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Salzburger Festspiele 2024: “Capriccio”

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Viele Köche verderben das Libretto, aber dieser Komponist kann alles komponieren. Und wenn dann noch Elsa Dreisig und Mika Kares singen und Christian Thielemann die Wiener Philharmoniker in einer konzertanten Aufführung dirigiert, kann nichts mehr schiefgehen. Von Stephan Reimertz.

Ein Komponist muss auch die Speisekarte komponieren können, forderte Richard Strauss. Noch deprimierender als eine deutsche Speisekarte im Zweiten Weltkrieg kann nur ein von einem Schriftsteller, einem Theaterwissenschaftler, zwei Dirigenten und dem Komponisten selbst gezimmertes Libretto aus derselben Zeit sein, in dem lange Erörterungen von Theaterfragen wie den Vorrang von Text oder Musik in der Oper und das Selbstverständnis der verschiedenen Ensemblemitglieder kreisen, alles auf Stelzen, ohne einen Funken poetischen Gehalts oder dramatischer Struktur. Und nun kommt Richard Strauss, nimmt diesen Text, mit dem jeder Anfänger aus dem Intendantenbüro hinausgeflogen wäre, zeigt, dass er wirklich alles komponieren kann und schafft eine Musikstrecke mit einem unterschwelligen klingenden Parlando voll Tausender wunderbarer Details und gelegentlichen Aufschwüngen zu kurzen Zwischenspielen, einem Duett und ein paar Ariosi von wunderbarer, geradezu raffaelischer Schönheit.

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Capriccio 2024: Josh Lovell (Ein italienischer Tenor), Jörg Schneider (Monsieur Taupe), Bo Skovhus (Der Graf, Bruder der Gräfin), Sebastian Kohlhepp (Flamand, ein Musiker), Elsa Dreisig (Die Gräfin), Mika Kares (La Roche, der Theaterdirektor), Konstantin Krimmel (Olivier, ein Dichter), Ève-Maud Hubeaux (Die Schauspielerin Clairon), Tuuli Takala (Eine italienische Sängerin), Torben Jürgens (Der Haushofmeister), Diener
© SF/Marco Borrelli

Ein musikgeschichtlicher Sonderfall

Was soll man davon halten? Capriccio ist jedenfalls ein Sonderfall; im Grunde unspielbar, zumutbar nur jener hochgezüchteten Elite von Opernkennern, wie man sie in Salzburg während der Festspiele immer noch antrifft, und auch das nur in einer so makellosen konzertanten Spitzenaufführung, wie sie uns die Festspiele gerade beschert haben. Thielemann und die Wiener bieten vom nostalgiegetränkten Streichsextett, das den Einakter anstelle einer Ouvertüre eröffnet, bis hin zur zauberhaft lyrischen Abschiedsarie von Elsa Dreisig ein subtiles, immer wieder zu emphatischen Aufschwüngen fähiges Gewebe. Auffällig an dieser Partitur ist, dass sich der Komponist mit einer übergreifenden Struktur, Leitmotiven und Anspielungen auf musikalische Werke und Stile weitgehend zurückhält. Nur in Rhythmen und Strukturen, wie beispielsweise im dreiteiligen Eingangssextett oder einem auf der Bühne auftretenden Klaviertrio wird vage auf die Spielzeit im späten achtzehnten Jahrhundert verwiesen. Tuuli Takala wiederum trägt eine »italienische« Opernarie voll stimmlicher Subtilität und in jenem Beziehungsreichtum vor, die zu diesem musikgeschichtlichen Lehrstück passt.

Theater, das sich selbst thematisiert

Generell kann man sagen, dass Elsa Dreisig in der Rolle der Gräfin eine faszinierende Figur erschafft. Die Gräfin ist eine komplexe Persönlichkeit, die sich zwischen ihrer Leidenschaft für die Kunst und den gesellschaftlichen Erwartungen bewegt. Dreisig gelingt es, diese Ambivalenz mit großer Sensibilität darzustellen und dem Publikum einen tiefen Einblick in die Psyche ihrer Figur zu geben.

Ihre Fähigkeit, sowohl dramatische als auch lyrische Rollen mit gleicher Überzeugungskraft zu verkörpern, macht sie zu einer der interessantesten Sängerinnen ihrer Generation. Aus dem durchweg hervorragenden Sängerensemble sei hier noch Mika Kares genannt, der die Rolle von La Roche, dem Theaterdirektor, mit sattem Bass und voll all jener Bezüge gestaltet, in denen der Komponist sich als Allegorie und Lehrer der anderen Figuren in diesem seltsamen musikdramatischen Werk empfiehlt. Mit einer Selbstapologie verabschiedet sich Richard Strauss in seiner letzten Oper von der Bühne: Gebt euch geschlagen, ihr Schwärmer, ihr Träumer! Achtet die Würde meiner Bühne! Meine Ziele sind lauter, unauslöschlich meine Verdienste! Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb’ ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte! »Sicitur ad astra!« Auf meinem Grabstein werdet Ihr die Inschrift lesen: »Hier ruht La Roche, der unvergessliche, der unsterbliche Theaterdirektor. Der Freund der heitren Muse, der Förderer der ernsten Kunst. Der Bühne ein Vater, den Künstlern ein Schutzgeist. Die Götter haben ihn geliebt, die Menschen haben ihn bewundert! « – Amen.

Capriccio. Ein Konversationsstück für Musik in einem Aufzug op. 85 
(1940—1941, uraufgeführt 1942)
Libretto von Clemens Krauss und Richard Strauss unter Mitwirkung von Hans Swarowsky
Konzertante Aufführung

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Salzburg Festival 2024: “Capriccio”

Richard Strauss’ “Capriccio” is an extraordinary work in the history of opera, more akin to an artful self-reflection on musical theater. Despite a weak libretto, cobbled together by several authors during World War II and mired in theoretical discussions about opera and theater, Strauss succeeds in creating a fascinating musical world. His composition, marked by subtle details and occasional surges despite the lack of leitmotifs and structure, reveals his exceptional ability to transform even the weakest texts into musical masterpieces.

In a concert performance at the Salzburg Festival, conducted by Christian Thielemann, the Vienna Philharmonic shone alongside Elsa Dreisig and Mika Kares in the lead roles. Dreisig portrayed the complex character of the Countess with great sensitivity, creating a captivating stage presence, while Kares impressed with his vocal depth as the theater director La Roche. This performance showcased “Capriccio” at its finest – as a work that, in its unique blend of theater and music, ultimately stands as a homage to art itself.

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