Vignetten sind kleine Zeichnungen, die Zeitungen gern am Ende der Zeile einfügen, um den Zeilen- oder Seitenumbruch schlüssig zu machen und Lücken zu füllen. Meist unbeachtet vom Leser, fristeten sie im wahrsten Sinne des Wortes ein Dasein am Rande, bis sie in Zeiten der digitalen Produktion überflüssig wurden.
Einzig der New Yorker hielt an den kleinen Meisterwerken fest. Seit 1925 gibt es sie in der Zeitung. Einst tatsächlich als notwendiges gestalterisches Werkzeug in der Produktion, machte der New Yorker aus der Randerscheinung ein Kleinod, das es zu beachten gilt.
Einer der großartigsten Zeichner der Gilde ist Richard McGuire. Der Mann, der auch als Trickfilmer, Autor und Illustrator von Kinderbüchern, Spielzeugmacher, Grafiker und Bassist arbeitet, schafft reihenweise Strichzeichnungen – meist sparsam in der Ausführung, natürlich immer mit schwarzem Stift und voller Geschichten, nicht selten mit Reminiszenzen an die großen Maler der klassischen Moderne. Seit 10 Jahren findet man seine Zeichnungen im New Yorker. Anders als seine Kollegen machte er aus den einstigen Lückenfüllern Fortsetzungsbilder.
Und so liegt dieses kleine, kompakte Buch aus dem DuMont Verlag in strahlendem Weiß vor einem und öffnet die Tür in eine Welt, die sich vor allem in unserem Kopf abspielt. Denn das ist das Faszinierende an den Bildern Richard McGuires: Sie erzählen ohne Worte und wir Betrachter legen dankbar unsere Interpretation, unsere Geschichten, unsere Fantasie in die Zeichnungen. Besonders eindrücklich in „Berührt“ (ein Beziehungsdrama?) oder in „Schwatzhafte Gegenstände“, wenn Rasierer, Zahnpastatube, Seife oder Puderdose offenbar klatschen und tratschen und allein durch die Form eine charakterliche Eigenschaft erhalten. Striche finden sich, lösen sich auf, finden wieder zueinander, bilden neue Formen. Wie durch Zauberhand erhalten seelenlose Dinge eine Persönlichkeit. Manchmal liegen zwischen den Bildern nur erzählerische Minuten, manches Mal Stunden, Tage, Wochen oder Monate wie in „Drei Freunde“, wo Parkuhr, Briefkasten und Mülleimer alle Unbill der Jahreszeiten nebst gedankenloser Umwelt über sich ergehen lassen müssen. Erstaunlich, wie spannend die kleinen Episoden sind. Man mag sich kaum ausmalen, wie man die Fortsetzung in einer dicken Zeitung suchen muss. Gut, dass sie hier so gebündelt daher kommen und wir sie immer wieder von vorne durchblättern können.
Richard McGuire
Erzählende Bilder. Sequenzielle Zeichnungen aus dem New Yorker
DuMont Verlag, Köln 2016
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