Das Städel Museum in Frankfurt am Main gruppiert eine kunsthistorische Stadtausstellung rund um seine Rembrandt-Sammlung. Alles läuft auf die großformatige Blendung Simsons von 1636 zu. Star der Ausstellung aber ist die Stadt Amsterdam. Von Stephan Reimertz.
Das Städel hat sein neuestes Reklameplakat mit der knatschigen Mode- und FDP-Farbe Magenta unterlegt. Es ist offenbar der Meinung, die Kunst habe sich zum Bürger hin zu bewegen. Umgekehrt wird ein Schuh draus, der ins Museum geht! Auch in den raffiniert austarierten Farbtönen der Wände in den verschiedenen Räumen, von zartem Kackbraun bin hin zu einem zwischen Kornblume und Himmel zu verortendem Blau, zeigen die PR-Experten des weltbekannten Kunstmuseums, dass sie sich etwas dabei gedacht haben. Sagen wir, ganz neutral: Das sind die coolsten Wandfarben seit dem Kanariengelb der Beckmann-Ausstellung im Guggenheim SoHo 1994.
Die historische Puppenstube Amsterdam im Städel
Nach den Reklamefritzen kommen die Historiker zu Wort. In dem postmodernen Anbau des Städels, inzwischen auch schon eine Generation alt, lesen wir auf mannshohen Texttafeln eine nützliche Einführung in die Geschichte Amsterdams, dieser weltgeschichtlichen Puppenstube, mit ihren Handelsherren, Malern, Ärzten und Prostituierten. 1578 suchte der Teufel die Stadt heim, jedenfalls nach katholischer Lesart: Amsterdam wurde evangelisch. Man baute Besserungs-, Straf- und Zuchthäuser. Von ihnen ist in der Ausstellung viel die Rede und einiges zu sehen. Aber auch Waisenhäuser spielten eine Rolle in der vermeintlich wohltätigen Strenge der neuen Konfession.
Wer heute nach Amsterdam reist, kann bei aller Libertinage noch etwas von der protestantisch-pädagogischen Atmosphäre schnuppern. Ende des neunzehnten Jahrhunderts, als das Abendlicht der europäischen Kultur den Kontinent schon streifte, malte Max Liebermann seine berühmte Freistunde im Waisenhaus. Das Gemälde stellt in dieser Ausstellung rein historisch gesehen einen Ausreißer dar, da die anderen Exponate aus dem siebzehnten, manche auch aus dem späten sechzehnten Jahrhundert stammen.
Gesellschaftsporträts und die Seele Amsterdams
Bekanntlich sind die Gruppenporträts der Stände und Gesellschaften besonders typisch für diese Bürgerstadt. An ihnen herrscht in der Frankfurter Ausstellung kein Mangel. So sehen wir hier die Herren der Rotte F der sogenannten Hahnbüchsenschützen, Kloveniers genannt, ein Ölbild aus dem Amsterdam Museum, auf Holz gemalt von einem unbekannten Künstler im Jahre 1557.

Die Vorsteher des Kloverniersdoelen, 1655, Öl auf Leinwand, 171 x 283 cm,
Amsterdam, Amsterdam Museum
Bei aller Pflichtversessenheit kannte die Amsterdamer Gesellschaft des Goldenen Zeitalters – wenn dieser Begriff auf dem Ausstellungsplakat auch mit einem Fragezeichen versehen ist – natürlich auch das Freizeitvergnügen. Dabei sind die Veranstaltungen in Eis und Schnee von besonderem malerischen Reiz. Aus Toronto kommt diese Winterszene auf der Amstel, gemalt ca. 1621 von Arent Arentsz, gen. Cabel.

Winterszene auf der Amstel, ca. 1621
Öl auf Holz, 54,6 × 97,8 cm, Art Gallery of Ontario, Toronto
Nachlass von W. Redelmeier, 1956 / Foto: AGO
Ein »Freizeitvergnügen« ganz anderer Art stellt Jacob Adriaensz Backer auf diesem Porträt von ca. 1636 dar, einem Beitrag des Nationalmuseums Lissabon. Tatsächlich galt Prostitution seit Durchsetzung des reformierten Bekenntnisses von 1578 als Straftat. Schnell kann ein Aktmodell im Spinhuis landen, ein Frauenzuchthaus, in dem mittels harter Arbeit die »Gefallenen« wieder auf den »rechten Weg« gebracht werden sollen.

Öl auf Leinwand / Foto: Stephan Reimertz
Wissenschaft und Kunst
Es gehört zu den Verdiensten der Frankfurter Ausstellung, dass nicht nur Bürger und Prostituierte, sondern auch die Wissenschaft zu ihrem Recht kommt. Wer Die Anatomiestunde des Dr. Tulp, eines der meistreproduzierten Gemälde Rembrandts aus dem Mauritshuis im Haag, kennt, den wird es interessieren, in der Frankfurter Ausstellung auf eine Terrakottabüste des bekannten Arztes zu stoßen, fabriziert von einem gewissen Artus I. Quellinus in den Jahren 1657/58. Dr. Tulps öffentlich zugängliche Anatomievorlesungen machten ihn so populär, dass er eines Tages gar das Amt des Bürgermeisters bekleidete.
Großartig an der Frankfurter Ausstellung ist auch die Tatsache, dass verschiedene künstlerische Formen und Techniken berücksichtigt sind. So haben wir es hier mit einer Entwurfszeichnung Rembrandts für ein Gemälde der Anatomievorlesung von Dr. Jan Deijman zu tun. Das Blatt stammt aus dem Amsterdam Museum und wird auf 1656 datiert.
Grandios inszeniert ist das Fragment des Gemäldes der Anatomievorlesung selbst aus demselben Jahr. Die dramatische Verkürzung des Mannes auf dem Seziertisch ist für Rembrandts Stil ebenso ungewöhnlich wie die anatomische Darstellung des geöffneten Gehirns. Die Entwurfszeichnung ist von den Ausstellungsmachern effektvoll dahintergeblendet.
Rembrandts Amsterdam. Goldene Zeiten?
Ausstellung bis zum 23. März 2025
Städel Museum Frankfurt
Schaumainkai 63
60596 Frankfurt am Main
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The Städelsches Kunstinstitut in Frankfurt dedicates its latest exhibition to Rembrandt and Amsterdam. Central to the exhibition is the „Blinding of Samson“ from 1636. A highlight is the introduction to Amsterdam’s history with its merchants, painters, and doctors. Amsterdam became Protestant in 1578, leading to the establishment of correctional and orphan houses, themes explored in the museum.
The exhibition also shows that Amsterdam’s Protestant strictness was still felt in the 19th century. A painting by Max Liebermann, „Free Hour in the Orphanage,“ is an exception in the otherwise 17th-century focused exhibition.
Significant are the group portraits of Amsterdam’s bourgeois society, such as the painting of the Hahnbüchsenschützen from 1557. The exhibition also highlights social life, including winter pleasures depicted in Arent Arentsz’s „Winter Scene on the Amstel.“ A portrait by Jacob Adriaensz Backer addresses the issue of prostitution in reformed Amsterdam.
Scientific contributions are not missing: Rembrandt’s „Anatomy Lesson of Dr. Tulp“ and a related terracotta bust are part of the exhibition. Various artistic techniques, like a preliminary sketch by Rembrandt, complete the presentation.