Eine Rezension von Kirsten Niemann
Ernst Stricker ist ein biederer, vernünftig agierender Mann in den besten Jahren, der mit seiner Frau Jaqueline eine unaufgeregte Ehe führt. Doch eines Tages gerät das wohlsortierte Leben des Winterthurer Bibliothekars durcheinander. Schuld daran ist ein fehlgeleiteter Anruf auf einen öffentlichen Fernsprecher, den er unbedarft entgegen nimmt. „Und auf einmal war er unterwegs zu einer alten Frau namens ‚ich’, die Hilfe brauchte, seine Hilfe.“
Ernst, normalerweise nicht gerade ein Mann unbedachter Taten, lässt sich von ihr ein Päckchen geben. Er solle es aufbewahren. Von Neugier übermannt öffnet er es später zu Hause, zum Vorschein kommt ein altes Buch, das sein Kennerblick sogleich als das „Abrogans“ identifiziert. Es ist ein lateinisch-altdeutsches Synonymwörterbuch aus dem 8. Jahrhundert und zugleich das wohl älteste Buch der deutschen Sprache.
Ernst Stricker bekommt eine Gänsehaut, er ist verwirrt und verschweigt seiner Frau den Vorfall – dabei weiß er eigentlich selber nicht warum. Doch wird er auch künftig jede Gelegenheit verstreichen lassen, sein Geheimnis zu teilen. Stattdessen begibt er sich auf Spurensuche und taucht ein in die Welt des 8. Jahrhunderts, in der ein begabter junger Novize namens Haimo im Kloster Weltenburg bei Regensburg an der Abschrift des Wörterbuchs arbeitete.
In einem humorvollen, präzisen Stil und mit detektivischem Spürsinn entblättert der Schweizer Schriftsteller Franz Hohler in seinem Roman „Das Päckchen“ gleich zwei Geschichten. Einmal begleiten wir den Bibliothekar, der plötzlich zum Detektiv wird und sich dabei immer tiefer in Lügen verstrickt. Parallel tauchen wir ein in die Geschichte des schreibenden Novizen Haimo und dessen heimlicher Freundin Maria. Dabei führt Hohler die Helden seiner Krimihandlung an verschiedene Orte Italiens und in die hochalpine Gletscherwelt, das „Eismeer“ der Schweiz. Und soviel sei schon einmal verraten: Auch das Eheleben zwischen Jaqueline und Ernst wird nicht so geruhsam bleiben …
Franz Hohler
Das Päckchen
Luchterhand Verlag, München 2017
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Coverabbildung © Luchterhand Verlag
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