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Die ‚Black Titanic‘: „Bevor wir sterben, tanzen wir“ von Fred Khumalo

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Literatur

Der südafrikanische Journalist und Schriftsteller Fred Khumalo, ausgezeichnet mit mehreren Literaturpreisen und auch Verfasser von Theaterstücken, war im letzten Sommer Gast beim African Book Festival in Berlin. Dazu wurde erstmals ein Roman von ihm auf Deutsch übersetzt. Dort erzählte er auch, wie er auf das Thema des Romans „Bevor wir sterben, tanzen wir“ gekommen war. Von Birgit Koß.

Am 21. Februar 1917 sank das Schiff S.S. Mendi im Ärmelkanal – es bekam den Namen „Black Titanic“. An Bord waren 823 Personen, die meisten davon schwarze Südafrikaner, die die britische Armee im Ersten Weltkrieg gegen den deutschen Kaiser unterstützen sollten. 646 von ihnen starben bei dem Schiffsunglück. Die Geschichte der S.S. Mendi lernte Fred Khumalo bereits als Kind durch Lieder über das Unglück kennen. 2012 erklärte Präsident Jacob Zuma, der damalige Präsident von Südafrika, den 21. Februar zum Gedenktag für die Rolle des Militärs in Südafrika. In Port Elisabeth steht ein Denkmal für die Ertrunkenen. Bereits 2004 hatte Fred Khumalo Dieppe in Frankreich als Journalist besucht, um sich vor Ort über die Geschichte des Ersten Weltkriegs zu informieren. Er studierte Briefe von Zeitzeugen und recherchierte in Militär- und Zeitungsarchiven. Bis heute ist das Schicksal der S.S. Mendi außerhalb Südafrikas – auch in Großbritannien – so gut wie unbekannt. Somit entschloss sich Fred Khumalo, einen historischen Roman zu schreiben, um an dieses Ereignis zu erinnern und herauszufinden, was schwarze Südafrikaner zu Beginn des letzten Jahrhunderts dazu bewogen hat, an der Seite der Engländer kämpfen zu wollen.

Seine Geschichte beginnt 1958 in einem Restaurant in Frankreich – wie ein Krimi. Aus nicht ersichtlichem Grund ersticht der bisher sehr unauffällige, bescheidene und liebenswürdige Kellner Jean-Jaques Henri zwei Gäste. Danach verweigert er jegliche Aussage. Der Polizeireporter Thierry Bousquet wittert eine interessante Story und kommt bei seinen Recherchen schnell zu dem südafrikanischen Maler Jerry Moloto. Dieser eröffnet ihm, dass Jean-Jaques nicht wie angenommen Algerier ist, sondern ebenfalls aus Südafrika stammt.

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Cover: Interkontinental Verlag

Schließlich beginnt er die Lebensgeschichte seines Freundes – eines Mannes mit verschiedenen Namen – zu erzählen. Wir erfahren, dass der Vater, Cornelius de La Rey, ein Bure war, der 1900 gegen die Briten kämpfte und dann desertierte. Er landet schließlich in einem kleinen afrikanischen Dorf und verliebt sich nach einiger Zeit in die fünfzehnjährige Enkelin des dortigen Oberhauptes, Matshiliso. Als sie schwanger wird, fliehen die beiden und kommen schließlich bei einem indischen Händler in Bloemfontein unter. Dort wird Roelof de la Rey geboren. Kurze Zeit später verschwindet sein Vater.

Ein Onkel des Jungen hat eine Schule für sogenannte couloured, die auch Roelof besuchen darf. Doch er möchte aus seiner fast weißen Haut keine Vorteile ziehen und nennt sich mit der Zeit Pitso. Er ist ein aufgeweckter Schüler, der sehr schnell lernt und sich besonders für Musik und das Zeichnen interessiert. Seine aus Frankreich nach Südafrika gekommene Musik- und Französischlehrerin fördert und verführt ihn, als er fünfzehn ist. Das unglückliche Ende dieser Liaison führt dazu, dass er die Schule verlässt und schließlich 1916 einem Aufruf der Briten an schwarze Südafrikaner folgt, für guten Lohn und Anerkennung nach Europa zu kommen und die britische Armee gegen die deutsche zu unterstützen. 

In der weiteren Geschichte erfahren wir, wie die Überfahrt verläuft, wie es zu dem fürchterlichen Unglück im Ärmelkanal kommt und welches Schicksal die wenigen schwarzen Überlebenden – zu den Pitso gehört – haben. Der Autor schildert die Gräuel und Ungerechtigkeiten während des Krieges, aber auch eine Liebesgeschichte zwischen Pitso und einer mutigen Französin, die ihn schließlich rettet und zu seinem dritten Namen Jean–Jaques verhilft. Nach dem Krieg lebt er als Algerier weiterhin in Frankreich. 1958 schließt sich der Kreis durch eine schicksalhafte Begegnung in dem Restaurant mit den bekannten Folgen.

Fred Khumalo erzählt die Lebensgeschichte seines Protagonisten unaufgeregt und in klarer Sprache mit sehr einprägsamen und eindrücklichen Bildern – ein sowohl sehr informativer also auch berührender Roman. Pitso steht stellvertretend für die 25 000 (!) Soldaten aus Südafrika, die ohne Waffen im Ersten Weltkrieg eingesetzt wurden. Wer dies überlebte, wurde bei der Rückkehr enttäuscht; die erhoffte Anerkennung blieb aus, die finanzielle Entschädigung war gering.

Fred Khumalo möchte mit diesem Roman die sozialen Verhältnisse der damaligen Zeit entlarven. Soweit möglich, hat er wahre Geschichten von Zeitzeugen mit eingebaut. Er stellt aber auch die Frage, was ein Leben wert sein kann, das auf Lügen aufgebaut wurde. Und er zeigt uns eine südafrikanische Tradition – die des Tanzes des Todes.

Fred Khumalo
Bevor wir sterben, tanzen wir
Aus dem Englischen von Christiane Seidel
Interkontinental Verlag, Berlin 2023
bei amazon
bei Thalia

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The moving story of the ‚Black Titanic‘: Fred Khumalo’s novel „Before we die, we dance“
Fred Khumalo, an award-winning South African journalist and writer, was a guest at the African Book Festival in Berlin, where his novel „Before We Die, We Dance“ was presented for the first time in German. The novel tells the story of the S.S. Mendi, which sank in the English Channel in 1917, claiming 646 lives, mainly black South Africans. Khumalo was influenced by songs about the tragedy as a child and decided to process this story in a historical novel. His book follows the life story of Pitso, a young man from South Africa who joins the British Army during World War I. The narrative spans from the events aboard the Mendi to Pitso’s life in France after the war. Khumalo reveals the tragic history of black soldiers in World War I, focusing on social injustices and identity issues. „Before We Die, We Dance“ is a sensitive and moving narrative about courage, sacrifice, and the search for identity in a world shaped by war.

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