Von Barbara Hoppe.
Wenn es dunkel wird, sind die Moraner besonders schön. Das so naive wie poetische Völkchen trägt nämlich auf seinen Köpfen fantasievolle Lampenschirmhüte, die bei untergehender Sonne hell zu strahlen anfangen. Gerade erst sind diese liebenswerten Wesen auf dem Tempelhofer Feld gelandet. Genau dort, wo plötzlich über Nacht eine große, rote Knospe gewachsen ist. Hier suchen die Moraner ihre neue Königin, die der Tradition gemäß eine Nacht in der Blüte schlafen muss, während ihr Volk über ihren Schlaf wacht. Denn nur dann ist der Bund mit der roten Moorts-Pflanze, die mit den Moranern in Eintracht lebt und ihr wertvolle Lebensenergie liefert, neu besiegelt. Und weil dies ein extrem wichtiges Ereignis für das kleine Volk ist, reisten für die Zeremonie die Botschafter aller Mora-Landesteile mit Schaubuden an, um ihre Attraktionen zu präsentieren. „MoraLand ist das verrückteste Projekt von uns“, lacht Bille Behr, gemeinsam mit ihrem Mann Stefan die Ideengeberin und Regisseurin des Stücks. 1998 gründeten sie das Theater ANU, seit 2005 schaffen sie große theatrale poetische Inszenierungen in atmosphärischen Räumen oder auf weitläufigen Flächen wie Parkanlagen oder Industriehallen. Sounds, Installationen oder Schattentheatertechniken spielen dabei eine ebenso große Rolle wie die langjährige Zusammenarbeit des Ensembles.
Das Volk der Moraner mit seinem eigenen Geschichtenzyklus und einer eigenen Sprache erblickte zwischen 2009 und 2011 das Licht der Welt. Rund 500 Vokabeln plus Grammatik müssen die Schauspieler lernen. Die Vorstellung selbst ist zweisprachig in Mora und Deutsch. „Alles hat sich über die Jahre immer mehr entwickelt“, erklärt Bille Behr, „die Sprache ebenso wie immer neue Geschichten.“
Doch im Grunde, ergänzt die Regisseurin, ist „MoraLand“ eine poetische Umweltparabel, in der es um das Verhältnis von den Menschen zur Natur geht. Denn die Musik der Moorts-Pflanzen, die in den Bäumen zu erkennen und im Wind zu hören ist, brauchen die Moraner wie die Menschen die Luft zum Atmen. Nach Jahren der Ausbeutung gibt es allerdings nur noch wenige intakte Exemplare. Doch nur diese gesunden Pflanzen bieten die Chance, eine neue Königin zu krönen. Und diese, erklärt Bille Behr, findet man regelmäßig unter den Zuschauerinnen. Besteht die Auserwählte drei Proben, wird sie in einer feierlichen Zeremonie in die Knospe gebettet.
Für dieses Ziel greift das neunköpfige Ensemble auf die Tradition der Schaubudenjahrmärkte mit ihren alten Techniken zurück, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen und heute von nur noch wenigen Handwerkern beherrscht werden. „Wir haben Bilder anfertigen lassen, sogenannte Polyoramen, die sich je nach Lichteinfall verändern. Aber auch ein Riesenkaleidoskop, in das 40 Personen gleichzeitig schauen können“, erläutert Bille Behr. „Sicher ist es auch ein romantisierender Blick auf die Jahrmärkte früherer Jahrhunderte. Genau das macht aus „MoraLand“ aber auch eine Welt voller Wunder, in der Wünsche Platz haben und alles möglich sein kann“, ergänzt sie, „sogar ein Konzert mit zugehaltenen Ohren!“
Eingebettet sind die fantasievollen Attraktionen in 10 bis 15 Performances à 15 Minuten, die zwar einen zyklischen Verlauf haben, aber im Loop gespielt werden. Mindesten zweieinhalb Stunden Zeit sollten die Zuschauer mitbringen, um auf der bilderstarken Reise nichts zu verpassen. Eine Zeit, die auf der freien Fläche des Tempelhofer Felds auch den Schauspielern einiges abverlangt. „Ohne den Schutz der Bühne müssen wir ganz anders mit Nähe und Distanz umgehen“, erklärt Bille Behr. Dass es gelingt, zeigen die Reaktionen der Zuschauer. Häufig bekäme die Theatercompany noch Wochen nach der Aufführung lange E-Mails, die zeigen, wie lange diese aktive sinnliche Erlebnisreise nachschwingt.
Termine:
3. bis 7. August 2022
10. bis 13. August 2022
Tickets: hier
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