Von Barbara Hoppe
Es ist der Sommer 1999. Donato Frey, genannt Donnie, ist 21 Jahre alt, und er hat Mist gebaut. Völlig unnötigen Mist. Denn Donnie ist in einem wohlhabenden Elternhaus in Hamburg aufgewachsen, wo es an Liebe nicht fehlte. Sein Vater hat die erfolgreiche Galerie des Großvaters übernommen und führt sie nun ebenso erfolgreich weiter. Ein Großvater freilich, den Donnie sehr geliebt hatte und der bei einem tragischen Autounfall ums Leben kam. Was bis hierhin noch eine wohl geordnete Familienwelt ist, endet, als Donnie sich entschließt, gegen den Willen des Vaters an der Kunsthochschule Malerei zu studieren. Doch durch seine zwei antisemitischen WG-Mitbewohner lässt er sich hinreißen, Hakenkreuze in Autos zu ritzen. Bei der Feier seines 60. Geburtstags stellt ihn der Vater bloß, und spätestens jetzt weiß Donnie, dass er sehr dummen Mist gebaut hat. Er tritt seine Strafe in Form von Sozialstunden an, und es ist genau dieser Umstand, der für sein Leben ein Glücksfall sein wird.
Denn in dem Seniorenheim, in dem Donnie drei Wochen lang Tag für Tag Bettpfannen leert, lebt auch Teofila, die Großmutter seines großen Schwarms Meggie. Eher zufällig entdeckt er mit der alten Jüdin eine versteckte Nachricht ihrer Jugendliebe Jakob, der im Holocaust verschwand, während sich Teofila in die USA retten konnte. Könnte der alte Herr noch auf einem französischen Bauernhof in Aix-les-Bains leben? Obwohl Meggie mit Donnies widersprüchlichem Verhalten zwischen Antisemitismus und Empathie Probleme hat, lässt sie sich auf das Abenteuer ein, mit ihm auf die Suche zu gehen. Gemeinsam machen sie sich in einem alten Bulli auf den Weg. Als sie unter Schleierwolken in das von bewaldeten Berggipfeln umrahmte Aix-les-Bains mit seinen farbenfrohen Häusern rund um den Lac du Bourget fahren, wissen Meggie und Donnie noch nicht, dass dort ihre Familiengeschichten neu geschrieben werden.
Gabriel Herlich, 1988 in Frankfurt am Main geboren, entwickelt in seinem Debütroman „Freischwimmer“ die ebenso sensible wie tiefgründige Geschichte um einen jungen Mann, den die Begegnung mit einem Holocaust-Überlebenden und die Liebe davor bewahren, auf einen Irrweg abzudriften. Donnie ist ein herzensguter, anständiger Mensch, doch sein Geheimnis, nicht schwimmen zu können und sein Drang, interessant sein zu wollen und Anschluss zu finden, verstricken ihn immer wieder in neue Lügen. Dabei gelingt es dem Autor, sprachlich leichtfüßig, den Leser in die Ich-Erzählung hineinzuziehen und ihn den schmerzvollen Prozess von Donnie miterleben zu lassen, der nicht nur seinen Platz in der Welt finden muss, sondern sich auch hart mit der deutschen Nazivergangenheit konfrontiert sieht, die seine bisherige Welt ins Wanken bringt.
Gabriel Herlich
Freischwimmer
Pendragon Verlag, Bielefeld 2023
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Dieser Artikel erschien am 4. März 2023 in DAS WOCHENENDE! der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Frankfurter Neuen Presse und Frankfurter Rundschau.
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Gabriel Herlich: „Freischwimmer“
Donnie, a 21-year-old from a wealthy Hamburg family, made a big mistake. Influenced by his antisemitic roommates, he carves swastikas into cars. He is exposed at his father’s party and realizes his foolish error. While doing community service at a nursing home, he meets Teofila, the grandmother of his crush Meggie. They discover a hidden message from Teofila’s lost love Jakob, who disappeared during the Holocaust. Donnie and Meggie embark on a journey to find Jakob in Aix-les-Bains. Their trip will rewrite their family stories.
In his debut novel „Freischwimmer,“ Gabriel Herlich tells Donnie’s story with lightness, sensitivity, and depth. Through his encounter with a Holocaust survivor and his love for Meggie, Donnie is saved from drifting astray. Despite being a good person, his fear of swimming and desire for acceptance lead him into a web of lies. The author skillfully engages the reader in Donnie’s first-person narrative, allowing them to experience his painful journey of finding his place in the world and confronting Germany’s Nazi past, which shakes his previously stable world.