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„Parsifal“ mit Brüchen und Glanz

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Bei den Festtagen der Deutschen Staatsoper Unter den Linden 2025 verkörpert die Sopranistin von der deutsch-schweizer Grenze Ariana Baumgartner eine vielschichtige Kundry. Der Wiener Generalmusikdirektor Philippe Jordan dirigiert das Bühnenweihfestspiel „Parsifal“ bündig und ausgefeilt. René Pape gibt als Gurnemanz den Moderator und Hausherrn. Von Stephan Reimertz

Kundry in Trenchcoat – eine Figur zwischen den Welten

In der Lohengrin-Stadt Antwerpen sang Tanja Ariana Baumgartner die Kundry zum ersten Mal. In Berlin gibt sie die faszinierendste weibliche Gestalt des Welttheaters nun als ewig Reisende im Trenchcoat. Zu den übrigen Figuren des Bühnenweihfestspiels verhält sich diese Gestalt als eine, die immer dabei ist, aber nie dazugehört. Wagner verkörpert in dieser Schöpfung seine Version des vom Heil abgefallenen und nun zur Strafe immer wiedergeborenen Ahasverus. Mit einem komplexen, zwischen Sopran und Mezzosopran chargierenden Gesang und äußerster Einfühlung in eine für Sänger geistig nicht leicht zu durchdringende Figur verdient sich Tanja Ariana Baumgartner den Jubel des Publikums. Der Erste Akt war in unserer Vorstellung der beste. Dabei spielt es für den Zuschauer eine gewichtige Rolle, dass er sich bei dieser Aufführung der symphonisch-dramatischen Abhandlung über das Ende der Reise des Ahasverus nur wenige Meter vom Ort der Bücherverbrennung befindet.

Der 1970 in Moskau geborene Dmitri Tcherniakov gönnt Kundry am Ende den Tod, die Erlösung. Die Erlösung Kundrys ist der Kern des Stücks. Viele Regisseure in der langen Aufführungsgeschichte der Werks lassen Kundry munter weiterleben geben sich indes entgegen Wagners ausdrücklicher Anweisung lebensspendend in der Hoffnung, das sei Beifall spendend. Sie meinen, Herr über Leben und Tod zu sein und inszenieren am Gehalt des Parsifal vorbei.

Erlösung oder Irrtum?

Das Mitleid mit den Leidenden, das die Titelfigur in der Mitte des Stücks wie der Blitz durchfährt, ist das Zentrum des Dramas. Es mündet in die Erlösung Ahasvers. Trotz der einen oder anderen Ungenauigkeit darf man Dmitri Tcherniakov bescheinigen, dass er den Gehalt des Parsifal gerecht geworden ist.

In seinem 2022 bei den Bayreuther Festspielen inszenierten Fliegenden Holländer ließ Tcherniakov sich bei der Gestaltung der Bildwelt auf dem Grünen Hügel von Filmerinnerungen leiten. Sein Berliner Parsifal war bereits 2015 in der ins Schiller Theater ausquartierten Staatsoper gezeigt worden. Hier erleben wir eine tiefere, stärker aus der Geschichte entwickelte ikonographische Umsetzung als in seinem Holländer.

Zwischen Gralsburg und Nachtasyl

Die Gralsburg mit ihren angeschlagenen Rittern freilich sieht bei diesem Regisseur, der zugleich als sein eigener Bühnenbildner agiert, ein wenig nach Maxim Gorkis Nachtasyl aus. Berliner dürfte die Szene an Klaus Michael Grübers Inszenierung von Tschechows An der Großen Straße auf der Probebühne der Schaubühne in der Cuvrystraße in Kreuzberg 1984 erinnern. Es mag ja sein, dass die Ritterschaft im Parsifal stark angeschlagen ist, aber es handelt sich doch immer noch um eine Ritterschaft. Vollends zum Haufen verfällt die Herrenrunde dann im Dritten Akt. Die Ritter bekämpfen einander. Der hinfällige Amfortas wird gegen seinen Willen gezwungen, den Gral noch einmal zu enthüllen.

Tcherniakovs Parsifal-Finale hat freilich den Vorteil, dass es die Konflikte innerhalb der Ritterschaft schonungslos offenlegt. Nach dem Nachtasyl des Ersten Akt und der Alice im Wunderland im Zweiten sind wir im Dritten Akt bei den Karamasows angekommen.

Eine Oper der Missverständnisse

Ich bitte den Leser, es mir auch diesmal nachzusehen, wenn ich auf den einen oder anderen Moment dieser Produktion leicht gereizt reagiert habe. Ich fing vor 49 Jahren qua Partiturstudium an, mich mit diesem Werk zu beschäftigen und habe seitdem allerlei einschlägige Inszenierungen sehen dürfen bzw. müssen, spontan fallen mir nur ein Dietrich Haugk (Bühnenbild: Günther Schneider-Siemssen), Ruth Berghaus, Syberberg (Film), Kupfer (Wiedereröffnung der Staatsoper Unter den Linden), Robert Wilson in Hamburg, Christoph Nel in Frankfurt, Osterfestspiele Salzburg 2013 mit Thielemann (wer’s inszeniert hat, ist mir zum Glück entfallen), Thielemanns konzertante Aufführung in der Corona-Zeit in Bayreuth, Laufenbergs Hartz-IV-Gralsritter in Bayreuth, die Katastrophe von Alvis Hermanis an der Wiener Staatsoper usw., habe mich mit verschiedenen Leuten darüber auseinandergesetzt, Syberberg, Gregor-Dellin, Zelinsky, Ulrich Drüner usw., habe mir also über dieses Werk den einen oder anderen Gedanken gemacht und leider feststellen müssen, dass es in den Inszenierungen immer wieder die gleichen Reinfälle sind, die einen nerven. Oft wird die Bedeutung der Wiedererkennungsszene zwischen Gurnemanz und Parsifal im Dritten Akt in ihrer Bedeutung nicht erkannt und folglich auch nicht inszeniert, meist die Figur der Kundry nicht begriffen, was ihr am Ende ein fröhliches Weiterleben sichert etc.

Tcherniakovs selbstgeschaffene Bühne zeigt einen romanischen Saal und geht in der Konkretion sehr weit. Dann allerdings müsste auch der Realismus des Spiels ebenso weit gehen. Wenn Gurnemanz sagt: »Dort liegt’s, das wilde Weib«, kann Kundry also nicht einfach dastehen. Wenn er die Waldhüter tadelt: »So wacht doch mindest am Morgen«, ist es überraschend, wenn Lampen angehen. Auch wäre es schön, den Schwan zu sehen, den Parsifal ahnungslos abgeschossen hat. Tcherniakov indes reiht sich in die lange Reihe der Schwanverweigerer ein, wie wir sie aus dem Lohengrin kennen. In seinem Bayreuther Holländer war natürlich auch kein einziges Schiff zu sehen. Seine Ritter sind, wiederum sehr konkret, Sozialarbeiter und zugleich Sozialfälle. Wir haben es hier also mit einem der nicht wenigen Hartz-IV-Parsifals zu tun. Man denke nur an die ab 2015 in Bayreuth gezeigte Version von Uwe Eric Laufenberg. Auch dort sind die Gralsritter Sozialarbeiter. Die Architektur ist kunsthistorisch ebenso konkret. Ein solches Bühnenbild bringt den Nachteil mit sich, dass es im Schauspielerischen zu einem höheren Grad von Realismus verpflichtet. Die ununterbrochene Aufführungsgeschichte von Lohengrin, Tristan und Parsifal hat jedoch immer wieder bewiesen, dass bei Opern in symphonisch durchkomponierter Großform eine abstrahiertere Inszenierung mit sparsameren Gesten wirkungsvoller ist.

Der Staatsopernchor Berlin (Einstudierung Gerhard Polifka) glänzt als Ritterschaft. Im Dritten Akt geht er etwas aus der Form. Das ist beabsichtigt. Die ganze Gemeinschaft verkommt, bevor Parsifal sich zum Gralskönig krönen lässt und die rettende Wende bringt. In unserer Aufführung am Dienstag vor Ostern setzte Andreas Schager als Parsifal sehr strahlend und stimmgewaltig an. Sein Organ glänzte über allen anderen. Im Dritten Akt kam er dann in die Bredouille. Die paar Buhrufe, die er dafür einstecken musste, rechtfertigt das noch nicht. Schager schlägt durch, solange er den Helden als Underdog gibt. Bei der Premiere der neuen Götterdämmerung 2022 in Bayreuth hat er als Siegfried die Verwandlung in den Helden allerdings glänzend bewältigt. In Berlin freilich gebrach es dem neugeschaffenen Gralskönig ebenso am aristokratischen Habitus wie der Ritterrunde.

Im Zweiten Akt verliert der Bühnenraum nun als geweißter Saal jede Konkretion. Wenn der Regisseur die Blumenmädchen im Spielalter von sieben bis zwölf vorstellt, versteht man nicht so recht, wie sie für Parsifal die erste Stufe der Verführung sein können. Die Blumenmädchen müssen ihren Verführungsreigen in einem Spielalter von mindestens fünfzehn bis sechzehn Jahren antreten, wenn die Handlung Sinn ergeben soll. Auch Kundry mangelt es im Zweiten Akt an Verführungskraft. Sie trägt immer noch ihre beige Reisekleidung. Kleine Regieidee: Der Kundrykuss findet im Nebenzimmer statt. Wir sehen ihn selbst nicht, erkennen nur sein ernüchterndes Ergebnis, wenn Parsifal und Kundry aus dem Zimmer treten. Eine schiefgegangene erotische Szene von solcher Konkretion wiederum passt nicht so recht zu der hochsymbolischen, theologischen und für das Stück zentralen Bedeutung des Kundrykusses. Auch hier verrät die Regiearbeit eine gewisse Unangemessenheit. Der Produktion will es nicht so ganz gelingen, die geistige und dramaturgische Bedeutung jeder Szene einzuordnen. Wir haben es mit einer insgesamt richtig verstandenen, in vielen Momenten aber aus dem Ruder laufenden Inszenierung zu tun.

Ratlosigkeit und mangelnde Logik

Tatsächlich zeigt sich die Inszenierung an vielen Stellen von dramaturgischer Ratlosigkeit. So wird Titurel (Stefan Cerny) bereits im Ersten Akt in den Sarg gelegt. Das ist schlecht, denn dann muss man ihn wieder herausholen. Die Produktion leidet an mangelnder Logik. Das kunsthistorisch konkretisierte Bühnenbild verstärkt dieses Problem. Die Aufgabe des Gurnemanz ist von jeher, alles zusammenzuhalten. Der Bassist René Pape wird der Rolle und ihrer hier doppelten Herausforderung gerecht. Wagner hat mit Gurnemanz einen Moderator eingeführt, wie man ihn im Welttheater sonst lediglich noch in Richard III. kennt. Wir stehen hier schon kurz vor dem Epischen Theater. Papes starker, versöhnender Bass und signoriler Gestus muss hier nicht nur die auseinanderdriftende und nicht ohne weiteres verständliche Handlung, sondern auch eine z. T. unlogische Inszenierung zusammenhalten. Lauris Vasa ist im Spielalter für den Amfortas etwas jung, beeindruckt aber durch einen Klagegesang, der jedem Zuhörer an die Substanz gehen muss. Mit dieser Musik bohrt Wagner in unseren Herzen herum. Debussy hört ein wenig am Geiste dieses Werkes vorbei, wenn er schreibt, Parsifal sei »eines der schönsten Klangdenkmäler, die zum Ruhme der Musik errichtet worden sind«. Zum Ruhme der Musik ist dieses Werk nun gerade nicht errichtet worden. Ebenso wenig sind Bachs Kantaten zum Ruhme der Musik oder die Mosaiken von Ravenna zum Ruhme der Kunst geschaffen worden. In der Figur des gefallenen Ritters Klingsor tritt wiederum die mangelnde Fähigkeit oder den Unwillen der Inszenierung zur Zeichnung aristokratischer Charaktere hervor. Tómas Tómasson verkörpert die leidende Luziferfigur, als wäre es der Nachbar, der im Garten nach seinen Blumen schaut.

Philippe Jordan rettet, was zu retten ist

Die orchestrale Interpretation, die der Wiener GMD Philippe Jordan mit der Staatskapelle Berlin anbietet, dürfte eine der gestrafftesten sein, die die Aufführungsgeschichte dieses Werkes kennt. Das Material wird als klares Statement vorgestellt. Dabei sind Unter- und Nebenmotive deutlich, nachgerade liebevoll herausgearbeitet. Zurecht bejubelte das Publikum mehrmals den Kapellmeister und das Orchester. Jene austarierte Gewichtung jedes Details, die der szenischen Seite so schmerzlich abgeht, ist im orchestralen Beitrag in Perfektion verwirklicht. Die Partitur selbst optiert für eine solche, wenn man so will, klassische Interpretation, weil das Schweben und Nachhorchen, das Echo der Musik wie in keinem anderen Werk hier schon mitkomponiert ist.

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“Parsifal” with breaks and brilliance

Tanja Ariana Baumgartner portrays a fascinating Kundry: a trench coat–clad outsider, forever wandering and never truly belonging. In Wagner’s “Parsifal,” she embodies the eternal Ahasverus, caught between damnation and redemption. Dmitrij Tcherniakov’s production offers bold contrasts and ultimately grants Kundry death—true to Wagner’s vision.

The knights of the Grail appear as social workers, within a set resembling Maxim Gorky’s The Lower Depths. The third act reveals the production’s flaws: illogical choices, exaggerated realism, and a lack of symbolic nuance. Titurel is buried too early, the flower maidens seem too young, and Kundry’s kiss takes place offstage.

Musically, Philippe Jordan delivers one of the clearest interpretations with the Staatskapelle Berlin: nuanced, thoughtful, and well-balanced. René Pape holds the performance together as Gurnemanz. Andreas Schager impresses vocally as Parsifal, despite some staging issues. Tómas Tómasson’s Klingsor feels too tame. Despite directorial missteps, the musical impact remains compelling.

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