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Die Schule der Trunkenheit

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Von Birgit Koß.

„Betrunken sein kann jeder. Aber trunken? Sind nur Kenner“, heißt es in der Abschlussvorlesung der „Schule der Trunkenheit“, die in der Berliner Victoria Bar beheimatet ist. Diese Bar, 2001 eröffnet in der Potsdamer Straße, gilt als Hort für Trinkkultur und –sitte und steht auf der Independent-Liste der 50 besten Bars der Welt. Die beiden Inhaberinnen Kerstin Ehmer und Beate Hindermann veranstalten dort im Winter regelmäßig ein von fünf Cocktails flankiertes Menü, bei dem „wissbegierige Trinker und Barflys in die Geheimnisse der Spirituosen eingeweiht“ werden. Da dieses Wissen bei den Teilnehmern am nächsten Tag oft gehörige Erinnerungslücken aufwies, kam die Idee auf, das Ganze schriftlich festzuhalten.

In sieben Semestern arbeiten wir uns vergnüglich durch die Herkunft, Artenvielfalt und Kulturgeschichte von Weinbrand, Wodka, Whisky, Rum, Gin, Tequila und Champagner – versetzt mit vielen Anekdoten.  Ganz nüchtern sollte man das Buch nicht genießen, aber es kommt auf die Dosis an, warnen die Autorinnen.

Sie haben sich Gedanken über die Bedeutung des Wodkas für die russische Seele gemacht und herausgefunden, dass im zaristischen Russland wegen der vielen weltlichen und kirchlichen Feiertage, die ohne Wodkagenuss unvorstellbar waren, lediglich 146 Arbeitstage im Jahr übrig blieben, an denen die meisten trotzdem einen guten Grund für einen guten Schluck fanden. Die Liebe der Russen zum Wodka hat jeglichen Systemwechsel unbeschadet überstanden.

An einem dunklen Oktoberabend 1965 rüstete sich Willy Brandt mit einer Dose Ölsardinen, um anschließend erstmals nach dem Mauerbau den russischen Botschafter Pjotr Abrassimow in der russischen Botschaft Unter den Linden zu besuchen. Es sollte ein launiger Abend werden, wo dann auf Bitten Willy Brandts nach dem Essen auch noch die Cognacschwenker zum Einsatz kamen und den Dialog zur vorsichtigen politischen Annäherung beflügelten.

Auch in den USA hatte der Wodka früh seinen Siegeszug angetreten, so sollen in Las Vegas 1955 im neuerbauten Hotel Sands aus der dritten Etage 300 (!) Bloody Marys zum Frühstück geordert worden sein. Dort logierten Humphrey Bogart, Lauren Bacall, Frank Sinatra, Judy Garland, Swifty Lazar, die Romanoffs und einige andere Gäste.

Die anderen Alkoholika werden in den einzelnen Semestern ebenso einer genauen historischen Untersuchung unterzogen. Mit den Iren und den Schotten kam der Whiskey in die Neue Welt und Logan Pearsall Smith stellte fest „Whiskey hat mehr Männer umgebracht als Kugeln. Aber fragst du sie, wären die meisten Männer lieber voller Whiskey als voller Kugeln“. Natürlich dürfen auch Al Capone und die Prohibitionsgeschichte nicht fehlen und der eifrige Schüler lernt den Unterschied zwischen Scotch, Bourbon, Rye, Irish und Canadian.

Das Buch ist liebevoll aufgemacht mit Illustrationen aus der Victoria Bar von Angela Dywer und selbstverständlich darf das ABC des angewandten Alkohols mit den Rezepten handverlesener Cocktails am Ende nicht fehlen. Auch hier gibt es zu jedem Rezept noch eine kleine launige Anmerkung, wie beim Rüdesheimer Kaffee „Vergessen Sie alles, was sie soeben gelesen haben. VERGESSEN. SIE.ES. JETZT.

… oder für den Raglum:  „Der jamaikanische Studio One Gitarrist Ernest Ranglen wurde hier mit Rum zum Raglum geklont. Der Signature Drik aus der Victoria Bar, der es in den Rest der Welt geschafft hat. Woher der Name eigentlich kommt, war bis dahin ein Geheimnis.“

„Die Schule der Trunkenheit“ gab es bereits 2013, doch beide Auflagen sind vollständig vergriffen und der damalige Verlag existiert nicht mehr. So ist es der Verdienst des  Verbrecher Verlags, dass dieses informative und kurzweilige Werk wieder greifbar ist. Doch hat er die Warnung, – Alkohol kann die Sinne verwirren- nicht ernst genug genommen und legt deshalb folgenden Zettel bei:

„Obacht! Dieses Buch ist betrunken. Darum torkeln die Seiten 16 – 20 ein wenig. Diese sind wie folgt zu lesen: Nach der Seite 16 lesen Sie zunächst die Seite 18, dann die Seite 17 und dann erst die Seite 20. Auf Seite 19 bleibt unschuldig stehen: ein Bild.“

Na dann Prost oder cheers, salud, na sdorowje und à votre santé!

Kerstin Ehmer/Beate Hindermann
Die Schule der Trunkenheit
Verbrecher Verlag, Berlin 2018
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Bei Thalia

Coverabbildung ©Verbrecher Verlag

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