Die Münchner Opernschule glänzt im Cuvilliés-Theater mit Lucrezia von Ottorino Respighi und Carl Orffs Mond. Von Stephan Reimertz.
Wenn es etwas gibt, das die Münchner an ihrer Stadt besonders lieben, so ist es die enge Zusammenarbeit der unterschiedlichen Kulturinstitutionen. Bevor etwa im Deutschen Museum irgendwelche Schaukästen, die gerade leerstehen, im Keller verstauben, leiht man sie doch lieber an die Theater aus. So dienen die zweckvollen stahlgerahmten Glaskästen einmal der Neuinszenierung von Aribert Reimanns Lear im Nationaltheater, einmal Hoffmanns Erzählungen am Gärtnerplatz und neuerdings auch der Doppelinszenierung der Lucrezia von Ottorino Respighi und Der Mond von Carl Orff am Cuvilliés-Theater. Der schönste aller Münchner Theater(t)räume heißt z. Zt. wieder die Opernschule willkommen. Die enthusiastischen jungen Leuten, die wir neulich am selben Ort mit drei improvisierten Opernauszügen erleben duften, steigen nun etwas tiefer ins Szenische ein, und anders als Christoph Marthaler am Nationaltheater oder Stefano Poda am Gärtnerplatz wissen Regisseurin Tamara Trunova und Bühnenbildnerin Linda Sollacher auf der Bühne des zauberischen Rokokotheaters in der Königlichen Residenz mit ihren Glaskästen tatsächlich etwas anzufangen.
Louise Foor und ihr ganz großer Auftritt
Die Münchner haben ihre Opernschüler gern; das wie schon zuletzt ausverkaufte Haus und der prasselnde Applaus sind beredte Anzeichen dieser Zuneigung. So beging man den Vorabend des Befreiungstages in Italien mit einer Oper von Ottorino Respighi, wie sie römischer nicht sein könnte. Louise Foor, als mondäne Erscheinung aus der Donizetti-Massenet-Puccini-Soirée im Dezember noch in Erinnerung, schreitet, zunächst als Theaterbesucherin in Lederjacke verkleidet, über eine Rampe auf die Bühne und landet mitten in der Handlung der aus Vergewaltigung, Racheschwur und Selbstmord komponierten Lucrezia-Legende, mit der die Römer des Endes ihrer Monarchie wenig schmeichelhaft gedenken. In den Glaskasten gesperrt wird Lucrezia zum hyperrealen Frauenbild, und tatsächlich sind die unterschiedlichen Projektionen, in denen die Frau in der männlichen Phantasie erscheint und eben auch verzerrt wird, gerade das Thema dieser überaus modernen Oper. Mit ihrer, im synästhetischen Sinne gesprochen: goldenen Stimme lehnt sich Foor als Lucrezia gegen die Überformung von außen auf und beharrt auf ihrem Subjekt.
Drei Probleme beim Schreiben einer Oper
Das hilft ihr freilich nicht gegen die geballte männliche Aggression, und so ist der Vorwurf, allzu sehr auf dem Surfbrett der MeToo-Debatte durch die Wellen des gegenwärtigen Theaterbetriebes zu reiten, der einzige, den man dieser ansonsten delikaten und gelungenen Inszenierung machen kann. Benedikt Zehm ist einer von denen, die noch wissen, wie man mit Licht auf der Bühne umzugehen und welch erstaunliche Dramaturgie man einer subtilen Beleuchtungsführung abzugewinnen vermag. Die Kostüme von Eva-Mareike Uhlig wiederum tragen eine satirische Note bei und damit eine entscheidende Dimension. In hellgrauen Anzügen und abgeflachten Melonen bieten die Herren der Schöpfung einen alles andere als imponierenden Anblick. Ottorino Respighi sah sich bei der Vollendung seiner zehnten und letzten Oper mit drei Problemen konfrontiert: Dem faschistischen Regime Benito Mussolinis, dessen grober Klassizismus zu einer Fehlinterpretation seiner Oper hätte führen können, dem überaus reichen Schaffen der musikdramatischen Mitbewerber Richard Strauss, Franz Lehár, Leoš Janáček und, zu Hause in Italien, Giacomo Puccini und Ermanno Wolf-Ferrari, die alle in jenen Jahren Meisterwerke herausgebracht hatten, und schließlich der Tatsache, dass der Komponist über seiner Arbeit an der Lucrezia-Oper verstarb.
Musikdramatische Aufgabe stilistisch und historisch gelöst
Während er dem Cäsarismus Mussolinis und den gewaltigen musikdramatischen Entwürfen seiner Zeitgenossen mit einer wohl neoklassischen, aber eben auch am späten siebzehnten und frühen achtzehnten Jahrhundert orientierten Tonsprache entgegentrat, deren Hauptmerkmal das Schreitende ist, vermochte Respighi auch dem Tod ein Schnippchen zu schlagen, indem er in Elsa Respighi, geborene Olivieri-Sangiacomo, eine Komponistin geheiratet hatte, die in der Lage war, zusammen mit seinem Schüler Ennio Porrino das liegengebliebene Meisterwerk nach seinem Tod zu vollenden. Die klare, »römische« Tonsprache erscheint wie in Musik umgesetzte Dichtung der späten Latinität eines Vergil, Ovid oder Martial. Tatsächlich gelang es mit der subtilen Neoklassik dieser Version des modernen Musiktheaters, dem grob rhetorischen Klassizismus der faschistischen Epoche eine authentische kulturelle Gestalt entgegenzustellen. Das Bayerische Staatsorchester mit Ustina Dubitski am Pult setzt die soeben angefertigte reduzierte Orchesterfassung von Takénori Németo diszipliniert und farbenreich um.
In den Mond geschaut
Im zweiten Teil des Abends kam passend zur Vollmondnacht Carl Orffs Kurzoper Der Mond zur Aufführung. Unter den von den Brüdern Grimm gesammelten Kinder- und Hausmärchen gehört die Geschichte von den vier Gesellen, die den Mond stehlen, mit ihren gerade einmal zwei Druckseiten zu den Welterschaffungsmythen. Carl Orff fiel zu seiner Opernfassung außer einer primitiv archaisierenden Sprache des selbstverfassten Librettos und einer stark rhythmisch betonten Musik nicht allzuviel dazu ein. Der brachiale Humor hätte allenfalls für einen Studentenulk ausgereicht, und dafür ist das Opus mit anderthalb Stunden eindeutig zu lang. Untertitel bzw. Gattungsbezeichnung Ein kleines Welttheater stahl Orff dem längst aus dem offiziellen Kulturleben des »Dritten Reichs« verbannten Hugo von Hofmannsthal. Der musikalische Leerlauf steht in beträchtlichem Gegensatz zum instrumentellen Imponiergehabe, insbesondere des Schlagwerks. Er haut kräftig auf die Pauke, woraus, mit Robert Musil zu sprechen, bemerkenswerter Weise nichts hervorgeht.
Auch eine Art Episches Theater?
Natürlich hat sich die Opernschule etwas dabei gedacht, gerade diese beiden Werke zusammen aufzuführen. Neben einer vergleichbaren Länge und Gestalt als Mini-Oper wäre da der Erzähler zu nennen, der hier wie dort auftritt, bei Respighi als »La Voce« (prachtvoll verkörpert von Natalie Lewis aus einer Loge heraus), bei Orff »Der Erzähler« (Liam Bonthrone). Wir haben es, wenn man so will, mit »Epischem Theater« zu tun.
Der Mond besitzt mit dem kunstvollen dreidimensionalem Scherenschnitt einer phantastischen Stadt ein sehr aufwendiges Bühnenbild, zumal ein Modell desselben bereits in Lucrezia auftaucht. Mit der Einblendung diverser Lucrezien im zweiten Teil, die in der Kunstgeschichte traditionell halbnackt mit einem Dolch in der Hand dargestellt werden, hier leicht animiert, wurde eine weitere Verklammerung der beiden Teile erreicht, die freilich dramaturgisch nur mit Mühe nachzuvollziehen ist. Mit der Vergegenwärtigung eines antiken Stoffes innerhalb von anderthalb Stunden und einer erotischen Raserei inmitten zwingt Lucrezia zudem zum Vergleich mit Richard Straussens Salomé, huldigt diese auch einem nachgerade orientalischen Orchesterkolorismus und steht damit im Gegensatz zu Respighis lateinischer Prägnanz. Halten Salomé und Lucrezia sich noch auf Augenhöhe des kompositorischen Niveaus, fällt Der Mond hier stark ab, wodurch Asymmetrie dem Opernabend von vornherein eingeschrieben ist. Eine Kinderstimme auf Ukrainisch und ein Nachtvogel sorgen am Ende pflichtschuldig für den Gegenwartsbezug.
Das vage Mittelalter mit Deutschem Michel, komponiert in einem Stillstand, der vergeblich versucht, sich zu Originalität aufzuschwingen und dem es dabei gänzlich an subtiler Hintergründigkeit etwa eines Ernst Barlachs gebricht, macht eine Inszenierung des Mondes heute von vornherein zu einem zeitgeschichtlichen und formalen Problem. Eine Aufführung dieses Werks im Maßstab 1 : 1 ohne Metaebene scheint in der Art, wie es die Opernschule jetzt versucht hat, kaum möglich. Allenfalls kann man anerkennen, dass böse Vorahnungen die Komposition selbst schon durchwehen. Der Mond wurde unter der Leitung von Clemens Krauss hier im Hause im Februar 1939 uraufgeführt, sieben Monate vor dem Überfall des Deutschen Reiches auf Polen.
Bayerische Staatsoper
Cuvilliés-Theater
Residenzstraße 1
80333 München
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„Lucrezia“ by Ottorino Respighi and Carl Orff’s „Moon“: Newborn classics with signs of aging
The Munich Opera School presents Ottorino Respighi’s Lucrezia and Carl Orff’s The Moon in an impressive double production at the Cuvilliés Theatre. Director Tamara Trunova and set designer Linda Sollacher skillfully utilize glass cases to bring the magical atmosphere of the Rococo theater to life.
Louise Foor shines in the role of Lucrezia, displaying a strong presence in a modern interpretation of the mythological legend. The production also reflects contemporary themes such as the MeToo debate, without falling into clichés. Under the direction of Ustina Dubitski, the Bavarian State Orchestra delivers Respighi’s Roman opera with impressive discipline and richness of color.
The second part of the evening presents Carl Orff’s The Moon, a short opera based on a tale by the Brothers Grimm. However, the production raises questions as it is not entirely convincing despite the elaborate set design and use of technology. The asymmetrical quality between the two works highlights the challenge of staging The Moon in today’s context.
Overall, the performance showcases the versatility and dedication of the Munich Opera School, as well as the artistic challenge of presenting historical works in a contemporary context.