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Salzburger Festspiele: Die Dame sticht

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Pique Dame von Tschaikowsky in der Inszenierung von Hans Neuenfels besticht durch präzise ausgearbeitete Personenregie und überzeugende szenische Einfälle. Mariss Jansons dirigiert die hochkultiviert musizierenden Wiener Philharmoniker. Von Stephan Reimertz.

Ein Mann verliebt sich in die mit einem reichen Nebenbuhler verlobte Frau. Da er kein Geld hat, glaubt er, sie nur für sich gewinnen zu können, wenn er schnell zu einem Vermögen kommt. Dazu ist er bereit, seine Seele zu verkaufen, selbst eine Art Teufelspakt einzugehen. Die Geliebte würde ihm allerdings auch ohne Geld folgen. Das bemerkt der Mann in seinem Minderwertigkeitskomplex allerdings gar nicht. Seine innere Leere reißt alle in die Katastrophe. Mit dieser sehr modernen Geschichte hat Alexander Puschkin eine frühe Kritik am Kapitalismus formuliert. Piotr Iljitsch Tschaikowskys Bruder Modest schuf ein kongeniales Libretto, von dem Hans Neuenfels, Regisseur der neuen Inszenierung von Pique Dame in Salzburg, sagt: »Es ermöglicht der Musik, durch ihre eigene tiefere Sprache das zu klären, was mit der Sprache nicht mehr erfasst werden kann.«

 

Szenisch durchdacht und überraschend umgesetzt

Christian Schmidt stellte für die Bühne im Großen Festspielhaus ein szenisch und ästhetisch überzeugendes Bühnenbild. Er deutet einen schalldichten Raum an, aus dem sich mit wenig Aufwand immer wieder neue Räume gewinnen lassen. So öffnet ein Bilderrahmen die Bühne nach hinten und deutet unaufdringlich die Bedingtheit des Lebenstheaters an. Zarin Katharina wird als furchterregendes Skelett auf einem Wagen aufgefahren, aber wie stets bei Neuenfels-Inszenierungen geht es mitnichten darum, Aufmerksamkeit zu erregen, sondern es zählt allein der Versuch, für die szenischen, musikalischen und geistesgeschichtlichen Ebenen eine leicht verständliche Spreche zu finden.

 

Ein Verlobter, der keine Eifersucht kennt

Das ist hier wieder voll und ganz gelungen. Die vielfältigen, einfallsreichen und ästhetisch befriedigenden Kostüme von Reinhard von der Thannen  tragen ebenso dazu bei wie die Choreographie von Yvonne Gebauer. Brandon Jovanovitsch singt und spielt einen stets am Rande der Verzweiflung operierenden Hermann, ein zeitloser Typus, selbst wenn er uns an den heute so verbreiteten, sich und seine Umwelt ruinierenden, Manager erinnert. Igor Golovatenko, Mitglied des Bolschoi-Theaters, gibt mit dem Fürsten Jelezki sein Salzburger Festspieldebut. Der Fürst ist eine der eindrücklichsten Rollen in Tschaikowskys Opernwerk. Wie König Marke in Wagners Tristan versteht und verzeiht er alles, er klammert nicht, wie wir heute sagen würden und ist sogar bereit, seine Verlobte gehen zu lassen zu dem Mann, den sie liebt. Auch nährt er keinen Widerwillen gegen den besessenen Hermann. Golovatenko verleiht dem Fürsten die starke und geschmeidige Stimme, die auch über Sensibilität und Einfühlung gebietet, so beeindruckt diese Partie in Salzburg ganz besonders.

 

Pique Dame 2018: Brandon Jovanovich (Hermann), Evgenia Muraveva (Lisa)
© Salzburger Festspiele / Ruth Walz

 

Hanna Schwarz als unheilbringende Gräfin

Evgenia Muraveva als Lisa singt einen schönen und starken Sopran, der diese am Rande des Nervenzusammenbruchs operierende Figur mit ihrem hohen Ethos vollkommen verkörpert. Die Sängerin aus Sankt Petersburg ist längst ein internationaler Star, die Salome zählt ebenso zu den Rollen, die sie in letzter Zeit sang wie die Lady Macbeth von Schostakowitsch oder Gutrune in der Götterdämmerung. Hanna Schwarz als Gräfin, unheilbringend und charakterstark, wird ebenfalls vom Regisseur zum äußersten getrieben. Für sie wartete Neuenfels mit einigen seiner besten szenischen Einfälle auf. Unpathetisch und umso eindrücklicher spielt sie den Tod der Gräfin mit kahlem Kopf in einem kahlen Krankenzimmer. Mariss Jansons und die Wiener Philharmoniker musizierten diese außergewöhnliche Komposition mit größter melodischer Verve und strukturellem Durchdringung. Eine bessere Gesamtwirkung von Tschaikowskys Meisterwerk kann man sich derzeit kaum vorstellen. Mit dem verheißungsvollen und unheilbringenden Kartenspiel fand der Dichter Alexander Puschkin bereits 1834 eine Metapher für das heraufdämmernde Zeitalter des Kapitalismus, ebenso wie Stendhal ein paar Jahre zuvor in seinem Roman Rot und Schwarz. Die Sponsoren der Salzburger Festspiele, so die Luftreinigungsfirma Audi, der Nestlé-Konzern, der ja dafür bekannt ist, uns gesunde Lebensmittel zu verkaufen und die Produzenten fair zu bezahlen, sowie die Firma Rolex, die für ihre dezenten und geschmackvollen Armbanduhren angesehen ist, trugen auf ihre Art zum Gelingen des Abends bei.

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