Keine Frage: Daniel Libeskind ist ein Entertainer. An dem Abend, als der Stararchitekt in der Akademie der Künste am Pariser Platz in Berlin sein neues Buch „Edge of Order“ vorstellte, war der Raum bis auf den letzten Platz gefüllt. Und ob man sich nun für Architektur interessiert oder nicht, auf jeden Fall wurde man bestens unterhalten.
Mit Witz und Ironie, mit Wissen und vor allem mit viel Leidenschaft sprach hier ein Mann über sein Lebenswerk. Über seine Geburt in Polen, die kleine Wohnung, in der sie zu viert wohnten und über den Tisch in der noch kleineren Küche, der nicht so richtig in die Ecke passte. Dieser Tisch, so Libeskind, machte aus ihm wohl den Architekten, der er heute ist. Ein Architekt, dessen Bauten vor allem durch Ecken und Kanten bestechen. Ob das Jüdische Museum in Berlin, das Militärhistorische Museum in Dresden, der Kö-Bogen in Düsseldorf, der Sapphire Wohnkomplex in Berlin-Mitte, das Hochhaus Zlota 44 in Warschau, der im Bau befindliche Occitane Tower in Toulouse, City Life in Mailand, das gigantisch schöne Ngaren Museum for Human Evolution in Kenia oder das eigenwillige Eigenheim eines Paars in Connecticut – 40 außergewöhnliche Projekte hat Daniel Libeskind schon realisiert, 45 weitere sind noch im Entstehen.
Folgt man Daniel Libeskind, reist man unweigerlich um die Welt. Und staunt. Wo er hat bauen lassen, was er hat bauen lassen. Da klotzt einer. Klein, fein und lieblich geht anders. Und doch überzeugen seine Entwürfe. Denn hier ist ein Visionär am Werk. Ein kreativer Kopf, der sich in keine Ordnung drängen lässt. Der Gebäude neu denkt. Ein Architekt, der das Vergangene respektiert, aber nicht reproduziert. Und trotzdem weiß, dass er kein Künstler ist, der eine Skulptur schafft, sondern jemand, der Kunst mit den Anforderungen eines Gebäudes vereinen muss, in dem Menschen ein- und ausgehen, wohnen, arbeiten und leben. Daniel Libeskind schaut auf den historischen Kontext, auf die Umgebung, auf das, was mit dem Gebäude ausgedrückt werden soll. Und dann zeichnet er. Zeichnen, so erklärt er, sei das A und O eines Architekten.
So kann man wohl auch sein aktuelles Buch „Edge of Order“ verstehen. Nicht nur bewegt er sich damit schon vom Titel her immer am Rand des Geordneten und Konventionellen. Wer darin blättert, folgt dem Architekten über Skizzen seinen Überlegungen und Schritten hin zum fertigen Entwurf. Weit schlägt er den Bogen von den alten Griechen bis zu den Marx Brothers.
Natürlich polarisieren seine Ansichten und Entwürfe. Würde jeder Architekt so bauen – wie sähe die Welt dann aus? Wie umgehen mit der Frage nach Verschwendung von Ressourcen, von Raum und Material? Schwelgerisch sind Libeskinds Entwürfe allemal. Ob sie für die Behebung von akutem Wohnungsmangel taugen, sei dahingestellt. Aber das müssen sie auch gar nicht. Wichtig ist, dass die Welt weiterhin Menschen hervorbringt, die jenseits aller Konventionen denken, sich trauen und tun und damit nicht nur zur Vielfalt auf diesem Planeten beitragen, sondern ihn auch – egal in welchem Bereich – lebenswerter für alle machen.
Daniel Libeskind
Edge of Order
Clarkson Potter, New York 2018
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