Das Ehepaar Gretha v. Jeinsen und Ernst Jünger führte eine ganz normale Ehe mit anfänglicher Verliebtheit, späterer Eifersucht und stets verbunden in der Organisation des Alltags mit Kindern. Allerdings handelt es sich um zwei hochbegabte Menschen und herausragende Charaktere in Zeiten des Krieges. Eine Auswahl ihres Briefwechsels blättert ein Panorama der ersten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts auf. Rezension von Stephan Reimertz.
Spöttisch, praktisch, couragiert; so kennt man Gretha v. Jeinsen aus ihren beiden Büchern Die Palette und Silhouetten, nicht anders als ihrem Briefwechsel mit Carl Schmitt, der bereits vor fünfzehn Jahren erschien. Den berühmten Ehemann, Ernst Jünger, nennt sie dort ironisch ihren »Gebieter«. Das Mädel aus verarmtem niedersächsischen Landadel wollte zuerst Schauspielerin werden. Allein ihr Verlobter, Kriegsheld Jünger, bemerkt, »wie sehr diese ganze Flimmerei ein einziger Saustall ist. Ich möchte dich um keinen Preis dabei sehen«. Auch Werner Kraus nannte ja den Film den Flimm, wie Oskar Werner erzählte, und die Äußerungen von Carl Schmitt über diese Kunstform sind bekanntlich ebensowenig die günstigsten. Auch »die Tatsache, daß Du jeden Abend vor anderen Menschen singen uns springen sollst«, besitzen für den Bräutigam »ihre schweren Schattenseiten«. Künstler dieser Generation hatten gegen die Kunstausübung ihrer eigenen Frauen einiges einzuwenden, man denke nur an Max Beckmann, der seiner ersten Frau das Konzertieren mit der Geige, der zweiten das Malen ausredete.
Biographische und historische Anekdoten
Gretha v. Jeinsen lernte den mit dem Pour-le-mérite dekorierten jungen Soldaten und Autor der Stahlgewitter nach dem Ersten Weltkrieg auf der Straße in Hannover kennen. Sie war sechzehn Jahre alt, und Ernst Jünger sah sie dann als Marthe in einer Schüleraufführung des Faust. Letzteres Détail gehört zu den zahlreichen biographischen Anekoten, die auch der eine oder andere Jünger-Kenner noch nicht gehört hat. Das neue Buch ist also ein überraschendes Mosaik von Bekanntem und Unbekanntem, eine typische und doch einzigartige Liebes- und Ehegeschichte und ein Panorama des Krieges und der Bombardierungen; zugleich kann er als Kommentar zu den Strahlungen betrachtet werden, wie der bereits erschienene Briefwechsel von Gretha Jünger und Carl Schmitt als Kommentar zu den Briefen zwischen ihr und Ernst Jünger, die uns jetzt vorliegen. Die Lektüre ist damit auch eine gute Vorbereitung auf die Neuausgabe der Strahlungen, die bei Klett-Cotta im Herbst erscheinen und erstmals Unterschiede zu den zugrundeliegenden Tagebüchern dokumentieren soll.
Vorläufige Ausgabe
In der Liebe geht die Wirklichkeit fast immer weiter als der Verdacht, hat La Rochefoucauld gesagt. Er hätte hinzufügen sollen: Und die Eifersucht geht der Untreue stets voraus. Ob jemand treu ist oder nicht, hängt weniger von seinem Charakter als von der Gelegenheit ab. Er saß mitten in Paris, sie in einem Kuhdorf bei Hannover. Etwas zu oft betont sie, allerlei Gelegenheit gehabt, diese aber nicht genutzt zu haben. Als ich meine alte Freundin Barbara Göpel, die Jünger damals in Paris erlebt hat, einmal fragte, wie dieser auf sie gewirkt habe, meinte sie: »Da war man als Frau gleich hin und weg.«
Gretha Jünger traktierte ihren Mann ein Leben lang mit Eifersucht. Während er im Westfeldzug, im Pariser Generalstab und im Kaukasus sein Leben aufs Spiel setzte, waren andere Frauen, die ihrem Mann eventuell hätten über den Weg laufen können, ihr wichtigstes Anliegen. Dem Soldaten, der jeden Tag sein Leben verlieren konnte, gönnte sie nicht einmal seine Pariser Maîtresse. Dieser unschöne, engherzige und provinzielle Zug der Gretha tritt im Laufe des Briefwechsels immer stärker hervor, und man kann die stoische Haltung, das geduldiges Abwiegeln nur bewundern, mit dem Ernst Jünger ihren Anwürfen ein ums andere Mal begegnet. Sie warnt ihn vor dem Sündenbabel, gibt aber gern Einkaufslisten für Luxusartikel durch. Selbst nach Kriegsende, als Jünger wieder zu Hause weilt, war es mit der Eifersucht nicht vorbei. Bei Erscheinen seiner Tagebücher aus dem Zweiten Weltkrieg unter dem Titel Strahlungen nahm Gretha Anstoß an den Auftritten seiner Hauptmaîtresse aus Paris, auch wenn dies unter verschiedenen Namen geschah. Jüngers Maîtresse war die deutschstämmige Äugenärztin Sophie Ravoux, geb. Koch, deren Mann Paul Ravoux im Konzentrationslager Dachau interniert war, was, wie die Herausgeber Anja Keith und Detlev Schötter im Nachwort betonen, Gretha Jünger sehr wohl bekannt war. Der Band wirft manches neue Licht auf die Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts. Darf ich dennoch als alter Jünger-Leser gestehen, nicht immer ganz glücklich mit der Ausgabe zu sein? Es fängt mit der Buchgestaltung an. Grellweißes Papier bleckt einem entgegen. Da es nur summarische biographische Kommentare gibt, sind vereinzelt Namen in eckigen Klammern im Text beigefügt. Ist das schön? Weil es sich hier nur um eine Auswahl handelt, kann das Ganze lediglich als eine vorläufige Ausgabe betrachtet werden.
Ernst Jünger, Gretha Jünger
Einer der Spiegel des Anderen. Briefwechsel 1922-1960.
Klett-Cotta, Stuttgart 2021
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