Die Zauberflöte spielt uns auf, wenn wir uns auf den steinigen Weg in unser Inneres begeben. Am Gärtnerplatztheater in München hatte das magische Zauberlustspiel am Samstag Saisonpremiere. Unter den Zuschauern war Stephan Reimertz.
Wer hören und sehen will, wie man eine Oper inszenieren sollte, der muss sich auf den Weg zum Gärtnerplatz in München machen. Dort hatte am Samstag jene modellhafte Inszenierung der Zauberflöte Saisonpremiere, die Ferdinand Hofmann nach der Produktion von Rosamund Gilmore einrichtete. Der Abend bestach durch eine vollkommen angemessene, werktreue, phantasie- und geistreiche Version dieser klassischen Oper, wie man sie im heutigen Opernalltag nur noch selten zu sehen bekommt. Es erfreute, dass sich unter den begeisterten Zuhörern viele Kinder befanden. Kein Wunder, dass es die munter agierenden als Pagen gekleideten drei Knaben waren, die den meisten Beifall absahnten! Wer mit fünf Jahren eine solch gelungene Aufführung sieht, dem wird sich dieses Erlebnis einprägen, und in seinem späteren Leben wird ihm kein durchgeknallter Regiefuzzi mehr so leicht imponieren können.
Das einfache und zauberhafte Bühnenbild (Friedrich Oberle) kam als Stilzitat der Guckkastenbühne des achtzehnten Jahrhunderts daher. Die schlichten und anrührenden Kostüme (Nicola Reichert) überzeugten als Anspielungen auf Ancien Régime und Directoire, waren somit perfekte Gewandungen für eine Oper, die als musikalische Gestalt der Aufklärung gilt. Einen ironischen Kontrapunkt stellten die drei Damen dar, die dem Ensemble der Wotanstöchter entsprungen zu sein schienen. Damit erwiesen sich die Mozart-Walküren als perfekte Hofdamen der Königin der Nacht, die als Gothic Lady im Laufe des Stückes zunehmend das Reich des Bösen verkörpert. Sofia Mchedishvili lieferte gestochen scharfe Koloraturen ab und konnte sich des Jubels der großen und kleinen Zuhörer sicher sein.
Perfekte Regiearbeit
Die präzise und durchdachte Personen- und Bewegungsregie überzeugte durch eine intelligente Dezenz. Jedes Detail, jedes Requisit wurde mit Liebe und Bewusstheit behandelt. Auch darin stach die Inszenierung von dem aufgeblasenen Theater ab, das wir allzu oft auf der Opernbühne sehen müssen. Maximilian Mayer als Tamino und Sophie Mitterhuber als Pamina gaben ein sympathisches jungen Paar, dem die Herzen der aufmerksamen Zuhörer ebenso zuflogen wie dem österreichischen Papageno (Christoph Filler) und der brillanten und wandlungsfähigen Papagena (Jasmina Sakr). Es fiel auf, dass während der ganzen Aufführung auch die kleinen Kinder unter den Zuhörern still und konzentriert dasaßen; so packend, dramaturgisch intelligent und zauberhaft ist diese Inszenierung. Ein Erwachsener hält gelegentlich eine Durststrecke durch, für ein Kind muss man in jedem Moment dramatisch überzeugen, und das ist bei diesem Glücksfall des Opernbetriebs der Fall.
Kapellmeister Michael Brandstätter jagte das Orchester und nahm es zugleich zurück, so dass wir es mit sehr straffen Tempi zu tun hatten, in der sich nicht jede musikalische Idee vollkommen entfalten konnte, und zugleich mit einer gedämpften Gesamtwirkung, die auch dem Theaterraum geschuldet ist. Offenbar fasst er die Partitur als Singspiel auf und stellt daher einen möglichst trockenen Orchesterpart bereit. Die Sänger-Darsteller sollen sich maximal entfalten können. Eine echte Regie-Idee, (keine Pseudo-Idee, wie wir sie aus dem Opernalltag kennen), bestand darin, den Männerchor des Sarastro durch einen Frauenchor zu ersetzen. Die völlig neue Klangfarbe erfreute, zugleich hatte man an keiner Stelle dieser Inszenierung den Eindruck, dass die Regie modische Anspielungen auf aktuelle Themen des öffentlichen Diskurses hineinquetschen wollte. So blieb viel Platz für die Magie dieser einzigartigen Oper, für menschliche Zwischentöne und musikalische Entwicklungen.
Pflichtprogramm für Regiestudenten
Auch bei dieser liebevollen, werktreuen und gewissenhaften Inszenierung unterliefen allerdings drei Regiefehler. Die Sprechtexte werden leicht modifiziert, und das tut ihnen nicht gut. Mit dem Textbuch hat Emanuel Schikaneder seine Visitenkarte in der Ewigkeit abgegeben, man kann ihm also vertrauen. Ebenso kann man den Kindern vertrauen, dass sie heutige Jargonwörter – wie: Sorry – nicht nötig haben und sehr wohl einem dramatisch genialen Text von 1791 folgen können. So weit wie die Inszenierung der Entführung aus dem Serail, die derzeit im Nationaltheater läuft und wo die Dramaturgen den Sprechtext völlig neu geschrieben haben, gehen die Verantwortlichen hier freilich nicht. Insgesamt aber ist zu betonen, dass man sich den Originaltextbüchern anheimgeben kann und diese nicht verschlimmbessern sollte. Zudem kann man darüber streiten, ob in der letzten Szene Sarastro (Stefan Cerny) und zwei seiner Priester das sog. Anch, ein ägyptisches Henkelkreuz, tragen und damit den ausdrücklich nicht-christlichen, parareligiösen Gehalt des Stückes in eine christliche Richtung drehen müssen. Kreuze sind am Ende der Zauberflöte ebenso fehl am Platze wie in der letzten Szene der Götterdämmerung, wo man sie in früheren Zeiten manchmal sehen musste. Vollends liturgisch und szenisch verfehlt sind die Gesellschaftstänze, die in der letzten Szene aufgeführt werden. Aber dies sind geringfügige Regiefehler, die sich leicht korrigieren lassen.
Zurecht nennt das Münchner Gärtnerplatztheater Mozarts Zauberflöte eines »der wichtigsten und gleichsam unbegreiflichsten Meisterwerke aller Zeiten«. Rosamund Gilmore und Ferdinand Hofmann setzen mit dieser Inszenierung neue Maßstäbe, weil sie sich der alten Maßstäbe erinnern. Die Produktion sollte Pflichtprogramm sein für alle Regiestudenten und vor allem für die durchgeknallten Regie-Narzissten, die uns in Paris, Salzburg, Bayreuth, Mailand (und leider oft auch in München) in den Opernhäusern auf Kosten der Werke ärgern.
Gärtnerplatztheater
Gärtnerplatz 3
80469 München
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