Liebe in Zeiten des Krieges oder “Friede, Freude und Vergnügen“. Von Barbara Röder.
300 Jahre lag sie im Verließ der vergessenen barocken Opern: Die Barockoper „Cesare in Egitto“ (Cäsar in Ägypten) des Italieners Geminiano Giacomelli (1692–1740). Das Libretto soll vom jungen Carlo Goldoni und Domenico Lilli stammen, den Hauslibrettisten der gut florierenden Teatro Giovanni Grisostomo in Venedig. 1735 im Mailänder Regio Ducal Teatro während der Karnevalssaison uraufgeführt, landete dieser “Cesare“ im November in Venedig. Dies aber in einer neuen überarbeiteten Fassung. Florenz und Neapel folgten und die Beliebtheit des sehr anmutig gefälligen „Cesare“, welcher so gar kein Gemüt erregte, da er dem damaligen Zeitgeist unterworfen schien, erlangte auch über die Grenzen Italiens hinaus an Bekanntheit und Beliebtheit. Mit dem zehn Jahre zuvor 1724 in London uraufgeführten „Giulio Cesare in Egitto“ von Georg Friedrich Händel hat Giacomellis Werk den Titel gemein. Denn Händels Meisteroper bietet eine andere Betrachtung des Sujets und eine weitaus differenziertere Personenkonstellation der berühmten, antiken Liebesgeschichte zwischen Cleopatra und Julius Caesar.
Giacomelli und seine musikalische Welt: Ein Leben für die Oper
Giacomelli, der am 28. März 1692 in der Nähe von Parma und Vicenza geborene Komponist und Gesangslehrer komponierte etwa 20 uns bekannte Opern. Den Barockstars wie Farinelli und Fausta Bordoni schrieb er Arien in die Kehle und auf den Leib. Nicht nur in der Musikwelt Italiens genoss Giacomelli großes Ansehen. Er reiste bis nach Graz, wo sein „Cesare“ 1737 aufgeführt wurde. Der damals berühmteste Musikhistoriker Charles Burney machte ihn durch seine Schriften zu einen der besten Opernkomponisten seiner Zeit.
„Giacomelli hatte eine lebhafte Fantasie, die ihn mit angenehmen Höhenflügen (Ideen) versorgte, die aufgrund ihrer Neuartigkeit so viel Vergnügen bereiteten, dass sie wesentlich dazu beitrugen, den Geschmack der nachfolgenden Zeiten zu verbreiten und zu etablieren.“ (Charles Burney, General History of Music von 1789)
Ottavio Dantone und die Accademia Bizantina: Eine meisterhafte Interpretation
25 Arien spulen sich vor unseren Augen und Ohren ab, virtuos verziert mit Trillern und gespickt mit halsbrecherisch scheinenden Koloraturen, wenn sich der Vorhang gehoben hat. Dies klingt adrett, berührt nicht so recht das barocke Kennerherz. Es mag daran liegen, dass uns die Welt Händels mit seinen charakterformenden Arien, seinen tiefen, dissonant behafteten Wendungen und musikdramatisch brillanten Menschenzeichnungen näher ist als Giacomellis venezianischer, leichtfüßigere Stil. Die künstlich hochgeschraubten Emotionen, die mehr Außen- als Innenwelt einer Figur transportieren, entsprechen dem Geschmack der Zeit um 1735 in Venedig. Die doch musikalisch interessante dreiteilige Ouvertüre, die der neue musikalische Hexenmeister am Cembalo und Pult, Ottavio Dantone, im Tiroler Landestheater bei der feierlichen Premiere von “Cesare in Egitto“ anlässlich der 48. Innsbrucker Festwochen der Alten Musik wie ein Schnellschuss entfacht, lässt auf ein galantes heimeliges Bühnengeschehen hoffen. Dass Dantone ein ganz wunderbarer, forschender Geist ist, ist unverkennbar. Dantone bietet dem leicht süffig tänzelnden Stil, der auf der Bühne zu gemäßigten vokalen Ausbrüchen neigt, ein herrliches, filigran atmendes musikdramatisches Ambiente aus dem Graben. Die Accademia Bizantina erfreut und begeistert rückhaltlos. Dantone ist ein Glücksfall für die Zukunft der altehrwürdigen Innsbrucker Festwochen!
Auf der Bühne begegnen wir den sechs Protagonisten des „Cesare in Egitto“ in einem von roten, überdimensionalen Nussknacker-Kriegern beherrschten Raum. Diese sollen die übermächtigen Römer symbolisieren. Auch die Bühnenfiguren tragen rote Kampfanzügen und spiegeln so das Machtbegehren von Cesare und seinen Mannen wider. Für das alte Ägypten, das Cesare okkupiert hat, ersann der Bühnenbauer Andrea Belli ein kreisendes Hieroglyphen-Mauerlabyrinth, in welchem sich versteckt und verirrt wird. Cesare tritt mit scharfem Geschütz auf: Maschinengewehre, Messer und Kampfstiefel. Die Damen tragen Eleganteres. Der Zuschauer ist bei der Figur Cleopatras an das weiße Cleopatra-Gewand mit Turban von Elizabeth Taylor aus dem Blockbuster „Cleopatra“ von 1963 erinnert. Die trauernde Cornelia ist natürlich in schwarzen Samt gehüllt.
Hochkarätige Besetzung: Sängerische Glanzleistungen in Giacomellis „Cesare“
Sängerisch bewegt sich Giacomellis „Cesare“ auf hohem künstlerischem Niveau. Arianna Vendittelli (Cesare) versprüht mit ihrem schlankem gut geführten Sopran Eleganz und Klasse. Die eigentliche Drahtzieherin der Oper ist die trauernde Cornelia, deren Gatte erstochen und ihr dessen Kopf in einer blauen Geschenkbox überreicht wurde. Margherita Maria Sala singt diese Cornelia traumschön mit den gehörigen wutentbrannten und sanft leidenden Koloraturen. Tolomeo, ein auf Freiersfüßen wandelnder Krieger, der von Tenor Valerio Contaldo beherzt gegeben wird, überzeugt nur bedingt. Emöke Baráth (Cleopatra) triumphiert mit ihrer virtuos anmutenden Brillanz. Filippo Mineccia (Achilla) und Federico Fiorio als Lepido überzeugen mit ihren akkurat geführten noblen Counterstimmen.
Ein musikalisch gelungener, leichtfüßig vorüberziehender Opernabend schmeichelte den anspruchsvollen Ohren der Barock-Enthusiasten, die von weit her angereist kamen. Das Premierenpublikum im ausverkauften Großen Haus des Innsbrucker Landestheaters feierte enthusiastisch den neuen künstlerischen Wundermann Ottavio Dantone und seine brillante Accademia Bizantina, die als Residenz-Orchester in Innsbruck für die nächsten fünf Jahre den Festwochen internationales Profil und Ansehen verleihen werden. Wohlwollender Applaus für alle Partien des Ensembles im Besonderen für Arianna Vendittelli (Cesare), Emöke Baráth (Cornelia). Die Entdeckung des Abends war die feine, Delikatesse ausstrahlende Stimme des Sopranisten Federico Fiorio. Ein Ausnahmesolist! Zurückhaltende Begeisterung verständlicherweise für das Regieteam um Regisseur Leo Muscato, dessen weitläufig uninspirierte Inszenierung und Personenführung enttäuschte.
Innsbrucker Festwochen der Alten Musik: Ein Festival mit Zukunft
„Friede, Freude und Vergnügen“ lautet das kurze, knappe gesangliche Schlussplädoyer aller Mitstreiter und Verliebten in Giacomellis „Caesar in Ägypten“. Dieses herrliche Motto setzte sich auf der rauschenden Premierenfeier in der Innsbrucker Hofburg fort. Die „Innsbrucker Festwochen für Alte Musik“ sind ein Festival mit viel Potential und enormer musikalischer Verve, welches sich mit den gelungenen Opernpremieren von Georg Friedrich Händels „Arianna in Creta“ und Christoph Graupners „Dido, Königin von Carthago“ zu einem der führenden, innovativsten Festivals in Europa zählen kann. Das hochgelobte Finalkonzert des 15. Cesti-Wettbewerbs am 30. August beendete wie auch in den Jahren zuvor die diesjährigen, fulminanten „Innsbrucker Festwochen für Alte Musik“ im August 2024.
Bei Verwendung des Textes bitte Quelle angeben bzw. verlinken.
Baroque masterpieces: Innsbruck Festival of Early Music 2024
For 300 years, it lay forgotten: the Baroque opera „Cesare in Egitto“ by Geminiano Giacomelli (1692–1740). Premiered in 1735, it gained popularity both in Italy and beyond. Giacomelli, who composed around 20 operas, wrote for famous Baroque stars like Farinelli. His work was marked by a vivid imagination that, according to music historian Charles Burney, shaped the taste of the time.
At the 2024 Innsbruck Festival of Early Music, „Cesare in Egitto“ was newly staged under the direction of Ottavio Dantone. His Accademia Bizantina created a delicate, dramatic musical atmosphere that resonated with the premiere audience. Singers, especially Arianna Vendittelli (Cesare) and Emöke Baráth (Cleopatra), shone with elegant and virtuosic performances. Margherita Maria Sala (Cornelia) impressed with emotional depth.
Director Leo Muscato’s production featured a modern setting: machine guns and combat uniforms symbolized Egypt’s power struggles. Despite mixed reactions to the staging, the musical interpretation was celebrated. Federico Fiorio, with his fine soprano voice, was hailed as the discovery of the evening.
The Innsbruck Festival once again proved itself as a major event for Early Music in Europe.