Rezension von Barbara Hoppe
Temeswar in Rumänien. Eine junge Frau ist tot. Bestialisch erstochen wurde die achtzehnjährige Lisa Marthen, Tochter des deutschen Großgrundbesitzers Jörg Marthen. Wie leicht ist es da, den jungen Landarbeiter zu verdächtigen, der in Lisa verliebt war und verschwunden ist. So denken zunächst auch Kommissar Ioan Cozma und sein Kollege Ciprian „Cippo“ Rusu. Beide Anfang fünfzig, haben sie ihr Leben gelebt und steuern auf den Ruhestand zu. Umso erstaunlicher, dass der junge, smarte Leiter der Serviciul Criminalistica, Paul Bejenaru, ausgerechnet Cozma und Cippo mit den Ermittlungen betraut. Und als sich schließlich auch noch die DNA, die Antikorruptionsbehörde, in Gestalt von Valentina Olar einschaltet, wird Cozma nicht nur misstrauisch, sondern auch unruhig. Denn die beiden Kommissare haben noch das Ceauşescu-Regime kennengelernt, schlimmer noch: Sie waren Teil des Systems. Und die „Rumänische Krankheit“ legt man nicht so schnell ab.
Oliver Bottini entwickelt einen eigenwilligen Krimi, in dem in irritierender Form ein sehr modernes Rumänien den einfachen Bauern und Landarbeitern gegenübersteht, die ihr Land nicht mehr bewirtschaften können und es an große, internationale Einkäufer aus Saudi Arabien, Dänemark, Österreich oder Deutschland verkaufen. Und wer das Land hat, hat Macht und Geld sowieso. Ein mörderisches Geschäft, in dem Korruption noch das leichteste Vergehen ist. Die Geldkrake durchzieht die Gesellschaft, die Fäden sind fein und verwickelt gesponnen. Am Ende stehen die Armen ohne Land, aber mit ein paar tausend Euro da, die läppisch sind im Millionengeschäft der globalisierten Landwirtschaft. Ein gut denkbares Szenario, schaut man auf die derzeitige Lage in Rumänien, in dem Menschen auf die Straße gehen, sich gegen Vetternwirtschaft und Korruption wehren. Selbst die wirkliche Antikorruptionsbehörde unter der Leitung von Laura Kövesi schien hier Pate gestanden zu haben.
Daneben steht die unendliche Einsamkeit und Traurigkeit der Figuren. Cozma und Cippo, die sich nach der Wende wegduckten, die Vergangenheit ruhen lassen möchten. Ohne Familie, glücklos bei den Frauen, freudlos im Feierabend, sozial vereinsamt, aber von Reisen träumend. Die Familie Marthen, geprägt von den LPGs der DDR, mit grenzenloser Sehnsucht nach Selbstbestimmung, für die sie einen hohen Preis zahlt. Und Maik Winter, Freund der Familie Marthen, durch den Tod seiner eigenen Familie traumatisiert, immer auf der Flucht vor den Geistern der Vergangenheit.
Geschickt verbindet Oliver Bottini die Handlungsstränge, zieht eine Linie zwischen den fast menschenleeren Regionen Mecklenburg-Vorpommerns mit ihren Wende-Gewinnern und –Verlierern und dem Rumänien, das von alleine nicht auf die Beine kommt und sich an ausländische Investoren verkauft. Seine Figuren sind Spielbälle in diesem globalen Geschäft, Marionetten an unsichtbaren Fäden, die von unsichtbaren Mächtigen gezogen werden. Und die dennoch nicht aufgeben. „Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens“ ist außerordentlich intensiv, melancholisch und dabei brutal realistisch und mörderisch gut. Ein Krimidrama mit ungewöhnlichem Thema, unsentimental sentimental und bei aller Schwermut doch nicht ohne Hoffnung.
Oliver Bottini
Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens
DuMont Buchverlag, Köln 2017
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