Von Barbara Röder.
Wir wissen alle, wie diese Lovestory zwischen Giulio Cesare und Cleopatra ausgeht. Keineswegs so glücklich, wie uns Georg Friedrich Händel und sein kongenialer Librettist und Solocellist Nicola Francesco Haym mit ihrem „lieto fine“ glauben machen! Händels grandioses „Kabinettstück musikalischer Charakterisierungskunst“ setzt dem kriegerischen, leicht zu manipulierenden Titelhelden Giulio Cesare ein illustres Denkmal.
Wir begegnen ihm 48 v. Chr. während seines Ägyptenfeldzugs in Alexandria. 1724, vor genau 300 Jahren, musste die Caesar-Kleopatra Lovestory am Londoner Haymarket-Theater unbedingt auch sein. Denn die gefeierte Kastraten-Ikone Senesino und die launische Starsopranistin Francesca Cuzzoni waren die Helden dieses barocken Superevents. „Love and Passion“ waren deren unausgesprochenen, verheißungsvollen Künstlernamen. Dass Cleopatra – historisch verbürgt – Caesars Sohn gebar, der römische Feldherr und Konsul da aber schon zu erneuten Eroberungen abgerauscht war und die ägyptische Königin mit Marc Antonius eine heiße, noch wildere Lovestory und kurze Ehe durchlebte, inklusive ihres legendären Kobragifttods, ist eine ganz andere Opera: die Film-Opera „Cleopatra“ mit Liz Taylor als Cleopatra-Femme fatal und Richard Burton als ihr Latin Lover Marc Antonius.
Weltniveau
An der Frankfurter Oper erlebte das verzückt begeisterte Premierenpublikum des „Giulio Cesare“ einen fulminanten vorösterlichen Opernabend, wie vielleicht 1724 in London diese pikante Story zur künstlerischen Blütezeit des „Il Caro Sassone“ zelebriert wurde. Die Stars Pretty Yende als Cleopatra und Lawrence Zazzo in der Partie des Cesare waren ein sicherer Garant für Weltniveau am Frankfurter Opernhaus mit seinem klugen Intendanten Bernd Loebe.
Regisseurin Nadja Loschky und ihre Bühnengestalterin Etienne Pluss entführen in ein in Grautönen dominiertes gestyltes, von dahingleitenden Schaukästen dominiertes Ambiente. Sie nennen diesen gut funktionierenden, bühnentauglichen Einfall „Zeitstrahl“. So können sich die Protagonisten des von Loschky intensiv unter die Lupe genommen „Dramma per musica“ auf den unterschiedlichsten Daseinsebenen bewegen. Die Verortung des Geschehens ist überall und nirgends. Die Fantasie kann so in der Historie umherwandern, leichtfüßig spazierengehen. Die Kostüme von Irina Spreckelmeyer zeichnen sich, dem Bühnenbild angepasst, aber durch einen Hauch zu viel Schwarz-Weiß aus: schwarzes Kleiderwerk für die an den Faschismus erinnernden Römer, weiße Gewänder an die eroberten, unterlegenen Ägypter. Ein wenig grüne Hoffnungsfarbe birgt der Bild im Bild-Hain mit Ambrosia-Sträuchern, vor denen sich der Imperator Cesare niederlässt. Zuvor hat er genüsslich seine marmorweißen Cesarenbüsten betrachtend ein Ei verzehrt. Er ist selbstverliebt, ein wenig einfältig und aalt sich berauscht im eigenen Ruhm. Lawrence Zazzo ist dieser Koloratur strotzende Cesare, der zur Höchstform eines sich verzehrenden Liebenden aufläuft. Zazzos feines Gestalten gelingt besonders gut in den ruhigen Sehnsuchtsarien. In den Folgeaufführungen besticht Zazzo noch eindringlicher in seinen rasant feurigen Bravourarien. Besonders in der Arie mit dem warm tönenden Natur-Solohorn „Va tacito e nascosto“, wo Cesare den kriegerisch, überlegten Jäger zelebriert. Eine Freude!
Traum verloren und voller Sehnen verliert sich der Lamento-Gesang von Pretty Yende (Cleopatra) und füllt die triste Öde ihres Hoffens. Von zärtlichen Fagott-Seelenseufzern umhüllt, sucht Cleopatra nach ihrer, sie stärkende Identität. Yende ist eine eindrucksvolle singende Menschendarstellerin. In der, in Trauerflor getränkten Arie „Se pieta di me non senti“ spürt Cleopatras Gesang sich selbst auf, um aus ihrem tiefen Klagen Überlebenswille und Lebensmut zu schöpfen und sich zum freien Atmen ihrer Seele aufzuschwingen. Ein Höhepunkt des Abends!
Zum Weinen geboren
Tolomeo, der blutrünstige, machtbesessene Bruder Cleopatras ist ein echter von Dekadenz geprägter Psychopath mit animalischer Tsunami-Natur. Nils Wanderer ist eine gelungene Besetzung des Tolomeo. Die Grausamkeiten, die irrwitzige Brutalität der Kriegsszenerie dieses „Giulio Cesare“ entlädt sich gleich zu Beginn, als der vom Kopf getrennte, blutgetränkte Körper des Pompeo auf einem Thron sitzend, hereingefahren wird. Das hatte Tolomeo veranlasst. Ab da muss Cornelia, Pompeos Witwe, Trauer tragen. Ebenso aber auch Sesto, ihr Sohn, der das Herz eines unbändigen Löwen hat und auf Rache für diese Gräueltat sinnt. Händel hat diesen Gepeinigten ein inniges Duett beschert. Es ist durchströmt von hingebungsvoller Liebe, unendlichem Verzehren und bitterer Traurigkeit. „Son nato a lagrima“, „Zum Weinen bin ich geboren“, ist das Schicksal von Cornelia und Sesto. Diese Trauerschwere wird Sesto auch dann nicht verlieren, nachdem er den Schlächter und Vergewaltiger Tolomeo niedergemetzelt hat. Bianca Andrew singt mit Herzenswärme und kühner Brillanz diesen verletzlichen Sesto und wird dafür vom Publikum gefeiert. Cláudia Ribas gibt die lyrisch gestaltende, trostsuchende Witwe Cornelia. Mit kerniger dunkler Exquisität überzeugt der kämpferische Achilla, der von Božidar Smiljanić plausibel gestaltetet wird. Exzellent sind Jarrett Porter als Curio und Iurii Iushkevich in der Partie des Nireno.
Simone Di Felice leitet das beherzt, farbenreich aufspielende Alte-Musik-Ensemble des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters, das ein wenig höher aus dem Graben gefahren, mehr intensive Brillanz hätte. Ein barockes Spektakel, das nachhallt.
Weitere Aufführungen im April und Mai 2024
Oper Frankfurt
Untermainanlage 11
60311 Frankfurt am Main
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Light and shadow in the kingdom of love. „Giulio Cesare in Egitto” at the Frankfurt Opera
We all know how this love story between Giulio Cesare and Cleopatra ends. By no means as happy as George Frideric Handel and his congenial librettist and solo cellist Nicola Francesco Haym would have us believe with their “lieto fine”! Handel’s grandiose “cabinet piece of musical characterisation” is an illustrious monument to the warlike, easily manipulated title hero Giulio Cesare. We meet him in 48 BC during his Egyptian campaign in Alexandria. In 1724, exactly 300 years ago, the Caesar-Cleopatra love story at London’s Haymarket Theatre was a must-see. After all, the celebrated castrato icon Senesino and the moody star soprano Francesca Cuzzoni were the heroes of this baroque super-event. “Love and Passion” were their unspoken, auspicious stage names. The fact that Cleopatra gave birth to Caesar’s son – historically proven – but that the Roman general and consul had already left for new conquests and the Egyptian queen lived through a hot, even wilder love story and short marriage with Marc Antonius, including her legendary death by cobra venom, is a completely different opera: the film opera “Cleopatra” with Liz Taylor as Cleopatra’s femme fatal and Richard Burton as her Latin lover Marc Antonius.
At the Frankfurt Opera, the rapturously enthusiastic premiere audience of “Giulio Cesare” experienced a brilliant pre-Easter opera evening, just as this piquant story might have been celebrated in London in 1724 during the artistic heyday of “Il Caro Sassone”. The stars Pretty Yende as Cleopatra and Lawrence Zazzo in the role of Cesare were a sure guarantee of world-class quality at the Frankfurt Opera House with its astute artistic director Bernd Loebe.
Director Nadja Loschky and her stage designer Etienne Pluss transport the audience into a styled ambience dominated by grey tones and gliding showcases. They call this well-functioning, stage-suitable idea a “timeline”. This allows the protagonists of Loschky’s closely scrutinised “dramma per musica” to move on the most diverse levels of existence. The location of the events is everywhere and nowhere. The imagination can thus wander around in history, taking a light-footed stroll. Irina Spreckelmeyer’s costumes, adapted to the stage design, are characterised by a touch too much black and white: black clothing for the Romans reminiscent of fascism, white garments for the conquered, inferior Egyptians. The picture in the grove of ambrosia bushes in front of which the Emperor Cesare sits down provides a little green colour of hope. Beforehand, he has eaten an egg while gazing at his marble-white Cesar busts. He is self-absorbed, a little simple-minded and basks in his own glory. Lawrence Zazzo is this Cesare, bursting with colouratura, who is on top form as a consumed lover. Zazzo’s subtle characterisation works particularly well in the quiet arias of longing. In the subsequent performances, Zazzo is even more impressive in his fast-paced, fiery bravura arias. Especially in the aria with the warm-sounding natural solo horn “Va tacito e nascosto” where Cesare celebrates the warlike, deliberate hunter. A joy!
Lost in a dream and full of longing, Pretty Yendes’s (Cleopatra) lamenting song fills the dreary wasteland of her hopes. Enveloped by tender bassoon sighs, Cleopatra searches for her identity to strengthen her. Yende is an impressive singing human actress. In the aria “Se pieta di me non senti”, drenched in mourning floridness, Cleopatra’s singing traces herself in order to draw the will to survive and the courage to live from her deep lamentation and to soar up to the free breathing of her soul. A highlight of the evening!
Tolomeo, Cleopatra’s bloodthirsty, power-obsessed brother, is a true psychopath characterised by decadence and an animalistic tsunami nature. Nils Wanderer is a successful casting for Tolomeo. The cruelty, the insane brutality of the war scene in this “Giulio Cesare” is unleashed right at the beginning, when the blood-soaked body of Pompeo, separated from his head and sitting on a throne, is brought in. This is what prompted Tolomeo. From then on, Cornelia, Pompeo’s widow, has to mourn. But so is Sesto, her son, who has the heart of an unruly lion and seeks revenge for this atrocity. Handel has given this tormented man an intimate duet. It is suffused with devoted love, endless consumption and bitter sadness. “Son nato a lagrima”, “I was born to weep”, is the fate of Cornelia and Sesto. Sesto will not lose the weight of his grief even after he has massacred the butcher and rapist Tolomeo. Bianca Andrew sings this vulnerable Sesto with warmth of heart and bold brilliance and is celebrated by the audience. Cláudia Ribas plays the lyrical, consolation-seeking widow Cornelia. The pithy, dark exquisiteness of the combative Achilla, plausibly portrayed by Božidar Smiljanić, is convincing. Jarrett Porter as Curio and Iurii Iushkevich in the role of Nireno are excellent.
Simone Di Felice conducts the spirited, colourful early music ensemble of the Frankfurt Opera and Museum Orchestra, which would have had more intense brilliance if it had been raised a little higher from the pit. A baroque spectacle that resonates.
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