Rezension von Barbara Hoppe.
Joseph Lloyd Carr, dieser Lehrer und später auch Schulleiter, kennt sein Sujet. 1912 in North Yorkshire geboren und 1994 in Kettering Northamptonshire gestorben, weiß genau, wie es sich anfühlt, in einem kleinen Ort auf dem englischen Land zu leben und zu arbeiten. Und er weiß, wie es sich anfühlt, im Krieg gewesen zu sein.
Das dritte nun im DuMont Buchverlag erschienene Buch des Engländers „Ein Tag im Sommer“ erzählt besonders eindringlich von der Enge eines solchen Städtchens. North Minden heißt es, und es erhielt seinen Namen in Gedenken an eine entscheidende Schlacht während des Siebenjährigen Krieges. Hierher verschlägt es am Tag des Kirchweihfestes den braven Bankangestellten Peplow. In seiner Manteltasche trägt er eine Pistole, denn er will hier den Mann richten, der Peplows kleinen Sohn überfahren hatte und ungeschoren davon gekommen ist.
Frühmorgens erreicht Peplows Zug den Ort. Der Fremde fällt auf und ist dennoch nicht unwillkommen. Man spricht mit ihm, beäugt ihn neugierig. Dass ausgerechnet zwei ehemalige Kriegskameraden hier leben, überrascht dann doch: der beinlose Ruskin lebt verbittert in einem Zimmer und beobachtet das Treiben auf der Straße, während Bellenger schwerkrank im Sterben liegt.
Der Tag ist heiß, die Menschen sind aufgeregt. Etwas liegt in der Luft. Die Kirmes wirft ihre Schatten voraus, die Schausteller bauen an ihren Fahrgestellen und Verkaufsbuden. Mit festem Willen, aber zunächst ohne Plan, lässt sich Peplow durch den Ort treiben. Dicht geballt treffen hier Hoffnungen, Träume, Enttäuschung und Verzweiflung aufeinander. Die Frauen verblühen in ihrem Wunsch nach Liebe und treffen doch nur auf Versager, Kriegsversehrte oder brutale Schläger. Zutiefst konservativ die einen, versuchen sich die anderen zu emanzipieren und schießen mitunter über das Ziel hinaus. Atemberaubend nuanciert beschreibt J.L. Carr das strenge Regime der Schulleiterin, unter deren eigener tragischer Lebens- und Liebesgeschichte auch die nächste Generation noch leiden muss. Liebe und Sexualität sollen Vehikel für die Reise in ein vermeintlich besseres Leben sein und sind doch nur eine Sackgasse ohne Weg zurück.
In diesem 1963 erschienenen Debütroman kündigt sich an, was J.L. Carr in „Ein Monat auf dem Land“, zur Meisterschaft brachte und wofür er 1980 den Guardian First Book Award erhielt: Eine tiefe Melancholie, meisterhaft eingebettet in eine zarte Geschichte. Ein Kaleidoskop von Schicksalen – poetisch, traurig, hoffnungsvoll in einer Zeit, die zutiefst geprägt ist vom Krieg und dem müden Wunsch nach Veränderung. Eine Zeit, die sich langsam in eine verheißungsvollere Zukunft aufmacht.
J.L. Carr
Ein Tag im Sommer
DuMont Buchverlag, Köln 2018
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Coverabbildung © DuMont Buchverlag
Rezension zum Nachhören als Podcast: hier
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