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Melancholie und Humor: Pierre Bost „Ein Sonntag auf dem Lande“

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Rezension von Barbara Hoppe.

Wie schön ist es, dass manch Verlag darauf verzichtet, immer nur Neues herauszubringen und danach zu streben, den nächsten Stern in den Literaturhimmel zu hängen. Der Dörlemann Verlag in Zürich gehört zu den kleinen, feinen Häusern, die sich auf ihre Fahnen geschrieben haben, auch versunkene Schätze zu heben und diese Sterne zum Wiedererleuchten zu bringen.

Zweifelsohne gehört „Ein Sonntag auf dem Lande“ des Franzosen Pierre Bost dazu. Bost war literarisch enorm aktiv – allerdings nur in den Jahren zwischen 1927 und 1945. Danach versiegte die Arbeit als Romancier zugunsten einer äußerst regen Tätigkeit als Drehbuchautor für über 50 Filme. Auch „Ein Sonntag auf dem Lande“ fand schließlich seinen Weg auf die Kinoleinwand. Neun Jahre nach dem Tod seines Schöpfers verfilmte Bosts Freund Bertrand Tavernier das Familien-Kammerspiel im Jahr 1984.

 

Innensicht eines Familiengefüges

Offenbar empfand Pierre Bost seine literarische Arbeit als ungenügend, um sie weiterzuführen. So wie sein Protagonist, ein alter Maler, sich nie als Revolutionär der Malerei begriff, wenngleich er nicht unerfolgreich war. Doch darum geht es in dem schmalen Roman nur am Rande, obschon die Malerei für eine vergangene, unmodern gewordene Zeit steht. Erzählt wird der Besuch von Gonzague, seiner Frau Marie-Thérèse und den Kindern Lucile, Emile und Mireille. Der Sohn kommt fast jeden Sonntag in das große Landhaus seines alten Vaters, der hier mit seiner so einfachen wie geduldigen Haushälterin Mercédès lebt und mit dem Altwerden fertig werden muss. Feinsinnig und nuanciert beschreibt uns der Autor die Ankunft der Familie und den Tagesablauf, der, immer gleich, mit stoischer Ruhe, Geduld und Gelassenheit, durchlaufen wird. Begleitet von der Sorge des Sohnes um den näher rückenden Tod des Vaters, den gelangweilten Kindern, dem Wunsch, alles richtig zu machen und der Verehrung des Alten durch den Jungen, schleichen sich in unendlicher Langsamkeit die Minuten dahin, rinnen durch den heißen Sommertag wie der Schweiß unter den viel zu kompakten Kleidern der bürgerlichen Familie. Bis zu dem Moment, als Irène in die träge Stille platzt. Als Tochter hat sie sich vom Vater emanzipiert und als Schwester vom Bruder distanziert. Modern und aktiv lebt sie in Paris, offenbar wohlhabend, ohne dass jedoch eines der Familienmitglieder weiß, womit die junge Frau ihren Lebensunterhalt verdient (und ob sie einen Liebhaber hat).

Es ist ein Fächer fein austarierter Gefühle, den Pierre Bost entfaltet. Nuancen von Eifersucht und Neid, von Liebe und Angst, Ungeduld und Nachsicht, Erwartungen und Enttäuschung treten hervor, ohne dass die Masken fallen. Schmerzliche Melancholie und Humor wechseln sich ab. Erschrocken hält man manches Mal inne, so präzise erfasst der Autor allzu Menschliches.

Dankbar dürfen wir sein, „Ein Sonntag auf dem Lande“ zu verbringen. Es wird nicht ohne Hintergedanken sein, dass Pierre Bost seinen Roman im Original den Titel „Monsieur Ladmiral wird bald sterben“ gegeben hat. Sein Roman ist ein Geschenk an die Langsamkeit des Lebens, das doch viel zu schnell verrinnt.

Pierre Bost
Ein Sonntag auf dem Lande
Aus dem Französischen übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Rainer Moritz
Originaltitel: Monsieur Ladmiral va bientôt mourir
Deutsche Erstausgabe
Dörlemann Verlag, Zürich 2018
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Coverabbildung © Dörlemann Verlag

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