Einsteins Relativitätstheorie und Plancks Quantentheorie sind interdependent, zugleich theoretische Konkurrenzkonzepte, die ebenso schwer vereinbar scheinen wie die konkurrierenden Theorien über den Anfangsimpuls aus der Singularität heraus. Nun hat sich die Bayerische Staatsoper an der Diskussion beteiligt. Im Cuvilliés’schen Theater zu München wurde die vorläufige Lösung aller Probleme vorgestellt: Singularity – A Space Opera for Young Voices. Von Stephan Reimertz.
Eine Flirttheorie als Universalkonzept, das dürfte jedem einleuchten. Eliza Boom als S, Juliana Zara als eS, Daria Proszek als M und Yajie Zhang als eM erfahren am eigenen Leibe, wie schwer es ist, als Humanum sich immer mehr der Maschine anzupassen, zu wie vielen Anpassungsstörungen und Verständniskurzschlüssen es kommen kann. Nicht anders geht es George Virban als T, Andres Agudelo als eT, Andrew Hamilton als B, und Theodore Platt als eB. Auch wenn die Zeit, in welcher Singularity, Miroslav Srnkas Space Opera for Young Voices spielt, ziemlich exakt mit dreizehn Millionen Jahre nach dem Urknall beziffert wird, also ziemlich genau in unserer Epoche, selbst wenn einmal zwanzig, dann noch einmal vierzig Jahre aufgeschlagen werden. Die Produktion des Opernstudios der Bayerischen Staatsoper besticht und amüsiert mit einem 82 Minuten langen Theaterabend im Cuvilliérs’schen Prunkraum.
Kunstwerk der Zukunft aus den Achtzigerjahren
Dem Rokoko-Ambiente setzten Bühnenbildner Raimund Bauer und Kostümbildnerin Andrea Schmidt-Futterer eine Zeitlosigkeit entgegen, welche verdächtig an die 1960er Jahre erinnert, die Zeit von Raumschiff Orion, Stanisław Lem und Marshall MacLuhan. Spielleiter Nicolas Brieger findet zusammen mit dem Ensemble den spezifischen Stil für solchen spielerisch-philosophischen Retro-Futurismus. Nichts wäre leichter, keine Versuchung größer, als die Szenerie zu verulken, allein die große Disziplin des Konzepts selbst, dann aber auch der Sänger-Darsteller, die niemals chargieren, aber immer mit leichter Ironie agieren, halten die Inszenierung in der Mitte zwischen Komödie und philosophischer Versuchsanordnung.
Musik als zukunftsfreudige Nervenkunst
Geflirtet wird in einem Spa, welches sich in einem unbestimmbaren Raum, einem U-Topos befindet und uns zeigt, wir sind mit unseren Problemen, mit Hilfe der Technologie zu flirten, nicht allein, auch wenn die Vereinigung von Mensch und Maschine in diesem Stück schon zwei, drei Schritte weiter ist als wir heute. Der böhmische Musikant Miroslav Srnka legt eine abwechslungsreiche, hochnervöse und klangvielfältige Partitur vor, die der steirische Kapellmeister Patrick Hahn mit einem guten Dutzend Musikanten vom Klangforum Wien in eine spacig-feinnervige Musik umsetzt, welche auch vor Schwingklängen von Plexiglasscheiben nicht Halt macht, die Matouš Hejl um elektronische Klänge ergänzt, um dem begeisterten Publikum ein spaciges Gefühl zu vermitteln.
Das Raumschiff im Rokoko-Theater
Librettist Tom Holloway las offenbar in fernen Australien die populärwissenschaftlichen Astrophysikbücher von Stephen Hawking und bescherte uns, sehr futuristisch, ein Textbuch in Simple-English, welches – wiederum futuristisch, aber schon gewohnt – auf Obertiteln serviert wird. Diese freilich setzten auch Herzchen und Smileys ein und tragen so zu dieser etwas anderen Form von Zukunftsmusik bei. Das intelligente Konzept, die kongeniale Partitur und ihre souveräne, stilsichere szenische Umsetzung in München werden auch kritische Opernfreunde bestechen.
Singularity, noch bis zum 9. Juli 2021 als Video-on-Demand hier
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