wenn ich das in Worte fassen könnte, wäre ich vermutlich Schriftsteller oder Musikkritiker geworden… Was ich bei Brahms so faszinierend finde, ist die immense Spannung, die in der Musik liegt. Da haben wir an erster Stelle brodelnde Emotionen und tiefste Empfindungen, die aber immer zusammengehalten und kontrolliert werden von einem perfekten formalen Gefüge. Seine handwerkliche Meisterschaft was das „Bauen“ seiner Musik und den motivischen Zusammenhalt betrifft sind bestaunenswert, gleichzeitig kann man sich gerade auch als Hörer einfach den tiefen Gefühlen hingeben, die musikalisch beschrieben werden. Als Interpret pendelt man da stets zwischen diesen beiden Polen: ich habe gerade auch während des Aufnahmeprozesses häufig gezweifelt, in meinem Spiel entweder zu überbordend oder zu kontrolliert zu sein.
Feuilletonscout: Nach welchen Kriterien haben Sie die aktuelle CD zusammengestellt?
Benjamin Engeli: Wie gesagt wollte ich Werke aus Brahms‘ hauptsächlichen Schaffensepochen zusammentragen. Zusätzlich sollte sich aber auch ein roter Faden durch die Werke ziehen. Ich finde, es ist eine dunkle und melancholische Platte geworden, mit gelegentlichen wilden und eruptiven Ausbrüchen. Dazu passt die Chaconne von Bach natürlich bestens, und es zeigt das große Traditionsbewusstsein, das Brahms‘ Musik so sehr geprägt hat. Mit den Balladen und den Intermezzi Op.117 wollte ich außerdem zeigen, dass auch bei Brahms literarische Vorlagen ähnlich wie bei Schumann wichtige Inspirationsquellen waren.
Feuilletonscout: Die Stücke umfassen einen Lebenszeitraum von fast 40 Jahren. Wie hat sich die Musik von Johannes Brahms in dieser Zeit verändert?
Benjamin Engeli: Ich finde es erstaunlich, wie früh Brahms vor allem am Klavier schon „seinen“ Stil gefunden hat. Er hat zwar viele seiner frühen Werke entweder vernichtet oder später umgearbeitet, aber die erhaltenen Stücke, wie beispielsweise die Balladen, die er mit 21 komponierte, zeigen schon alle Qualitäten seiner Musik. Selbstverständlich hat er dazu gelernt und ist in der Behandlung des Klaviers immer differenzierter geworden. Gerade die späten Klavierstücke bringen noch einmal ganz neue Klangfarben zur Geltung, die manchmal beinahe ins Impressionistische übergehen. Aber im Vergleich mit seinem großen Vorbild Beethoven ist die Entwicklung in der Klaviermusik nicht ganz so bahnbrechend – da war Vieles schon in den ersten Klaviersonaten angelegt.
Feuilletonscout: Die zwei Rhapsodien von 1879 sind streng genommen keine Rhapsodien. Warum der Name und wie würden Sie die Stücke benennen?
Benjamin Engeli: Brahms nannte sein ursprünglich Op.79 „Caprices“. Der Verleger Simrock war davon allerdings nicht begeistert, denn in seinen Ohren klang das nichtssagend und wenig gewinnbringend. Er schlug stattdessen „Rhapsodien“ vor, denn diese waren seit Franz Liszts Ungarischen Rhapsodien hoch im Kurs, und er erhoffte sich dadurch bessere Absatzzahlen. Es ist erstaunlich, dass Brahms dem Verleger, wenn auch widerwillig, zustimmte. Die Bezeichnung „Rhapsodie“ ist an sich schon alles andere als passend für Brahms‘ Musik, denn sie beschreibt ein Stück, das an keine bestimmte Form gebunden ist. Besonders die beiden Klavierwerke Op. 79 sind dagegen alles andere als formal frei, sondern in sich geschlossene, klassisch geformte Kompositionen. Die erste Rhapsodie müsste eher „Rondo“ heißen, in der Zweiten hat sich Brahms an der klassischen Sonatenform orientiert.
Feuilletonscout: Sie haben mit 15 Jahren angefangen, Klavier zu spielen. Angefangen hatten Sie mit Horn. Wie kam es zur Hinwendung zum Klavier?
Benjamin Engeli: Das Klavier spielte in meiner Familie immer eine große Rolle, mein Vater und mein älterer Bruder haben viel auf unserem alten Bechsteinflügel musiziert, und auch für mich war es schon als Kind eine Art „Spielzeug“, mit dem ich mich ausdauernd beschäftigen konnte. Zum Spaß habe ich mit meinem Bruder dann auch immer wieder vierhändig gespielt, oder auch viel auf dem Flügel improvisiert. So war es für mich dann als Fünfzehnjähriger auch kein Neuland, das ich betrat, sondern eher eine Art Nachhause-Kommen zu meinem Instrument. Diesmal allerdings mit ernsthafteren Absichten und unter der besten Anleitung, die ich damals bekommen konnte.
Feuilletonscout: Sie sind vielfältig unterwegs: Sie unterrichten und Sie spielen im Gershwin Piano Quartet mit drei Kollegen an vier Klavieren. Was macht Ihnen mehr Spaß, als Künstler auf der Bühne oder im Studio zu stehen oder zu lehren? Oder inspiriert sich beides gegenseitig? Entdecken Sie durch Ihre Lehre manch‘ neue Facette im Werk eines Komponisten?
Benjamin Engeli: Ich war viele Jahre freischaffend als Konzertpianist unterwegs und habe diese intensive Zeit sehr genossen. Irgendwann kam dann der Wunsch nach etwas mehr Stabilität und Regelmäßigkeit. Es war bestimmt richtig, nicht zu früh mit dem Unterrichten zu beginnen, aber jetzt habe ich den Eindruck, dass sich meine verschiedenen Tätigkeiten gegenseitig befruchten. Das Unterrichten hilft mir, intuitiv bereits Vorhandenes klar zu formulieren und dadurch selbst besser zu erfassen. Das betrifft sowohl technische Schwierigkeiten wie interpretatorische Feinheiten. Es ist aber wichtig, dass das Unterrichten nicht überhandnimmt und ich immer genügend Zeit zum Üben habe.
Feuilletonscout : Haben Sie einen musikalischen Traum?
Benjamin Engeli: Oh ja, viele! Aber ich verrate sie lieber nicht.
Feuilletonscout: Was sollen die Zuhörer nach einem Konzert mit Ihnen in Erinnerung behalten?
Benjamin Engeli: Meine Zuhörer möchte ich im Konzert emotional berühren, so dass sie vielleicht ein wenig anders nach Hause gehen. Ich liebe besonders die stillen Momente eines Konzerts, wenn die Spannung mit den Händen zu greifen ist und Publikum den Atem anhält. Natürlich freue ich mich über einen begeisterten Applaus, aber wichtiger ist mir, dass darüber hinaus etwas bei den Zuhörern hängen bleibt. Vielleicht eine Art in sich selbst hineinhören.
Feuilletonscout: Was sind Ihre nächsten Pläne?
Benjamin Engeli: Eine direkte Folge meiner Beschäftigung mit Brahms ist, dass ich zur Zeit an einem neuen Arrangement der Ungarischen Tänze für mein Gershwin Piano Quartet (vier Klaviere!) arbeite. Es wird auch zu einem Teil neu komponiert sein, und deshalb ist es auch ziemlich aufwändig. Was mein Solorepertoire betrifft, würde ich als nächstes gerne mehr in das Klavierwerk von Sergej Rachmaninov eintauchen, da gibt es meiner Meinung nach ein paar Missverständnisse in der Wahrnehmung seiner Musik. Abgesehen davon sind viele spannende Kammermusikprojekte geplant, gerade nächste Woche nehme ich eine CD mit brandneuen Klavierliedern (mit dem Tenor Tino Brütsch) auf – ein in jeder Hinsicht völlig andere Feld. Aber gerade die Vielfalt liebe ich ja.
Vielen Dank für das Gespräch, Benjamin Engeli!
Benjamin Engeli
Brahms
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Benjamin Engeli spielt am 12. September im Piano Salon Christophori in Berlin.
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