Rezension von Barbara Hoppe.
Vor zwei Jahren veröffentlichte der Europa Verlag den Roman eines koreanischen Autors, der aufmerken ließ. „Die Plotter“ handelt von einem Profikiller in Seoul. Es geht um persönliche Ehre, um Berufsethos und eine Profikillerszene, die im Umbruch ist. Dem Ganzen gab man den Untertitel „Thriller“, doch das ist genau genommen weit daneben gegriffen. Bei Un-Su Kim, dem 1972 in der Hafenstadt Busan geborenen Autor, geht es im Grunde um Lebens- und Schaffenskrisen. Dass die von ihnen Betroffenen zufälligerweise eiskalte Verbrecher, Mörder und Clanchefs sind, macht den besonderen Reiz aus, sollte aber nicht zwangsläufig zu dem Begriff „Thriller“ führen. Und schon gar nicht zu dem fragwürdigen Titel „koreanischer Henning Mankell“. Diese hilflosen Versuche zeugen nicht von der Grandiosität des Schriftstellers, sondern von der Einfalls- bis Hilflosigkeit des Literaturbetriebs, den inzwischen preisgekrönten Bestsellerautor („Die Plotter“ wurde in über 20 Ländern veröffentlicht) irgendwie einzuordnen.
Un-Su Kim hat einen ganz eigenen Stil gefunden. Seine Romane sind Dramen, denen man vielleicht noch das Wörtchen „Gangster“ voranstellen kann. Schon in „Die Plotter“ schildert er in kühlem Ton und unsentimental die Melancholie eines Profikillers, der unvermittelt vom vorgeschriebenen Plan abweicht und damit die Plotter- und Killerszene in Seoul in Unruhe versetzt. Mord ist hier einfach nur ein Geschäft wie jedes andere, in dem mal der eine, mal der andere Marktführer ist und der dritte auf Nimmerwiedersehen verschwindet.
In „Heißes Blut“ geht Un-Su Kim noch einen Schritt weiter. Auf knapp 600 Seiten taucht er ein in die Bandenkriminalität der südkoreanischen Hafenstadt Busan im Jahr 1993. Sehr genau sind die Viertel und damit auch der Wirkungskreis der einzelnen Clans abgesteckt. Die einen schmuggeln teure medizinische Geräte ins Land, die anderen teilen sich den Whisky- und Wodkamarkt auf, wieder andere kümmern sich um Drogen, Glücksspiel, Nacht- und Karaokeclubs, um Prostitution oder um die Verkaufsstände am Strand mit ihren Brathähnchen und Sashimi-Spießen. Kopf der Unterwelt und zugleicht ältester und angesehenster Gangster ist Vater Son. Er erbte das kriminelle Geschäft von seinem Großvater. Seine Zentrale ist das Hotel Mallijang, ein Touristenhotel am Strand von Guam, in dessen Hinterzimmer die Strippen für gepanschtes Chilipulver gezogen werden oder für Ruhe zwischen den aufbrausenden Clanchefs gesorgt wird. Einzig sein Alter und der Respekt gegenüber seiner Lebensleitung schützen den Alten vor der offenen Rebellion der anderen Clans. Ein Umstand, den man schon im Vorgängerroman fand, wo der alte Racoon ins Visier der nachfolgenden Generation rückt. Rechte Hand des alten Unterweltchefs im aktuellen Roman ist Huisu. Als Geschäftsführer des Hotels Mallijang räumt er seit gut 20 Jahren geräuschlos im Milieu auf. Verhandeln hat Priorität, aber auch Morden gehört zur Tagesordnung.
Akribisch entwirft Un-Su Kim das Porträt von Huisu und seiner Welt. Seitenlang können einzelne Gespräche dauern, in denen die beste Strategie erörtert, ein Geschäft vereinbart oder Vorverhandlungen geführt werden. Dabei gelingt ihm nicht nur ein kenntnisreicher Blick hinter die Kulissen einer Schattenwirtschaft, sondern auch ein Bild Südkoreas Anfang der neunziger Jahre. Die seelische Pein eines Gangstern in der Sinnkrise könnte man als Ironie werten, wäre sie nicht symptomatisch für die abgebrühten und doch so einsamen Seelen der Kriminellen. Huisu hat es satt, sich für wenig Geld täglich im Klein-Klein des Clangeschäfts aufzureiben. Er träumt von einem bürgerlichen Leben mit der Prostituierten Insuk, die er von Kindesbeinen an liebt und die nun selbst einen Nachtclub betreibt. Doch ständige Begleiter aller Beteiligten sind Schulden, Alkohol, die Gier nach Macht und Geld und das bisweilen aufbrausende Gemüt, das nach Krieg schreit, wenn Schulden, Alkohol, Macht und Geld ihre Rechte zu stark einfordern. Im Business von der illegalen auf die legale Seite zu wechseln, ist ein Ding der Unmöglichkeit wie auch Huisu erfahren muss. Sein Ausflug ins Glücksspiel-Geschäft endet dort, wo er angefangen hat.
Un-Su Kim nimmt sich viel Zeit für seine Figuren und ihre Geschichte. Wer sich auf sie einlässt, wird mit einer fesselnden Geschichte belohnt. „Heißes Blut“ ist dialogreiches Drama und Wirtschaftskrimi im Gangstermilieu mit sensiblen wie kaltblütigen Verbrechern auf der einen, und tumben Schlägern und Mördern auf der anderen Seite. Es brodelt gewaltig in der Unterwelt von Busan. Und diese explosive Spirale aus Verhandlungsgeschick und Brutalität dreht sich langsam, aber unaufhörlich auf eine Gewaltorgie zu, an deren Ende die Karten neu gemischt sein werden.
Un-Su Kim
Heißes Blut
Europa Verlag, München 2020
Bei amazon kaufen oder nur hineinlesen
Bei Thalia kaufen oder für den Tolino
Bei Verwendung des Textes bitte Quelle angeben bzw. verlinken.