In der Fürsterzbischöflichen Felsenreitschule verkörpert Asmik Grigorian eine ungewohnte Salomé. Romeo Castellucci bietet eine ikonographisch durchgearbeitete Inszenierung. Franz Welser-Möst zeigt wiederum, wie er einer der großen Kapellmeister unserer Zeit wurde. Eine Frage bleibt aber auch diesmal offen. Von Stephan Reimertz.
Sie waren noch nie im Opernhaus? Ausgezeichnet! Salomé von Richard Strauss eignet sich hervorragend als erste Oper. Sie ist kurz, von den Traditionen wie Opera seria und Opera buffa ebensowenig angekränkelt wie mit alten Formen wie Ouvertüre, Arien, Duetten, Chören usw. belastet, und sie bietet eine simple Handlung: Eine von ihrem Stiefvater missbrauchte oder zumindest belästigte junge Frau fordert für ihren Tanz vor seinen Augen unter dem Beifall der Mutter den Kopf eines seiner Gefangenen. Nach einigem Widerstreben, denn es handelt sich bei dem Delinquenten um Johannes den Täufer, gibt er Befehl, ihn zu enthaupten. Als er sieht, wie seine Stieftochter in höchste Ekstase gerät, als sie den Mund des abgeschlagenen Kopfes küsst, läßt er, von bösen Vorahnungen erfüllt, auch die Tochter töten.
Intelligente Inszenierung
Sie können das Werk auch Kindern ab zwölf Jahren als erste Oper anbieten. Als Vorbereitung empfiehlt sich, den Text von Oscar Wilde, der in einer am Hohelied orientierten biblischen Sprache gehalten ist, im Familienkreis zu lesen oder aufzuführen. Oscar Wilde hat den Einakter übrigens auf Französisch geschrieben, und in dieser Sprache wollte Strauss ihn zunächst auch vertonen. Der Bayer bekam aber solche Schwierigkeiten mit der französischen Aussprache, dass er sich am Ende doch an die deutsche Übersetzung hielt. Romeo Castellucci nutzte in Salzburg den breiten Raum der Bühne in der Fürsterzbischöflichen Felsenreitschule für eine Inszenierung, die an ästhetischer Konsequenz und geistesgeschichtlichen Anspielungen ihresgleichen sucht. Zunächst verblüffte, dass die bereits im siebzehnten Jahrhundert in den Fels des Mönchsbergs geschlagenen Logen, die man noch am Vortag für die Aufführung von Henzes Bassariden genutzt hatte, optisch verschlossen waren.
Die Sängerin wird von Felsblöcken zermalmt
Stein sollte sich in der Tat als durchgängige Metapher dieser Inszenierung herausstellen. Nachdem der Regisseur auf den geschlitzten schwarzen Vorhang schreibt: Te saxa luquuntur und uns damit an die Aufschrift des Salzburger Neutors ebenso erinnert wie an die Tatsache, dass von uns die Steine, ja die ganze Inszenierung sprechen, erspart er der Hauptdarstellerin Asmik Grigorian den Tanz der sieben Schleier. Dafür krümmt sie sich auf einem Podest zusammen und wird von einem von oben herabgelassenen Fels zermalmt. Bühnentechnisch ist das sehr virtuos umgesetzt. Da der Bühnenraum in einen Felsen eingehauen ist, scheint die Stein-Metaphorik auch keineswegs aus der Luft gegriffen.
Salomé wird wiedergeboren werden
Der römische Stadthalter Herodes, von John Daszak stimmgewaltig und überzeugend in seinen bösen Vorahnungen verkörpert, ist mit Hut und Mantel ebenso als Gangster der zwanziger Jahre gewandet wie die Höflinge und unsere jüdischen Mitbürger. Eine Art Mundmaskierung wie bei Einbrechern ist in Rot allen Männern aufgemalt. Unsere jüdischen Mitbürger streiten, wie sich herausstellt, über Matth 17,10-13. (»Und seine Jünger fragten ihn und sprachen: ‹Wieso sagen denn die Schriftgelehrten, Elias müsse zuvor kommen?› Jesus antwortete und sprach zu ihnen: ‹Ja, Elias soll zuvor kommen und alles zurecht bringen; doch ich sage euch, dass Elias schon gekommen ist …› Da verstanden die Jünger, dass er von Johannes dem Täufer zu ihnen gesprochen hatte.«) Mit anderen Worten: Johannes ist die Wiedergeburt des Propheten Elias. Es ist interessant, wie Oscar Wilde hier gerade auf diese umstrittene Stelle des Evangeliums anspielt. Immerhin bleibt so zu vermuten, dass Salomés Tod am Ende nicht für ewig gewesen sein wird.
Eine Sängerin wie es sie noch nie gab
Asmik Grigorian ist eine Salomé, wie man sie noch nie gesehen und gehört hat. Physisch zierlich, ja knabenhaft und zart, mit glockenreiner Stimme, die doch stark ist und sich mühelos gegenüber dem gewaltigen, von Strauss ausgeweiteten Orchester behauptet. »Es hat mich umgehauen«, schreibt Alban Nikolai Herbst in seinem Arbeitsjournal über die Inszenierung, »nicht das Konzept, nicht der See aus Milch, der Spiegel des Mondes, in dem sie kniet, diese Frau, den sie durchwatet – alleine unter ihren Füßen hell, der schwarze Mond des Tetrarchenhofs -, sondern die Intensität dieser Sängerin.« Grigorians Art von Erotik ist ganz neu und modern und hat mit den schwülen Östrogenbomben, welche die Rolle sonst verkörperten, nichts gemein. Die Sängerin versuchte die bei dieser Oper stets im Raum stehende Frage zu lösen, warum Salomé so versessen ist, den abgeschlagenen Kopf des Johannes zu küssen und warum sie darüber in höchste sexuelle Ekstase gerät. Sie bot die Version der modernen Narzisstin an, die sich für stiefväterliche Belästigungen rächt. Letztendlich kann man diese Form von Perversität aber wohl nur mit psychiatrischer Hilfe erklären. Oscar Wilde und Richard Strauss ließen die Frage offen.
Die von sich selbst angeekelte Gesellschaft
Ihr zur Seite steht Anna Maria Chiuri als intrigante Mutter Herodias mit weichem und abgedunkeltem Mezzosopran. Gábor Bretz als Jochanaan verleiht der vom Komponisten nicht sehr geliebten Partie mit seinem grandiosen Bassbariton und sparsamer Agogik überzeugendes Format. Kapellmeister Franz Welser-Möst beherrscht den Riesenapparat des Strausschen Orchesters mit großer Souveränität und gewinnt den Wiener Philharmonikern die ganze heidnische Pracht dieser Musik ab, zugleich aber ist er ein Virtuose der genauen Analyse jeder subtilen Verästelung. Die Gesamtwirkung in der Felsenreitschule war unerhört. Von diesem Werk von Richard Strauss wird der Zuschauer überrollt und ist geneigt, Romain Rolland beizupflichten, der Straussens Musik als Ausdruck der von sich selbst angeekelten deutschen Gesellschaft interpretierte, wobei man deutsch wohl zu europäisch erweitern darf.
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