Als »Opera seria mit Intermezzo in einem Akt« bezeichnete Hans Werner Henze 1966 sein Werk Die Bassariden, dessen Libretto W. H. Auden und Chester Kallman nach den Bakchen des Euripides zimmerten. Kent Nagano und die Wiener Philharmoniker brachten die Oper nun an den Ort der Uraufführung zurück. Von Stephan Reimertz.
Die Partitur ist ein gefundenes Fressen für einen Musik-Leistungskurs. Sie ist Oper und Symphonie zugleich, versucht die Vereinigung des Unvereinbaren und bringt dramatische und absolute Musik auf einen Punkt. Jede Note steht also in einem doppelten Bezugssystem. Es geht in der Sonatenhauptsatzform los, dann folgen ein Scherzo und ein Adagio mit Fuge, das von einem Intermezzo unterbrochen wird, und als Finale erklingt eine Passacaglia. Hans Werner Henze bringt sich Mitte der sechziger Jahre als Erbe der großformatigen Symphoniker des neunzehnten Jahrhundert ins Spiel. Nicht weniger anspruchsvoll ist die Textvorlage. Der Engländer H. W. Auden und der Amerikaner Chester Kallman, die ihm kurz zuvor das prätentiöse Libretto für seine Künstleroper Elegie für junge Liebende gezimmert hatten, trieben Henze nun zu weiterem Ehrgeiz an und legten ihm eine manieristische Neufassung der Bakchen des Euripides vor.
Der Widerspruch: Dionysischer Rausch in strenger Form
Im Gegensatz zur Salzburger Uraufführung 1966 entschied man sich nunmehr für das englische Original. Allein griechische Namen klingen, englisch ausgesprochen, etwas komisch. Den Zeitgenossen des Euripides war die Geschichte des zurückgekehrten Dionysos, der Überwältigung der Ordnungsmächte und den rauschhaften Ekstasen in allen Details bekannt. Auf das Publikum der sechziger Jahre, das sich nach Krieg und Nationalsozialismus gerade wieder eine pseudobürgerliche Ordnung etablierte und begann, sein Bildungssystem zu zerstören, konnte die Fassung von Auden und Kallman nur verwickelt wirken. Dem Komponisten Hans Werner Henze freilich ging es auch darum, die Macht der seriellen Kirche und ihrer Oberpriester Theodor W. Adorno, Klaus Heinz Metzger und Rainer Riehn zu brechen. Seine freie Tonalität wirkte in der Tat aufreizend auf die regressiven Schönbergianer. Wenn man heute eine Aufführung wie die in Salzburg sieht, erscheinen die dionysischen Ekstasen der sechziger Jahre sehr streng, wenn nicht evangelisch, was auch von den evangelischen Holzbänken in der Felsenreitschule befördert wird.
Regisseur Krzysztof Warlikowski als Experte für schwierige Fälle
Die Fürsterzbischöfliche Felsenreitschule zu Salzburg ist einer der vertracktesten Bühnenräume überhaupt. Regisseur Krzysztof Warlikowski, der in München kürzlich Die Gezeichneten von Franz Schreker konsequent und überzeugend inszenierte, nutzte die besondere Situation in Salzburg der asymmetrischen Raute mit der extrem weiten Bühne, indem er dieselbe in fünf Teile gliederte. Das Multitasking, das jedem Zuschauer abgefordert wurde, steigerte er damit freilich zur Überforderung, zumal noch Videoeinspielungen à la Frank Castorf und ein seitlich platziertes Nebenorchester die Aufmerksamkeit fesselten. Russell Braun als Pentheus, Sean Pinikkar als Dionisos, Tanja Ariane Baumgärtner als Agave und Venus, Anna Maria Dur als Beroe und die vielen anderen, darunter das Tanzensemble mit Rosalba Guerrero Torres, leisteten Außerordentliches. Mit hoher Professionalität und Enthusiasmus ließen sie sich auf das komplexe Stück ein und vermittelten einen Eindruck davon, wie man den vertrackten Fragestellungen der Musikgeschichte der sechziger Jahre heute weitere Ebenen in modernem, teilweise komödiantischen Gewandt hinzufügen kann. Schauspielerisch waren alle mit Witz und Charme dabei, das Ergebnis ist outriert, schrill und vieldeutig. Ich bin kein schwuler New Yorker Intellektueller, schade; sonst hätte ich den Abend noch mehr genießen können!
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