Am Gärtnerplatztheater in München stellen Erna Ómarsdóttir und Halla Ólafsdóttir ihre Version von Shakespeares Tragödie mit der Musik von Sergej Prokofjiew vor. Von Stephan Reimertz.
Diese Verbindung von Ballett, Tanztheater, Ausdruckstanz und Performance, die immer neuen Menschenknäuel, Drehungen, Verdrehungen, die Einbeziehung der menschlichen Stimme, der permanente Stilwechsel, all das wäre in Reykjavík sicher eine Sensation. Der durchschnittliche deutsche Ballettbesucher, der durch die Phasen John Cranko, John Neumeier, Pina Bausch, William Forsythe, Hans van Manen, Johann Kresnik, Martin Schläpfer hindurchgegangen ist, verortet die neue Tanztheaterproduktion am Gärtnerplatz freilich irgendwo zwischen Cranko und Neumeier, ca. 1970.
Aber warum sollte man sich nicht ein engagiert getanztes Retro-Ballett ansehen?
Das Ensemble gibt alles und stürzt sich voll hinein. Es fließ viel Theaterblut. Das Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz spielt unter der Leitung von Daniel Huppert eine reduzierte Orchesterfassung von Sergej Prokofjews Ballettmusik zu Romeo & Julia, welche die formalen Probleme dieser Art von klassizistischer Musik-Avantgarde deutlich herausschält. Der Komponist, in die Sowjetunion zurückgekehrter Emigrant, versuchte mit dieser Komposition, seine Volkstümlichkeit und sozialistische Legitimität ebenso darzutun, wie er sich gegen die serielle Moderne der Schönbergschule abgrenzte. Das Ergebnis ist eine eher sowjetische als russische Musik, die paradoxerweise jenem Warencharakter verfällt, von dem sie sich abwenden will. Nicht zufällig werden Stücke aus dieser Ballettmusik immer wieder in der kapitalistischen Produktionspropaganda verwendet. Insbesondere der Schwerttanz diente schon als Propaganda für Schokoriegel, Tampons und Backpulver.
Auch die Choreographie verfällt jenem Warenfetischismus, den sie zu ironisieren vorgibt
Schnell gehen ihr die Ideen aus, und die Tanzperformance fällt in die Wiederholungsschleife. Ein zerfließendes Herz als rosa Neonleuchte soll die Tussigkeit in der Auffassung der alten Liebesgeschichte ironisieren und gar nicht erst aufkommen lassen, zieht sie aber geradezu herbei. Immer wieder schwebt das Herzchen herab, weil den beiden isländischen Tänzerinnen und Choreographinnen Ómarsdóttir und Ólafsdóttir nichts mehr einfällt. Auch die Zeit der Videoeinspielungen ist inzwischen vorbei. Das Theater sollte wieder sich selbst vertrauen. Meiner Oma hätte das ganze möglicherweise ganz gut gefallen, aber, es tut mir leid, ich war schon im Alter von fünfzehn Jahren ein Fan von William Forsythe und finde dieses isländische Ballett etwas altbacken. Zudem huldigt das Ensemble des Staatstheaters am Gärtnerplatz hier wieder exzessiv der Nekrophilie wie heuer schon in den Tanzproduktionen Jean & Antonín und La Strada: Wenig Liebe, dafür viel Leid, Tod und Trauerarbeit.
Romeo & Julia
von Erna Ómarsdóttir und Halla Ólafsdóttir
Nach der gleichnamigen Tragödie von William Shakespeare
Musik von Sergej Prokofjew
Alle Termine bis Februar 2019 hier
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