Maile Meloy schafft mit „Bewahren Sie Ruhe“ einen Roman wie wir ihn nur als amerikanischen Spielfilm kennen. Von Barbara Hoppe
Plötzlich sind die Kinder verschwunden. Eben tobten sie noch im seichten Wasser des wunderschön gelegenen Strandes. Und jetzt sind sie weg. Ein Albtraum für alle Eltern. Dabei hatte alles so schön begonnen. Zwei Familien beschließen, Weihnachten gemeinsam auf einem Kreuzfahrtschiff zu verbringen, das sie von Los Angeles einmal nach Südamerika bringen soll und zurück. Die Mütter, Liv und Nora, sind Kusinen. Liv ist mit Benjamin, einem Ingenieur verheiratet, die selbstbewusste Penny, elf Jahre, und Sebastian, acht Jahre, sind ihre Kinder. Noras Mann ist ein erfolgreicher afro-amerikanischer Schauspieler, ihre Kinder Marcus und June sind elf und sechs Jahre alt. Es soll eine entspannte Fahrt werden, auf der Nora auch den Tod ihrer Mutter ein wenig vergessen soll.
Doch bei einem Landausflug kommt es zur Katastrophe: Der Wagen des Tourguide Pedro hat einen Unfall. Die Mütter und Kinder folgen seinem Vorschlag, besser zu improvisieren und den Tag am nahe gelegenen, aber einsamen Strand zu verbringen, statt auf Hilfe zu warten, die sowieso erst Stunden später eintreffen wird. Ecuador ist eben nicht Los Angeles. Müde von der Hitze, schläft Liv schließlich am Strand ein, Nora hatte sich schon vorher mit Pedro in die Vegetation verzogen, denn es prickelt erotisch zwischen den beiden. Und irgendwann hat die Flut die Kinder den Fluss hinauf gedrückt. Die Strömung ist stark, zurück schaffen sie es nicht. Doch das wissen die Mütter zu diesem Zeitpunkt nicht. Sie starren nur auf die leere Stelle im Wasser, wo eben noch ihre Kinder gespielt haben.
Ab hier entspinnt Maile Meloy drei sich parallel entwickelnde Geschichten. Während die Eltern verzweifelt alle Hebel in Bewegung setzen, die Kinder zu finden, sind diese plötzlich auf sich allein gestellt. Nicht nur stolpern sie arglos in einen Drogenmord, im Wasser lauern zusätzlich die Krokodile. Wäre dies nicht alles schon schlimm genug, spitzt sich die Lage dramatisch zu, denn Sebastian hat Diabetes und weder sein Messgerät noch Insulin dabei. Doch amerikanische Kinder sind wertvoll für Entführer. So ist die Lage vorerst ernst, aber es hätte auch schlimmer kommen können. Das kommt es auch, aber für die Familie, die Maile Meloy eher am Rande mitlaufen lässt, obwohl sie genauso betroffen ist wie die Amerikaner: Camila und Gunther mit ihren Kindern Isabel und Hector. Das Abziehbild einer argentinischen Reich-und-Schön-Familie. Und ebenfalls am Strand dabei. Zumindest die Mutter. Denn alle Väter waren der Golf-Einladung Gunthers gefolgt und meilenweit entfernt, als das Unglück geschah.
Es entsteht das Gefühl, dass Meloy diese vier braucht, um die Dramatik des Geschehens auf die Spitze zu treiben, ohne dass eine amerikanische Seele zu Schaden kommt. Isabel und Hector sind älter als die anderen Kinder. Hector wagt den Weg zurück durchs Wasser, die vierzehnjährige Isabel ist zu hübsch, um gefahrlos südamerikanischen Entführern ausgeliefert zu sein. Als dann auch noch der dritte Erzählstrang den Weg der Kinder kreuzt – die kleine Noemi wird von ihrer Großmutter mit einem Onkel auf den gefahrvollen Weg geschickt, als Illegale in die USA zu gelangen – ist auch Isabels Schicksal endgültig besiegelt. Die Argentinier sind hübscher und reicher als die Amerikaner und müssen dafür büßen: Verloren, verzweifelt, verwöhnt und doch auch verantwortungsbewusst kämpfen sich vier politisch-korrekte amerikanisch-afro-amerikanische Kinder durch die Gefahren, während Isabel vor allem widerspenstig ist und Hector die Gruppe schon am Anfang verlässt. Zudem war es Gunther, der die Väter mit der verführerischen Golf-Einladung weglotste und es ist er, der am Ende einen zwielichtigen Deal einfädelt. Eine solche Schwarz-Weiß-Malerei wiederum findet der politisch-korrekte deutsche Leser irgendwie nicht korrekt.
Dies beiseite lassend, ist „Bewahren Sie Ruhe“ vor allem eins: ein spannender Roman, bei dem vor dem inneren Auge bereits die Spielfilmbilder ablaufen. Durchaus nachvollziehbar machen sich die US-Eltern mit Vorwürfen das Leben gegenseitig zur Hölle, während die amerikanischen Kinder eine moderne Abenteuer-Version von Enid Blytons „Fünf Freunde“ bestehen, die argentinischen hingegen die Hölle erleben. Und eines erreicht Maile Meloy auf jeden Fall: Auf Landausflüge in südamerikanischen Ländern mit Dschungel, Drogen und Krokodilen hat man danach definitiv keine Lust mehr.
Maile Meloy
Bewahren Sie Ruhe
Aus dem Amerikanischen von Anna-Christin Kramer und Jenny Merling
Kein & Aber, Zürich 2018
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Coverabbildung © Kein und Aber Verlag
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