Wenn ein Lehrer ein Buch über Jugendliche schreibt, kann das richtig gut werden. Rezension von Barbara Hoppe
Enrico Galiano ist Lehrer. Aber nicht nur das: Er wird verehrt wie ein Popstar. Der 42-jährige zählt zu den besten 100 Lehrern Italiens, auf Facebook hat er über 85.000 Follower und unter dem Hashtag #poettepiste (Gedichteumarmen) schuf er eine pro-Gedichte-Bewegung, die mit Flashmobs und Plakatierungen die Welt mit Lyrik beglückt.
Mit seinem Debütroman „Und doch fallen wir glücklich“, einem Zitat aus einem Rilke-Gedicht, stürmte er die italienische Literaturbestsellerliste. Enrico Galiano kennt seine Protagonisten aus eigener Erfahrung, fast möchte man sagen: Anschauung, und das spürt man bei diesem Roman von der ersten Seite an. Dabei ist die Geschichte so einfach wie schon oft erzählt.
Gioia Spada ist siebzehn Jahre alt. Sie liebt Wörter, die man nicht übersetzen kann, wie „komorebi“, das im Japanischen „der besondere Lichteffekt, wenn die Sonne durch die Blätter der Bäume fällt“ bedeutet. Und sie zieht mit der Kamera umher, um Menschen von hinten zu fotografieren. Denn nur dann, davon ist Gioia überzeugt, sind sie unverstellt und ehrlich. Gerade erst ist sie an eine neue Schule gewechselt. Aus schwierigen Familienverhältnissen kommend, hat sie in der Klasse schnell den Spitznamen „Trauerkloß“. Sie leidet unter den Schmähungen ihrer Mitschüler, kann sich aber nicht wehren. Jeden Morgen schreibt sie sich „Und doch fallen wir glücklich“ auf den Unterarm, um den Tag mithilfe von Rilke zu überstehen. Einzig dem Philosophielehrer vertraut sie. In den Pausen pflegen die beiden das Ritual „Welche Frage haben Sie heute, Signora Spada?“ und Gioia stellt dem Lehrer ihre Frage. Als sie eines Abends wieder einmal von zu Hause flieht, trifft sie in einer verlassenen Bar Lo. Der Achtzehnjährige scheint ähnlich einsam zu sein wie sie. Er spielt Darts und trägt immer ein Weckglas mit Steinen mit sich herum. Eine Freundschaft beginnt, aus der eine zarte, wenngleich kuriose Liebe erwächst. Immer in der Bar oder an der Kirchenmauer, immer nachts treffen sich die beiden. Lo scheint ein Geheimnis zu haben. Als er eines Tages spurlos verschwindet, macht sich Gioia auf die Suche nach dem einzigen Menschen, der sie versteht und den sie liebt.
Enrico Galiano versteht seine Protagonisten. Als Lehrer sieht er täglich die unterschiedlichsten Jugendlichen vor sich, ob draufgängerisch, frech oder introvertiert wie Gioia. Sein Roman greift mitten hinein in die Lebenswelt junger Menschen an der Schwelle zum Erwachsenwerden und zeigt ihre Vielfalt: Gioia, die nicht nur introvertiert ist, sondern auch ausgesprochen eigenwillig. Der junge Casali, der immer ein bisschen den Macho herauskehrt und Giulia Batta, die verwöhnte Klassenschönheit. Und Lo? Auch er, der sich ganz und gar zurückgezogen hat, findet schließlich einen Ausweg.
Mit „Und doch fallen wir glücklich“ gelingt Galiano ein eindrucksvoller, sensibler Coming-of-Age Roman, der auf sanfte Art die Lebenswelt Jugendlicher entfaltet und deutlich macht, dass in den jungen Menschen das Potenzial der Zukunft schlummert. Hier reifen Jugendliche zu Erwachsenen heran, durch Probleme, durch die Auseinandersetzung mit anderen, durch die Philosophie und nicht zuletzt durch die Liebe.
Enrico Galiano
Und doch fallen wir glücklich
Thiele Verlag, München 2019
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