Die amerikanische Sopranistin Elizabeth Reiter sprang aus Frankfurt ein und gewährleistete in München eine souveräne und ausgereifte Aufführung des Grand Macabre von György Ligeti. Kent Nagano erwies sich am Pult wiederum als Spezialist für die undogmatische Moderne. Die Bayerische Staatsoper stellte erneut unter Beweis, dass München immer noch einer der führenden Orte des Musiktheaters ist. Von Stephan Reimertz.
György Ligetis Einfluss auf Film und Musiktheater
Sie kennen die Musik von György Ligerti nicht? Glauben Sie mir, Sie kennen sie. Wenn in Stanley Kubricks Film 2001 – Odyssee im Weltraum am Anfang drei Minuten lang Finsternis herrscht, hören Sie Ligetis Orchesterwerk Atmosphères, das dem Komponisten 1961 in Donaueschingen den Durchbruch gebracht hatte. Und wenn im selben Film unter den Urmenschen plötzlich ein unbegreiflicher Monolith auftaucht, erklingt Ligetis sechzehnstimmiges Chorstück Lux Aeterna. Damit sind Sie im Wesentlichen über Ligetis Auffassung von Musik als Folge statischer Klangflächen im Bilde und ausgezeichnet vorbereitet für einen Besuch seiner einzigen Oper Le Grand Macabre. Die Bayerische Staatsoper bringt György Ligetis absurde Musiktheater-Revue frei nach dem Schauspiel La Balade du Grand Macabre des belgischen Dichters Michel de Ghelderode jetzt in einer Inszenierung von Regisseur Krzysztof Warlikowski und der Bühnen- und Kostümbildnerin Małgorzata Szczęśniak heraus, die in München bereits verschiedene Produktionen verantworten, etwa Die Gezeichneten von Frank Schreker.
„Le Grand Macabre“: Ein absurdes Theaterstück als moderne Weltmetapher
Im Gegensatz zu der durchgestylten Schreker-Inszenierung können sich die beiden Gestalter in Le Grand Macabre allerdings nicht zu einer durchgreifenden Stilistik durchringen. Vielmehr tragen sie mit einem konsequenten Durcheinander der Stile in Bühnenbild und Kostümen dem Charakter des absurden Theaters Rechnung, als dessen spätes Erzeugnis die 1978 in Stockholm uraufgeführte und 1996 revidierte Oper gelten darf. György Ligetis Bühnenwerk ist eine groteske Komödie über das Ende der Welt. Die Handlung spielt in einem fiktiven »Breughelland«, inspiriert von den düster-humorvollen Bildern des niederländischen Malers. Ein mysteriöser Fremder, der große Makabre, taucht in Breughelland auf und verkündet das baldige Ende der Welt. Er ist der personifizierte Tod und droht mit apokalyptischen Ereignissen. Die Einwohner von Breughelland reagieren auf diese Nachricht zunächst mit Angst und Verzweiflung, aber bald schon verfällt ein Großteil der Bevölkerung in eine Art hedonistische Trance. Sie feiern ausgelassen und genießen das Leben in vollen Zügen, da sie glauben, dass ohnehin bald alles vorbei sein wird. Alkohol spielt eine zentrale Rolle in der Oper. Der große Makabre und viele andere Charaktere betrinken sich in einem Maße, dass sie ihre ursprüngliche Absicht aus den Augen verlieren. Am Ende scheitert der große Makabre kläglich an seiner Aufgabe. Durch übermäßigen Alkoholkonsum versäumt er den Zeitpunkt des Weltuntergangs und die Welt geht nicht unter.
„Le Grand Macabre“: Schwarzer Humor und Kritik in Ligetis origineller Musik
Ligetis Musik ist auch hier wieder äußerst komplex und vielfältig. Sie kombiniert Elemente der klassischen Musik mit zeitgenössischen Techniken und erzeugt eine einzigartige Klangwelt. Die Oper ist durchzogen von schwarzen Humor und grotesken Szenen. Die Mischung aus düsteren Themen und komödiantischen Elementen macht den Reiz dieses Werkes aus. Ligetis Musikdrama enthält auch politische Anspielungen. Sie kann als Kritik an totalitären Regimen, seien diese nun nationalsozialistischer, kommunistischer oder liberalistischer Art, und der menschlichen Natur interpretiert werden. Die amerikanische Sopranistin Elizabeth Reiter hat die Amanda bereits in Frankfurt gesungen, von wo sie jetzt nach München kam, um für eine erkrankte Kollegin einzuspringen. Wie alle anderen Sänger besticht sie durch eine gegen sich selbst rücksichtslose Spielfreude. Avery Amerieau als Amando, Benjamin Bruns als Piet vom Fass und all die anderer ziehen das unterhaltsame Stück konsequent durch und verkörpern mit jenem spezifischen für Ligetys Kompositionen angemessenen deklamativen, dabei ironischen Sprechgesang eine entleerte Welt. György Ligeti hat mit dem nationalsozialistischen, dann kommunistischen Ungarn und, nach seiner Flucht im Jahre 1956, dem liberalistischen Westen verschiedene Formen eines relativistischen, sinnentleerten Systems erleben müssen. Sein Werk, bei dessen Aufführung in München erfreulicherweise viel junge Besucher zu sehen waren, ist auch heute von unveränderter Aktualität, selbst wenn wir im Kontrast zum westlichen Relativismus derzeit eine Wiedergeburt der Geschichtsphilosophie erleben.
Kent Nagano und das Bayerische Staatsorchester in Hochform
Kent Nagano, hochpräziser Kapellmeister, verleiht mit dem Bayrischen Staatsorchester dem permanent neudefinierten Rhythmus und den immer wieder aufbrechenden Klangflächen dieser originellen Musik packende Gestalt.
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Elizabeth Reiter revives ‘Le Grand Macabre’ in Munich
American soprano Elizabeth Reiter stepped in last minute to deliver a mature and impressive performance of György Ligeti’s Le Grand Macabre at the Bavarian State Opera. Conductor Kent Nagano, an expert in contemporary music, brought out the work’s distinctive modernity, once again establishing Munich as a hub of opera excellence.
Inspired by Michel de Ghelderode’s La Balade du Grand Macabre, Ligeti’s opera depicts the end of the world in a surreal setting reminiscent of Brueghel’s dark paintings. Krzysztof Warlikowski’s staging combines a mix of styles, reflecting the absurdity of life caught between fear and revelry.
Ligeti’s complex music fuses classical elements with contemporary techniques and dark humor. This production includes political undertones that can be seen as critiques of totalitarian regimes and human nature. Reiter’s energetic and expressive performance, along with the State Orchestra’s precision under Nagano, brought the piece to life with captivating presence.