Die Osterfestspiele in Salzburg stehen vor der Tür. Zuvor blickt Stephan Reimertz auf die Abschlussoper im letzten Sommer zurück. Kapellmeister Marc Minowski und Regisseurin Mariame Clément haben bei den Festspielen in Salzburg Les contes d’Hoffmann von Jacques Offenbach wohl missverstanden. In Paris geboren zu sein garantiert noch keinen Pariser Esprit.
Lauwarmer Champagner schmeckt nicht, lauwarmer Offenbach gefällt nicht. Kapellmeister Marc Minowski und Regisseurin Mariame Clément sind beide in Paris geboren, haben aber offenbach; ähm, offenbar das Pariser Leben nie kennengelernt. So kühlte bei der Aufführung von Les contes d’Hoffmann im Großen Festspielhaus in Salzburg der Champagner wieder einmal im Foyer vor sich hin, während er in der Aufführung selbst fehlte.
Ein Missverständnis der Pariser Leichtigkeit
Der Inszenierung lag ein entscheidendes Missverständnis zugrunde. Die rasanten und geistreichen Pariser Komödienroutiniers Jules Barbier und Michel Carré hatten 1851 eine turbulente, nachgerade postmoderne Literaturfarce verfasst, in der sie Figuren aus Werken des in Frankreich überaus populären E. T. A. Hoffmann auftreten ließen, wie etwa den Rat Krespel, Puppenmeister Coppelius oder die Kurtisane Giulietta, aber auch den Dichter Hoffmann selbst, Personen aus seinem Leben wie den Wirt Luther, sowie Peter Schlemihl aus dem Kunstmärchen von Chamisso. Diesen aufgequirlten Literaturspaß wiederum verzauberte Jacques Offenbach ein Menschenalter später in eine hochartistische und beziehungsreiche Musikkomödie, mit der er sein in aller Welt verbreitetes Operettenwerk transzendierte, überwölbte, überbot und abschloss.
Die Uraufführung dieses bisher noch nie dagewesenen Meisterstücks am 10. Februar 1881 in der Opéra-comique in Paris konnte der Komponist selbst nicht mehr miterleben. Er war bereits drei Monate zuvor in seiner Wahlheimat gestorben. Die glänzende opéra fantastique spielt um 1800 in Deutschland und Italien und ironisiert auf hochartistische Weise nicht nur Hoffmann und seine Figuren, sondern auch abgelebte musikalische Formen, vor allem das Deutsche Singspiel. Wenn man jetzt aber dahergeht und das Stück mit seinen verschiedenen einander durchdringenden Ebenen so spielt, als handle es sich tatsächlich um ein Deutsches Singspiel, etwa von Heinrich Marschner, Otto Nicolai oder Albert Lortzing, hat man die Grundidee nicht verstanden und spielt am Werk vorbei. Setzen, sechs!

Die Chose kommt nicht in Schwung
Les contes d’Hoffmann stammt nicht aus einem deutschen Duodezfürstentum der Metternichzeit, sondern ist ein großes repräsentatives Werk der Pariser Belle Époque, das sich der versunkenen deutschen Romantik liebevoll-ironisch annimmt. D. h. hier muss unbedingt eine scharfe Metaebene eingezogen werden. Wenn diese fehlt, versinkt das ganze im Unsinn. Dies ist leider in der Salzburger Aufführung der Fall. Vielleicht liegt es ja daran, dass es Otto Nicolai war, der einst das Vorgängerorchester der Wiener Philharmoniker gründete. Die Wiener kamen jetzt im Großen Festspielhaus einfach nicht in Schwung, die Waldromantik ergriff uns völlig unironisch im Maßstab 1 : 1, so als säßen wir wirklich in einem deutschen Wald um 1840 und nicht in der Pariser Opéra-comique in der Dritten Französischen Republik kurz vor Einführung der Pressefreiheit. Statt des ironischen Zitatcharakters wurde die Sache selbst angerufen.
Kathryn Lewek rettet, was zu retten ist
Einfallslos und konventionell sind Bühnenbild und Kostüme, vor allem unentschieden zwischen original neunzehntem Jahrhundert und unserer heutigen Jetztzeit. Und wenn dann ein Filmteam auf der Bühne aufkreuzt und das ganze aufzeichnet, kann der Zuschauer davon ausgehen, dass die Regie am Punkt ihrer äußersten Einfallslosigkeit angelangt ist. Hier wird eine vermeintliche dramaturgische Metaebene nur behauptet, statt sie in Musik und Darstellung zu verkörpern.
Allein wie so oft sind es die Sänger, die die Sache herausreißen oder sich doch darum bemühen. Benjamin Bernheim gibt den melancholischen Hoffmann und entreißt dem dickflüssigen Orchesterklang die unsterbliche Ballade von Kleinzack, « dont l’éternel écho résonne dans mon cœur », doch halbwegs mit jener satirisch-dämonischen Verve, wie es sich gehört, auch wenn er hier in gewöhnlicher Straßenkleidung von heute gewandet ist. (Was will uns die Kostümbildnerin damit sagen?) Die amerikanische Sopranistin Kathryn Lewek, weltweit umjubelt, erweist sich in Salzburg ihres Rufes wiederum würdig, indem sie dem zähen, auf der Stelle tretenden musikalischen Grundkonzept das äußerste an stimmlich-darstellerischer Gestaltung der drei Frauenfiguren abringt. So tritt rein stimmlich gesehen die Puppe, heute würde man sagen: der weibliche Android, Olympia, vor unser Auge, dem Lewek all die ironische Virtuosität zu geben vermag, die der Musik sonst fehlt. Da das Regiekonzept das Puppige aber nicht recht herausarbeitet, sondern Olympia, umgeben von Filmleuten und einer Kamera, lediglich als Soubrette kennzeichnet, die zum Film will, wird auch diese für uns heute so gegenwartstaugliche Idee verschenkt. Denn so alt die Idee der Liebe eines Mannes zu einer Puppe auch ist, sie geht auf die Antike zurück, so sehr kennzeichnet sie die Gegenwart und wird in der nahen Zukunft noch greifbarer werden, da das Zusammenleben mit einem Androiden nicht nur technisch möglich sein, sondern dem narzisstisch-vereinsamten Menschen in der Marktwirtschaft auch leichter fallen dürfte. Auch daraus hat man in Salzburg nichts gemacht.
Das war ein alkoholfreier, salzarmer Offenbach. Die meisten der anwesenden Zuschauer dürften die Musik dieses Komponisten noch mit Stil, Schmiss und Verve gehört haben. Auf dass das Publikum der Salzburger Festspiele nicht ausstirbt, sollte sich die Festspielleitung allerdings verstärkt um die junge Generation bemühen, wie z. B. die jetzt in Rente gehenden Boomer.
Bei Verwendung des Textes bitte Quelle angeben bzw. verlinken.
Conductor Marc Minowski and director Mariame Clément fall short with Offenbach’s Les contes d’Hoffmann in Salzburg. Although both were born in Paris, the performance lacks the quintessential Parisian esprit. Instead of the ironic lightness of the Belle Époque, the production is weighed down by heavy-handed forest romanticism, failing to capture the work’s true essence. Offenbach’s intricate meta-levels, which elevate the piece to an artistic masterpiece, remain untouched.
The set and costumes are uninspired, oscillating between the 19th century and the present. The inclusion of a film crew on stage suggests a meta-layer that doesn’t convince. Singers like Benjamin Bernheim and Kathryn Lewek strive to salvage the performance. Bernheim brings some of the necessary satirical verve as Hoffmann, while Lewek shines vocally as Olympia. However, the potential of the story about the automaton remains untapped, and the piece’s ironic nature is lost.
This performance was a lukewarm Offenbach, failing to present the music and story in their full brilliance.