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Osterfestspiele Salzburg: „Messa da Requiem“ von Guiseppe Verdi

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In Gedenken an die große Dirigentenpersönlichkeit Seiji Ozawa
1. Sep. 1935 – 6. Feb. 2024)

Schlussstück
Der Tod ist groß.
Wir sind die Seinen
lachenden Munds.
Wenn wir uns mitten im Leben meinen,
wagt er zu weinen
mitten in uns
.
Rainer Maria Rilke, 1900/01

Von Barbara Röder.

„Libera me“, „Befreie mich“. Fast hauchend verhallt der letzte tönende Atemzug in Giuseppe Verdis „Messa da Requiem“. Die kollektive Bitte von Chor, Orchester und Solosopran in C-Dur steht am lichtdurchfluteten Ende einer langen Reise durch den Höllenschlund aller Irrungen und Wirrungen der menschlichen Seele. Verdis Sopranstimme scheint in ihrem freudigen, liebevollen, aber auch mahnenden Flüstern Dante Alighieris Muse Beatrice zu gleichen. Sie war jene reale Figur, die den Geist, das Herz des italienischen National-Poeten auf überwältigende Weise entflammte und die als fiktive, weibliche Minne in dessen größten Lebenswerken „La Vita Nuova“ und der „Göttlichen Komödie“ Gestalt annahm.

Seien wir einmal kühn, fabulieren wir: In Dantes „Divina Commedia“ („Göttliche Komödie“) wandert Dante mit seinem antiken, römischen Dichterfreund Vergil durch Hölle und Fegefeuer. Am Tor zum Paradies erblicken beide Beatrice. Dante, dem Italien sein berühmtestes Literaturdenkmal verdankt, schuf mit seiner Muse Beatrice jene ikonische Lichtgestalt, deren poetisches Lächeln seit der Renaissance unzählige Gemälde ziert. Seit ihrer literarischen Geburt inspirierte sie Dichter, Maler und Philosophen. Seitdem Beatrice durch die Dichtung Dantes spricht, schimmert und leuchtet, ist sie der Inbegriff der idealisierten Geliebten.

Verdis letzte Worte des Requiems, das “Libera me“, die in ihrer Intensität mahnend oder hoffnungsvoll wahrgenommen werden können, könnten als ein „Befreie mich“-Hilferuf verstanden werden, der in vergangene Zeiten und Jahrhunderte zurückschallt. Zugleich imaginieren sie den Emanzipationsversuch in eine bessere Zukunft, in eine von Angst befreite Zeit. In Verdis letzter Oper „Falstaff“, seiner lyrischen Komödie, wird die große Fuge „Tutto nel mondo è burla“ („Alles ist Spaß auf Erden“) von allen Protagonisten, Sängern und Musikern intoniert. Die Fuge als kollektives gemeinsames, begeistertes Jubilieren ist Verdis musikalische Reminiszenz an die Meister des Barock. Hier setzt der Tonkünstler nach der Höllenfahrt, dem Fegefeuer dann doch ein Paradies an den Schluss! Die finalen Klänge des „Libera Me“ in seinem „Requiem“ vermögen ebenso das Ende des Schmerzes und den Blick in ein freudvolles Dasein zugleich verheißen.

„…so etwas kann nur ein Genie schreiben.“ Johannes Brahms

In seiner letzten Schaffensphase, zwischen den Opern „Otello“ und „Falstaff“, komponierte Giuseppe Verdi 1874 sein ausdrucksstarkes Tongemälde „Messa da Requiem“. Italiens schreibende Gallionsfigur, der Dichter Alessandro Manzoni, dessen Roman „Promessi Sposi“, „Die Brautleute“, für das erwachende italienische Nationalbewusstsein in der Zeit des Risorgimento steht, verstarb 1873.

Bereits 1868 beklagte Verdi den Tod Gioacchino Rossinis: „Ein großer Name ist von der Welt verschwunden! Niemand in unserer Zeit genoss einen solchen Ruf und eine solche Popularität“. Nach dessen Tod schloss Verdi sich mit zwölf Komponisten zusammen, um ein Requiem für das italienische Ton-Genie zu komponieren. Verdi, als  Schwan von Busseto bekannt, vertonte das abschließende Responsorium „Libera me“ und schuf damit die Urzelle, die Urfassung des „Manzoni-Requiems“, wie Verdis „Messe da Requiem“ lange Zeit genannt wurde.

Mit dem Tod des zweiten italienischen Nationaldichters nach Dante steht außer Frage, dass es Verdis Absicht war, den „Ruhm Italiens“ in seinem Requiem zu verewigen. „Ich wäre vor ihm niedergekniet, wenn man Menschen anbeten könnte“, bekannte Verdi nach einer Begegnung mit Alessandro Manzoni im Sommer 1868. Folgerichtig schrieb Giuseppina Strepponi, Verdis Lebensgefährtin, in einem Brief über Verdis religiöse Ansichten, nachdem die Streitigkeiten darüber nicht abrissen: „Auch die religiöse Andacht wechselt in ihrem Ausdruck; sie hat ihre Länder, ihre Zeiten. Was in Verdis Requiem zu leidenschaftlich, zu sinnlich erscheinen mag, ist eben aus der Gefühlsweise seines Volkes heraus empfunden, und der Italiener hat doch ein gutes Recht zu fragen, ob er denn mit dem lieben Gott nicht Italienisch reden dürfe?“

Kurz vor der Vollendung seines Requiems, seiner „Oper im liturgischen Gewand“, machte sich Verdi auch über die ewige Diskussion, ob er der Religion oder der Musik gerecht werde, schriftlich Luft: „Ich arbeite an meiner Messe, und sogar mit größtem Vergnügen. Mir scheint, dass ich ein seriöser Mensch geworden bin und nicht mehr der Hanswurst des Publikums, der auf die Pauke haut und ‚Hereinspaziert, hereinspaziert’ schreit.“

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Antonio Pappano, Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia
© Fabio Novino

Die Vergeblichkeit und die Vergänglichkeit sind Schwestern …

Traditionell ist der Karfreitag ein besonderer Konzerttag bei den Osterfestspielen Salzburg. Seit der Gründung 1967 durch Herbert von Karajan erklingt an diesem Tag ein Requiem oder ein Oratorium. In diesem Jahr funkelte also Verdis musikalisches Glaubensbekenntnis im ausverkauften Salzburger Festspielhaus. Ein weiterer Triumph für Dirigent Antonio Pappano, Chor und Orchester der römischen Accademia Nazionale di Santa Cecilia nach dem Erfolg von „La Gioconda“. Hinzu gesellte sich der Bachchor Salzburg. Die Einstudierung übernahmen Andrea Secci (Rom) und Michael Schneider (Salzburg). Dieser Abend war dem kürzlich verstorbenen Dirigenten Seiji Ozawa gewidmet.

Das geheimnisvolle Flüstern des Chores, als würde er die gehauchten Silben langsam kauen, wie eine Hostie, steht zu Beginn des gewaltigen Tongemäldes. Pappano entfacht mit dem dröhnend donnernden „Dies Irae“, dem „Tag des Zorns“, den Ausbruch eines feuerspeienden, musikalisch üppig brodelnden Vulkans.  Stockender Atem der Gesangstimmen treffen immer wieder auf den klingenden Traum vom “Vita Nuova“. Aber so inszeniert Pappano die lyrischen, exponierten Bögen der Partitur und schildert musikalisch ebenso faszinierend, dass es kaum ein Entkommen aus dem gefräßigen Schlund des drohenden Schicksals gibt. Dass ein Jeder sein eigenes Schicksal hat und die Vergeblichkeit und die Vergänglichkeit vertraute Schwestern sind ist, ist klingend spürbar.

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Herbert-von-Karajan-Preis 2024: Arabel Karajan, Masabane Cecilia Rangwanasha, Eve-Maud Hubeaux, Lise Davidsen © Erika Mayer

Verdis kompositorische „Ideé fixe“ steht wie gemeißelt konträr zu dem „Libera me“. Er lässt es zischen und stürmen. Ein Otello-Gewitter erhebt sich mit prasselnden Tremoli, Donnerschläge der Pauken künden vom Jüngsten Gericht. Pappanos Klangkörper vollführt einen atemraubenden Totentanz. Wenn Sopran, Fagott ,Klarinette vereinigt Seelentöne musizieren oder sich die Sologeige im „Offertorium“ kristallinem Herzklopfen hingibt, sind wir gefangen in der Intensität der musikdramatischen Ereignisse mit der die Musiker des Orchestra dell’ Accademia Nazionale di Santa Cecilia aufwarten. Pappano, ein profunder Connaisseur von Verdi hat ein international hochgelobtes Sängerquartett mit im Bunde: Die Sopranistin Masabane Cecilia Rangwanasha, die Tage zuvor mit Lise Davidsen und Eve-Maud Hubeaux den Herbert-von-Karajan-Preis in Empfang nahm, ist eine begnadete Solistin, die in ihrer hochdramatisch, einfühlsamen Interpretation mehr als überzeugte. So ein ausdruckstarkes, huldvolles „Libera me“ ist selten auf den Konzertbühnen zu hören. Hohe klangliche Qualitäten und gepflegte Diktion zeigt die Mezzosopranistin Judit Kutasi. Luciano Gancis Tenor vibriert gepflegt und verströmt Glanz. Der Bassist Michele Pertusi verfügt über eine balsamische Ruhe und verschmilzt in den ruhigen Passagen des „Dies irea“ mit den famos dialogisierenden Holzbläsern. Es ist ein gemeinsames musikalisches Sinnen über die menschliche Existenz, die Verdi kongenial in Tönen als „Pulsschlag des Universums“ verewigt hat.

Antonio Pappano vermag es, das Salzburger Festspielhaus in einen sakralen Raum zu verwandeln, in welchem sich Verdis Gesänge wie jene aus Dantes „Inferno“ anmuten. Sie bäumen sich zu einer intensiven, farbspektralen Klanggeschichte auf und verkünden in ihrem tröstlichen Schluss Hoffnung.

Atemloses Innehalten, tosender Applaus für ein denkwürdiges Karfreitags-Zauber-Konzert, ein packendes, historisches Opernabend-Highlight. Bravo!

Bei Verwendung des Textes bitte Quelle angeben bzw. verlinken.

Salzburg Easter Festival: “Messa da Requiem” by Guiseppe Verdi
“Libera me”, “set me free”. The last sounds in Giuseppe Verdi’s “Messa da Requiem” fade away almost breathlessly. The collective plea of the choir, orchestra and solo soprano in C major comes at the light-flooded end of a long journey through the hellish maw of all the trials and tribulations of the human soul. Verdi’s soprano voice seems to resemble Dante Alighieri’s muse Beatrice in its joyful, loving but also admonishing whisper. She was the real-life figure who overwhelmingly inflamed the spirit and heart of the Italian national poet and who took shape as a fictional, female Minne in his greatest works “La Vita Nuova” and the “Divine Comedy”.

Let’s be bold, let’s fantasise: In Dante’s “Divina Commedia” (“Divine Comedy”), Dante wanders through hell and purgatory with his ancient Roman poet friend Virgil. At the gateway to paradise, they both catch sight of Beatrice. With his muse Beatrice, Dante, to whom Italy owes its most famous literary monument, created the iconic figure of light whose poetic smile has adorned countless paintings since the Renaissance. Since her literary birth, she has inspired poets, painters and philosophers. Ever since Beatrice spoke, shimmered and shone through Dante’s poetry, she has been the epitome of the idealised lover.

Verdi’s last words of the Requiem, the “Libera me”, which can be perceived as hopeful in their intensity, could also be understood as a “liberate me” cry for help that echoes back to past times and centuries. At the same time, they imagine an attempt at emancipation into a better future, into a time freed from fear. In Verdi’s last opera “Falstaff”, his lyrical comedy, the great fugue “Tutto nel mondo è burla” (“Everything is fun on earth”) is intoned by all the protagonists, singers and musicians. The fugue as a collective, enthusiastic jubilation is Verdi’s musical reminiscence of the Baroque masters. Here, after the descent into hell, the purgatory, the composer puts a paradise at the end! The same is in the final sounds of “Libera Me” in his “Requiem“. It could be also promise the end of pain and a glimpse into a joyful existence at the same time.

“…only a genius can write something like this.” Johannes Brahms

In his final creative phase, between the operas “Otello” and “Falstaff”, Giuseppe Verdi composed his expressive tone painting “Messa da Requiem” in 1874. Italy’s literary figurehead, the poet Alessandro Manzoni, whose novel “Promessi Sposi”, “The Bride and Groom” symbolises the awakening Italian national consciousness during the Risorgimento, died in 1873.

As early as 1868, Verdi lamented the death of Gioacchino Rossini: “A great name has disappeared from the world! No one in our time enjoyed such a reputation and such popularity”. After his death, Verdi joined forces with twelve composers to compose a requiem for the Italian musical genius. Verdi, known as the Swan of Busseto, set the concluding responsory “Libera me” to music and thus created the original version of the “Manzoni Requiem”, as Verdi’s “Messa da Requiem” was known for a long time.

With the death of the second Italian national poet after Dante, there is no question that Verdi’s intention was to celebrate the “glory of Italy” in his Requiem. “I would have knelt before him if people could be worshipped”, Verdi confessed after a meeting with Alessandro Manzoni in the summer of 1868. Consequently, Giuseppina Strepponi, Verdi’s partner, wrote in a letter about Verdi’s religious views after the disputes about them continued: “Religious devotion also changes in its expression; it has its countries, its times. What may seem too passionate, too sensual in Verdi’s Requiem is in fact the emotion of his people, and the Italian has every right to ask whether he is not allowed to speak Italian to the good Lord?”

Shortly before completing his Requiem, his “opera in liturgical garb“, Verdi also vented his feelings in writing about the eternal debate as to whether he was doing justice to religion or music: “I am working on my Mass, and even with the greatest pleasure. It seems to me that I have become a serious person and no longer the buffoon of the audience who bangs his drum and shouts ‘Come in, come in’.”

Futility and transience are sisters …

Traditionally, Good Friday is a special concert day at the Salzburg Easter Festival. Since its foundation in 1967 by Herbert von Karajan, a requiem or an oratorio has been performed on this day. This year, Verdi’s musical confession of faith sparkled in the sold-out Salzburg Festspielhaus. Another triumph for conductor Antonio Pappano, choir and orchestra of the Roman Accademia Nazionale di Santa Cecilia after the success of “La Gioconda”. They were joined by the Salzburg Bach Choir. Andrea Secci (Rome) and Michael Schneider (Salzburg) were responsible for the rehearsals. This evening was dedicated to the recently deceased conductor Seiji Ozawa.

The mysterious whispering of the chorus, as if it were slowly chewing the breathed syllables like a host, marks the beginning of this powerful sound painting.

With the booming, thundering “Dies Irae“, the “Day of Wrath”, Pappano ignites the eruption of a fire-breathing, musically lush, seething volcano.

The faltering breath of the voices repeatedly meets the resounding dream of the “Vita Nuova”. But this is how Pappano staged the lyrical, exposed arcs of the score and musically depicts in an equally fascinating way that there is hardly any escape from the voracious maw of impending fate. The fact that everyone has their own destiny and that futility and transience are familiar sisters is palpable in the sound.

Verdi’s compositional “Ideé fixe” stands in stark contrast to the “Libera me” as if chiselled. He makes it hiss and storm. An Otello thunderstorm rises with pattering tremolos, thunderclaps from the timpani herald the Last Judgement. Pappano’s orchestra performs a breathtaking dance of death. When the soprano, bassoon and clarinet join forces to play soulful tones or the solo violin in the “Offertorium” indulges in crystalline palpitations, we are caught up in the intensity of the musico-dramatic events presented by the musicians of the Orchestra dell’ Accademia Nazionale di Santa Cecilia. Pappano, a profound connoisseur of Verdi, is joined by an internationally acclaimed quartet of singers: the soprano Masabane Cecilia Rangwanasha, who received the Herbert von Karajan Prize days earlier with Lise Davidsen and Eve-Maud Hubeaux, is a gifted soloist who was more than convincing in her highly dramatic, sensitive interpretation. It is rare to hear such an expressively strong and gracious “Libera me” on the concert stage. Mezzo-soprano Judit Kutasi displays high tonal qualities and refined diction. Luciano Ganci’s tenor vibrates with care and exudes splendour. Bassist Michele Pertusi possesses a balmy calm and merges with the famously dialoguing woodwinds in the quiet passages of the “Dies irae“. It is a shared musical reflection on human existence, which Verdi congenially immortalised in sound as the “pulse of the universe”.

Antonio Pappano is able to transform the Salzburg Festspielhaus into a sacred space in which Verdi’s songs seem like those from Dante’s “Inferno”. They build up into an intense, colourful sound story and proclaim hope in their comforting conclusion.

Breathless pause, thunderous applause for a memorable Good Friday magic concert, a gripping, historical opera evening highlight. Bravo!

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